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Die blutigen Auseinandersetzungen auf dem Balkan haben gezeigt, dass nationale, ethnische und soziale Konflikte schneller entstehen und die Sicherheit Europas gefährden können, als Instrumente zu ihrer Beherrschung gefunden werden. Die NATO sieht sich neuen Aufgaben gegenüber. Im Frühjahr 1999, 50 Jahre nach der Gründung, hat das Nordatlantische Bündnis drei neue Mitglieder aufgenommen, Polen, Tschechien und Ungarn. Mit der geografischen Erweiterung geht eine Veränderung ihrer Aufgaben einher. Dazu gehört die Entwicklung eines Konzeptes in einem schwierigen internationalen Umfeld, das die…mehr

Produktbeschreibung
Die blutigen Auseinandersetzungen auf dem Balkan haben gezeigt, dass nationale, ethnische und soziale Konflikte schneller entstehen und die Sicherheit Europas gefährden können, als Instrumente zu ihrer Beherrschung gefunden werden. Die NATO sieht sich neuen Aufgaben gegenüber. Im Frühjahr 1999, 50 Jahre nach der Gründung, hat das Nordatlantische Bündnis drei neue Mitglieder aufgenommen, Polen, Tschechien und Ungarn. Mit der geografischen Erweiterung geht eine Veränderung ihrer Aufgaben einher. Dazu gehört die Entwicklung eines Konzeptes in einem schwierigen internationalen Umfeld, das die Stabilität und Sicherheit ganz Europas gewährleisten kann. Die Stichworte hierzu lauten NATO-Reform und NATO-Öffnung. Der Sicherheitsexperte Ulrich Weisser liefert eine Innenansicht dieses schwierigen Unterfangens. Er entwirft ein Szenario möglicher Krisen und Konflikte, auf die sich die Bündnispartner einstellen müssen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.1999

So harmonisch war es nicht
Rückblick eines politischen Soldaten

Ulrich Weisser: Sicherheit für ganz Europa. Die Atlantische Allianz in der Bewährung. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 328 Seiten, 5 Grafiken, 42,- Mark.

Die Atlantische Allianz, die europäische Sicherheit und die deutsche Sicherheitspolitik sind eine sperrige Thematik, die weniger fasziniert als überwältigt. Die meisten Abhandlungen dazu sind von mehr oder weniger gesicherten, mehr oder weniger wissenschaftlichen, dafür aber soliden politischen Vorurteilen geprägt, die Tatsachen bleiben auf der Strecke. Das Buch "Sicherheit für ganz Europa" unterscheidet sich wohltuend von dieser didaktischen, auf "Systeme" abgerichteten Literatur, die singuläre Vorgänge verallgemeinert und einer "Theorie" unterwirft. Insofern täuscht auch der gemeinplatzverdächtige Titel, hinter dem man eine politische Botschaft mit Appellcharakter vermuten kann. Doch der Autor Ulrich Weisser, Vizeadmiral a. D. und bis vor einem Jahr Leiter des Politischen Planungsstabs des Verteidigungsministers Volker Rühe, legt einen Bericht über die deutsche Bündnis- und Sicherheitspolitik im Umbruch Europas vor. Er gibt dazu seine Bewertungen, die er auf selbst Erlebtes gründet: als Berater eines aktiven und ambitionierten Ministers, aber auch als dessen Vertreter in internationalen Verhandlungen und Konsultationen.

Es handelt sich hier um eine Darstellung einer kurzen, aber ereignisreichen und für die euro-atlantische Politik wegweisenden Übergangszeit zwischen dem Ende des Ost-West-Konflikts und der im Frühjahr 1999 während des ersten Krieges, den die Nato als Bündnis führte, vollzogenen ersten "Ost-Erweiterung". Der Autor berichtet von der Zusammenballung neuer Probleme der westlichen Politik in Europa in den acht Jahren seit dem Ende der Sowjetunion und seit dem Beginn des jugoslawischen Zerfallskonflikts.

