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Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine endete das »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama). Unter dem Eindruck dieser Zeitenwende verhandelte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Sektion der Görres-Gesellschaft im September 2022 über die Sicherheitsordnung in Europa. Der Sammelband umfasst die in Aachen gehaltenen Referate. Sie reichen vom sachverständigen Zeugenbericht des früheren deutschen Botschafters in der Ukraine über eine zeithistorische Einordnung, Referaten zur völker- und völkerstrafrechtlichen Bewertung des Krieges und seiner Vorgeschichte bis hin zu einem…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine endete das »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama). Unter dem Eindruck dieser Zeitenwende verhandelte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Sektion der Görres-Gesellschaft im September 2022 über die Sicherheitsordnung in Europa. Der Sammelband umfasst die in Aachen gehaltenen Referate. Sie reichen vom sachverständigen Zeugenbericht des früheren deutschen Botschafters in der Ukraine über eine zeithistorische Einordnung, Referaten zur völker- und völkerstrafrechtlichen Bewertung des Krieges und seiner Vorgeschichte bis hin zu einem Hintergrundbeitrag zu inner-orthodoxen religiösen Konfliktlinien zwischen Russland und der Ukraine. Die Referate werfen einerseits analytisch den Blick zurück auf verpasste Chancen und die zunehmende Entzweiung zwischen Russland und dem »Westen«, wagen andererseits mit der gebotenen Vorsicht auch Ausblicke nach vorne und fragen nach den Grundzügen einer zukünftigen europäischen Sicherheitsordnung.
Autorenporträt
Prof. Dr. Matthias Friehe, Studium der Rechtswissenschaft in Marburg, Kaliningrad und Poitiers, Promotion durch die Philipps-Universität Marburg bei Prof. Dr. Steffen Detterbeck zur Dienstherrnfähigkeit der Kirchen. Referendariat im Bezirk des OLG Frankfurt a. M. Seit 2018 Qualifikationsprofessor für Staat- und Verwaltungsrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Seit 2020 Leiter der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Sektion der Görres-Gesellschaft. Forschungsschwerpunkte u.a. im Parlamentsrecht, Wahlrecht, Staatsangehörigkeitsrecht, Religionsverfassungsrecht, Kulturgüterschutzrecht und Beamtenrecht. Prof. Dr. Arnd Uhle, Studium der Rechtswissenschaften an der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Promotion und Habilitation an der Juristischen Fakultät der Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie an der Juristenfakultät der Universität Leipzig, Leiter der dortigen Forschungsstelle »Recht und Religion« sowie Richter des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen. Autor u.a. im Grundgesetz-Kommentar von Maunz/Dürig, im Handbuch des Staatsrechts, im Handbuch der Grundrechte sowie in weiteren Standardwerken. Mitglied im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen sowie im Vorstand der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft, zugleich Leiter der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft der Görres-Gesellschaft. Berater der Kommission VIII (Wissenschaft und Kultur) der Deutschen Bischofskonferenz sowie Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands. Ausgezeichnet u.a. mit dem Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages und dem Friedwart-Bruckhaus-Förderpreis der Hanns Martin Schleyer-Stiftung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Völkerrechtsgedanke scheint in Zeiten Putin'scher Aggression einen schweren Stand zu haben, so Rezensent Christian Hartmann, dem der von Arnd Uhle und Matthias Friehe herausgegebene Band jedoch Hoffnung macht. Denn hinter einmal etablierte Standards, meint der Rezensent nach der Lektüre, fällt die Gesellschaft, historisch betrachtet, längerfristig meist nicht mehr zurück. Der besprochene Band versammelt, freut sich Hartmann, Texte nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch von Juristen. Hartmann zählt einige der verhandelten Themen auf, es geht unter anderem um die Russlandpolitik der NATO in den 1990ern, Putins Missbrauch von Begriffen wie Genozid sowie die Frage, ob sich der russische Präsident irgendwann vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten muss. Besonders heikel, das zeigt Hartmann ein Text Philipp Sauters, ist die Frage der Atomenergie beziehungsweise möglicher Reaktorkatastrophen im umkämpften Gebiet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2024

Das Völkerrecht bleibt der Maßstab
Aber ohne Macht geht es nicht - Überlegungen für eine Sicherheitsordnung in Europa

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt vieles infrage - nicht allein politische Überzeugungen, materielle Sicherheiten oder persönliche Freundschaften. Dieser Angriff ist immer auch ein Test unserer überstaatlichen Rechtsordnung. Rechtliche oder moralische Prinzipien scheinen mit einem Mal obsolet, widerlegt durch eine Wirklichkeit, die so ganz anders wirkt als das, was wir gerne hätten. Putins zynische Ausbeutung der völkerrechtlichen Nomenklatur für seine Propaganda lässt erahnen, was er von diesem Recht und seinen Ideen hält. Das sorgt für tiefe Verunsicherung. Offenbar steht nun alles zur Disposition. Dagegen lässt sich freilich eine alte historische Erfahrung ins Feld führen: Sind Ideen einmal fixiert und rechtliche Vorgaben kodifiziert, haben sich moralische Standards verbreitet, dann fällt es auf Dauer schwer, hinter die einmal erreichten Normen zurückzufallen. Oft scheint die Anwendung des Rechts unmöglich. Oft aber erweist sich genau das nur als eine Frage der Zeit.

