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Das NS-Regime versuchte alle Formen der Sexualität auszumerzen, die nicht dem erklärten Ziel der Ausbreitung der arischen Rasse diente. Seit der Beseitigung der SA und ihres Führers Ernst Röhm im Juni 1934 ging die Führung mit besonderer Brutalität gegen homosexuelle Männer vor. Im Gegenzug wurden die nationalsozialistischen Familiennormen enger gefasst und Frauen zunehmend auf die Funktion bloßer "Gebärmaschinen" reduziert. Die Wahnvorstellung von der arischen Rasse mündete in Zwangssterilisation und Auslese durch linientreue Forscher. Und die NS-Führer selber? "Ich fürchte, ich bringe den…mehr

Produktbeschreibung
Das NS-Regime versuchte alle Formen der Sexualität auszumerzen, die nicht dem erklärten Ziel der Ausbreitung der arischen Rasse diente. Seit der Beseitigung der SA und ihres Führers Ernst Röhm im Juni 1934 ging die Führung mit besonderer Brutalität gegen homosexuelle Männer vor. Im Gegenzug wurden die nationalsozialistischen Familiennormen enger gefasst und Frauen zunehmend auf die Funktion bloßer "Gebärmaschinen" reduziert. Die Wahnvorstellung von der arischen Rasse mündete in Zwangssterilisation und Auslese durch linientreue Forscher. Und die NS-Führer selber? "Ich fürchte, ich bringe den Frauen kein Glück", erklärte Hitler 1939, als sich eine seiner Verehrerinnen das Leben zu nehmen versuchte. Hitlers und Goebbels Umgang mit ihren Geliebten war für die Haltung des NS-Regimes zur Sexualität ebenso bezeichnend wie Himmlers Homophobie. Eine breit angelegte, quellenintensive und brillant geschriebene Untersuchung über die Unterdrückung von Lust und Gefühl im Dritten Reich.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.02.2000

Umerziehung im Bordell
Die Ideologie der Nazis prägte auch nach dem Krieg die Sexualität
STEFAN MAIWALD, GERD MISCHLER: Sexualität unter dem Hakenkreuz, Manipulation und Vernichtung der Intimsphäre im NS-Staat, Europa Verlag, Hamburg/Wien 1999. 287 Seiten, 39,80 Mark.
Johanna Haarers „Die Mutter und ihr erstes Kind” war ein Bestseller. 1,2 Millionen Exemplare wurden bis 1988 verkauft. Nach 1945 hat das Standardwerk einige kleine Änderungen erfahren, im NS-Staat hieß es noch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind”. Über Haarers Buch wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht diskutiert – vielleicht auch, weil über den verheerenden Einfluss des NS-Regimes auf Sexualität, Liebe und Ehe nach 1945 geschwiegen wurde. Stefan Maiwald und Gerd Mischler klagen das Schweigen von Politik und Gesellschaft zu diesen NS-Verbrechen vehement an, und das zu recht: Erst 1968 wurde das „Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses” formell für ungültig erklärt. Erst seit 1980 können Opfer von Zwangssterilisationen eine Entschädigung beantragen.
Mit der Machtergreifung wurde auch die sexuelle Freizügigkeit, die in der Weimarer Republik aufblühte, der Gleichschaltung unterworfen. Liebe und Ehe stellten die Nazis unter ihre rassenideologischen Maximen; auf Abtreibung stand die Todesstrafe – jedenfalls bei „rassisch wertvollen” Müttern. Sinn der Ehe sollte die Aufzucht von Nachkommen sein, Kinder galten als Eigentum der Volksgemeinschaft. Kinderlose Beamte mussten Rechenschaft darüber ablegen, warum sie keine Kinder hatten. Frauen wurden aus dem Beruf verdrängt; waren sie „ehetauglich”, so galt als ihre Lebensaufgabe, viele Kinder zu gebären: viele künftige Soldaten also, nach denen das Regime verlangte.
Nierenstein als Ehe-Hindernis
Mit der „Ehegesundheitsberatung” wurde ein Meldenetz aufgebaut, das von der Zeugungsfähigkeit über Regimetreue bis hin zur Erziehungsfähigkeit alles erfasste. Der ermittelte „Erbwert” diente den Behörden als Instrument der Verfolgung. Als „nicht ehetauglich” galten selbst Menschen, die an Nierensteinen litten; dem Partner wurde empfohlen, sich jemand anderen zu suchen. Kinder, das lehrte auch Johanna Haarers Erziehungsbuch, sollten vom Säuglingsalter an zu harten, asketischen Menschen erzogen werden, die keinen Schmerz kannten und ihre Triebe zu beherrschen hatten. Wer nicht zu dieser Norm gehörte, wer homosexuell war, gegen die Rassengesetze verstieß oder dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” nicht genügte, der wurde der Willkür des Staates unterworfen.
Mehr als 400 000 Menschen wurden von den Nazis zwangssterilisiert, mehr als 70 000 Kinder sowie geistig und körperlich Gebrechliche ermordet. Mit Menschenversuchen in Konzentrationslagern sollten billigere Sterilisationsmethoden entwickelt werden, die Mediziner Carl Clauberg und Horst Schumann untersuchten in Auschwitz-Birkenau die grauenhafte Wirkung von Bariumsulfat und Röntgenstrahlen. Homosexuelle Männer wurden kastriert, in Konzentrationslager gebracht. Den meisten lesbischen Frauen blieb diese Verfolgung erspart. Die SS glaubte, sie durch eine „Zwangstherapie” umerziehen zu können – etwa in einem Bordell.
Hitlers Liebesleben
Maiwald und Mischler lassen keinen Aspekt aus: nicht das Ehe- und Liebesleben von Hitler, Göring und Goebbels, nicht die Homosexualität von Ernst Röhm, nicht die Folgen des Krieges. Beschrieben werden ausführlich das Schicksal einer Generation, die ohne Väter aufwächst, die Liebschaften der Soldaten an der Westfront, die Vernichtung von Frauen durch sexuelle Gewalt. Auch die erste Nachkriegszeit gehört nach Ansicht der Autoren zur Sexualität unter dem Hakenkreuz, etwa die Vergewaltigung deutscher Frauen durch russische Soldaten.
Die Autoren haben eine Fülle an bekannten und unbekannten Informationen zusammengetragen. Nichts wollten sie weglassen – und dies macht das an sich wichtige Buch manchmal schwierig. Einige Kapitel werden zu einer gedrängten Materialsammlung, die Beschreibungen wirken fast gehetzt, so auch das zentrale Kapitel Familie, in dem all zu schnell vom Alltag zum Kriegsalltag übergegangen wird. Andere Kapitel sind zu ausführlich angelegt, weil sich die Autoren in Details verlieren. Überdies werden Assoziationen zwischen den Liebeserfahrungen von Hitler, Göring und Goebbels und ihrer Politik geweckt, die zu geradlinig und schlicht sind.
„Manipulation und Vernichtung der Intimsphäre im NS–Staat” steht im Titel des Buches, doch die Autoren lassen sich nur in Ausnahmefällen auf jene Nähe ein, die das Thema verlangt. Wie das Geflecht von Gesetzen, von Willkür und Bespitzelung menschliche Beziehungen zerstört haben, dies überlassen die Autoren weitgehend der Phantasie ihrer Leser. So bleibt ihr Buch, trotz aller Materialfülle, leider lückenhaft.
HEIDRUN GRAUPNER
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