Zu den beteiligten Beamten des Auswärtigen Dienstes und dem damaligen Außenminister Klaus Kinkel, Partner und Widersacher des Verteidigungsministers Rühe, unterhielt der politische Admiral auf der Hardthöhe zumeist sehr gute Beziehungen, wie es seiner Aufgabe entsprach. Gleichwohl werden sie in manchen Punkten anderer Meinung sein, vor allem was ihre Politik zwischen Washington und Moskau in der kritischen Phase der Diskussion über eine Nato-Erweiterung 1993 bis 1994 angeht. An diesem heiklen Punkt werden in Weissers Darstellung die latenten Gegensätze zwischen den beiden an der Sicherheitspolitik direkt beteiligten Ressorts der Bundesregierung in kurzen Passagen aufgehellt.

So harmonisch, wie der Autor die Beziehungen im Ganzen erscheinen lässt, waren sie nicht, was ja auch weder nötig noch für eine ausgewogene und gründlich durchdachte Regierungspolitik wünschenswert ist. Das zeigen die knappen, aber scharfen Ausfälle gegen zwei der wichtigsten deutschen Botschafter, den (namentlich nicht genannten) in Brüssel bei der Nato und den jener Zeit in Moskau. In der Person des Botschafters in Moskau wird eine ganze Denkschule über den richtigen Umgang mit Russland in der Frage der Nato-Ost-Erweiterung apostrophiert und kritisiert.

Darüber hinaus wird die konzeptionelle Unschlüssigkeit der deutschen Außenpolitik jener Tage zwischen Warschau und Moskau, das Zögern und Tasten der Bonner Diplomatie, auch in Washington, bloßgelegt. Ein milder Seitenhieb fällt dabei auf Kanzler Helmut Kohl. Ihm attestiert der Autor anlässlich einer Stellungnahme für die Öffnung der Nato im Frühjahr 1994 eine "selten klare" Aussage zur deutschen Außenpolitik. Der zu seiner Zeit keineswegs als "Nur-Soldat" geltende politische Militär Weisser (der selbst früher in Kohls Bundeskanzleramt gedient hatte) wusste freilich, warum der Kanzler nicht immer Klartext vor der Öffentlichkeit sprechen konnte, auch wenn sich sein Verteidigungsminister dies wünschte.

Weissers Darstellung der Entwicklung der deutschen Bündnis- und Sicherheitspolitik nach 1992 lässt auch die sehr persönliche, anfangs im Kabinett nicht gestützte Politik seines Ministers Rühe deutlich werden. Der Autor markiert damit ein weites Feld unaufgeklärter Vorgänge in Regierung und Bündnis mit vorsichtig gesteckten Pflöcken, ohne es etwa aufzureißen, geschweige denn durchzupflügen.

Weisser beschreibt eine deutsche Erfolgsgeschichte - nicht frei von auch heute noch nicht wirklich aufgelösten Zielkonflikten und über zwei Jahre durchaus auch nicht frei von Unfallrisiken (die vor allem die Bonner Diplomatie scheute). Er übt indirekte Kritik an bestimmten Aspekten der Nato-Kriegsführung gegen Jugoslawien, indem er den Standpunkt der im April 1999 aufgenommenen neuen Verbündeten in Mitteleuropa einnimmt: etwa zu den Bombardierungen von Brücken und Industrieanlagen, die zur Folge haben, dass der Verkehr auf der Donau stillliegt, zu den wirtschaftlichen Konsequenzen für Mittel- und Südosteuropa und den psychologischen Wirkungen.

Die Schlussfolgerungen des Autors bleiben differenziert und ebenso vorsichtig wie deutlich. Er legt nicht nur einen Bericht vor über den ersten strategisch angelegten Entwurf einer europäischen Sicherheitspolitik über den Bereich der Verteidigung hinaus, die dem Drängen der östlichen Nachbarn zur Allianz rechtzeitig entgegengekommen ist. Der Autor weist auch für die Außenpolitik die Richtung zu konkretem Handeln, unterscheidet sich somit vorteilhaft von der rhetorischen Sicherheitspolitik und ihrer Kommuniqué-Sprache.

LOTHAR RÜHL

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