Genau daran will der kleine wie hochkarätige Sammelband - Ergebnis einer Konferenz der Görres-Gesellschaft im September 2022 - erinnern: Das Völkerrecht hat nichts von seiner Bedeutung verloren. Es bleibt die Maßgabe zur juristischen Bewertung politischen und militärischen Handelns. Dass die Beiträge nicht allein von Wissenschaftlern stammen, sondern auch von zwei "Praktikern", verleiht dieser Botschaft noch mehr Gewicht: Ernst Reichel war von 2016 bis 2019 deutscher Botschafter in Kiew, Angelika Nußberger von 2011 bis 2019 Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, davon die letzten drei Jahre als dessen Vizepräsidentin.

Die insgesamt sieben Beiträge beleuchten den Krieg aus unterschiedlichen Perspektiven: Reichel erinnert daran, dass es nie eine schriftliche Vereinbarung gab, "Staaten östlich von Deutschland nicht in die NATO aufzunehmen". Dennoch habe man auf dem NATO-Gipfel in Bukarest (2008) keinen Membership Action Plan für einen NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens verabschiedet. Daran habe sich seitdem nichts verändert. Auch Martin Aust betont, dass ein völkerrechtlich gültiges Versprechen auf den Verzicht einer NATO-Osterweiterung bloße Fiktion sei. 1990, beim Abschluss des Zwei-plus-vier-Vertrags, sei dies für die Sowjetunion kein Thema gewesen; damals gab es ja noch den Warschauer Pakt. Die Initiative zur Aufnahme der osteuropäischen Staaten in die NATO sei von diesen selbst gekommen, nicht von den USA. Vielmehr habe die Clinton-Administration im Gegenzug mit der NATO-Russland-Grundakte (1997) versucht, Russland so weit wie möglich entgegenzukommen. Auch sonst habe der Westen durch den "Beitritt Russlands zum Europarat 1996, die Erweiterung der G 7 um Russland zur G 8 1998 und die Aufnahme Russlands in die WTO 2010" viel getan, um diesen östlichen Nachbarn "auf Augenhöhe" in die internationale Ordnung zu integrieren.

In einer konzisen Analyse belegt Nußberger, dass bereits in sowjetischer Zeit das "sozialistische Völkerrecht" nichts anderes gewesen sei als eine brachiale Inanspruchnahme der völkerrechtlichen Begrifflichkeit für die eigenen politischen Ziele. So gesehen sei Putins Rekurs auf Begriffe wie "Genozid" oder "Selbstverteidigungsrecht" nur die Neuauflage jenes alten Systems des Missbrauchs bzw. der Ignorierung des internationalen Rechts. Noëlle Quénivet zeigt, dass die verschiedenen De-facto-Regime wie Abchasien, Südossetien, Transnistrien oder Nagornyj Karabach, die in einigen sowjetischen Nachfolgestaaten entstanden sind, völkerrechtlich nicht als Staaten gelten können. Überlebensfähig seien diese Regime nur durch Russlands Hilfe, dem sich hier vielversprechende Ansatzpunkte böten, um Macht in diesen Regionen auszuüben.

Kai Ambos widmet sich der interessanten Frage, ob man "Putin irgendwann strafrechtlich zur Rechenschaft" ziehen könne. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat am 17. März 2023 zwei Haftbefehle erlassen: gegen den russischen Präsidenten sowie gegen die russische Kommissarin für Kinderrechte Maria Lwowa-Belowa, die als "Putins Kinderdiebin" gilt. Auf seine Immunität als Staatsoberhaupt könne sich Putin jedenfalls nicht berufen. Ob dieser Haftbefehl einmal realisiert werden wird, bleibt offen. Vorbereitet ist er jedenfalls. Andriy Mykhaleyko verweist auf die religiös-kirchlichen Hintergründe des Ukrainekriegs. Hier kollidieren auch die Ansprüche der Russisch-Orthodoxen Kirche (Moskau) mit denen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Kiew), die sich in ihrer heutigen Form im Januar 2019 formierte und im Mai 2022 ganz vom Moskauer Patriarchat lossagte. Damit verlor dieses immerhin ein Drittel seiner Gemeinden. Putins Polemik gegenüber dem ukrainischen Ableger, der laut dem Moskauer Patriarchen Kyrill nun einmal zum "orthodoxen Zivilisationsraum" gehöre, belegt, dass dieser Krieg immer auch eine religiös-kirchliche Konnotation besitzt.

Besonders beunruhigend sind die Ausführungen von Philipp Sauter, der an die nuklearen Gefahren erinnert, die viel zu oft verdrängt werden. Gefährlicher als der Einsatz nuklearer Waffen - die natürlich das ius in bello verbietet - erscheint derzeit die Gefährdung der fünf ukrainischen Atomkraftwerke: das havarierte AKW in Tschernobyl war, das AKW in Saporischschja ist russisch besetzt. Die Internationale Atomenergie-Organisation hat sieben Standards der nuklearen Sicherheit und Sicherung für den Fall eines Krieges definiert. Alle wurden bzw. werden durch die russischen Okkupanten auf eklatante Weise verletzt. Die Verhältnisse in Saporischschja sind so katastrophal, dass dort mittlerweile alle sechs Reaktoren abgeschaltet sind. Angesichts der Sprengung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni 2023, die die Situation dieses AKWs noch verschärft, ist zu hoffen, dass das so bleibt.

Eine Ausnahmesituation wie der Ukrainekrieg erinnert uns wieder einmal daran, wie sehr das Recht der Macht bedarf. Ohne Macht wird es hier kein Recht geben. Ist eine Alternative dazu denkbar? CHRISTIAN HARTMANN

Arnd Uhle/ Matthias Friehe (Hrsg.): Sicherheitsordnung in Europa. Analysen und Perspektiven nach dem Ende der Geschichte.

Verlag Duncker & Humblot,

Berlin 2023.

226 S., 69,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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