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Der 4. Juli 1954 ging als "Wunder von Bern" in die Geschichte ein: Deutschland wurde Fußballweltmeister. Der Spiegel-Redakteur Jürgen Leinemann hat den umfangreichen Nachlass Sepp Herbergers, des Bundestrainers der Siegermannschaft, gesichtet und beschreibt das Leben dieses ungewöhnlichen Mannes, der schon zu Lebzeiten zur Legende wurde.

Produktbeschreibung
Der 4. Juli 1954 ging als "Wunder von Bern" in die Geschichte ein: Deutschland wurde Fußballweltmeister. Der Spiegel-Redakteur Jürgen Leinemann hat den umfangreichen Nachlass Sepp Herbergers, des Bundestrainers der Siegermannschaft, gesichtet und beschreibt das Leben dieses ungewöhnlichen Mannes, der schon zu Lebzeiten zur Legende wurde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.1997

Mobil und ein Fossil: Ein Geschichtsbuch über "den Chef", eine deutsche Vaterfigur

In diesem Jahr wäre Sepp Herberger hundert Jahre alt geworden. Er hat seine Memoiren schreiben wollen, doch er ist nie mit ihnen zu Rande gekommen. Warum dieser vom Fußball Besessene nicht dazu gekommen ist? In seinem an diesem Mittwoch in die Läden kommenden Buch "Sepp Herberger. Ein Leben, eine Legende" hat Jürgen Leinemann auch diese Frage schlüssig und einfühlsam beantwortet. Der Journalist vom "Spiegel" hat sich eingelesen in 361 Aktenordner, in denen Herberger Notizen, Mannschaftsaufstellungen, Trainingsanweisungen, theoretische Abhandlungen, Glückwünsche, Beschimpfungen, Redemanuskripte und Memoirensplitter zusammengetragen hat. Mit der Spürnase eines Reporters hat Leinemann Witterung aufgenommen. Als einer vom Jahrgang 1937 konnte er keine Karriere begleiten, die schon vor 1936 begonnen hatte, als Herberger schließlich zum Reichstrainer berufen wurde. Aber als guter Reporter hat er sie beschrieben, als wäre er dabeigewesen. Mit dem Vorteil der Rückschau und der Distanz.

"Nach dem Spiel ist vor dem Spiel", pflegte der Trainerfuchs Herberger zu saben. Nach diesem gründlichen, umfassenden Werk, für das der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Sepp-Herberger-Stiftung ihre Archive öffneten, wird es kaum noch ein weiteres Buch über Herberger geben können. Es ist alles gesagt. Es ist zugleich ein deutsches Geschichtsbuch geworden, wobei nicht ausdrücklich die Fußballgeschichte gemeint ist. "Der Chef", wie ihn sein Lieblingsschüler Fritz Walter noch heute nennt, hat sich in einem Deutschland nach der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, dem Nazireich und schließlich in der Demokratie des westlichen Teil-Vaterlandes eingerichtet. Im Vorwort "Väter" geht Leinemann mit seinem eigenen Vater harsch ins Gericht. Das "Väterliche" an Herberger mochte viele anziehen. "Mich nicht. Denn so einen Vater hatte ich selber, einen der - bis in die Einzelheiten seinen Lebensweges hinein - dem Bundestrainer nur allzu ähnlich schien." Nach der Nazizeit hatte der Vater für Leinemann als Vorbild grundsätzlich verspielt. Am Ende seines Buches zollt der ursprünglich so voreingenommene Leinemann der Vaterfigur Herberger, der stets für seine "Bube" da war, Respekt. Es spricht so viel Wärme aus seinen Zeilen, daß Leinemann wohl auch Frieden mit seinem Vater geschlossen hat.

Die Unfähigkeit, trotz größter und jahrelanger Anstrengungen sein Leben auf einen Nenner zu bringen, macht Herberger für Leinemann zur Symbolfigur der fünfziger Jahre. Was den Bundestrainer im Urteil Leinemanns von vielen Mitmenschen unterschied, war die "pragmatische Fähigkeit, sich den modernen Gegebenheiten anzupassen". "Herberger war mobil, modern, flexibel. Und zugleich war er ein zutiefst altmodischer Mensch, ein Fossil an Prinzipientreue und Disziplin, ein Ausbund aller preußischen Tugenden, ein gewiefter Taktiker der Ausgewogenheit." Am Ende seiner Zeit, mit 80 Jahren, sagte Herberger, "rückblickend würde ich lügen, wenn ich behauptete, mein Leben sei völlig ohne Grenzverletzungen verlaufen". Es überstand zwei Weltkriege, eine Ausbombung.

Leinemann schildert den Weg des ehrgeizigen, früh vaterlosen Arbeiterjungen aus Waldhof so bildhaft, als wäre er ihm wie ein unsichtbarer Schatten auf allen Wegen gefolgt. Von der Kindheit in Armut, der Einberufung im Ersten Weltkrieg, der er Folge leistete ("kein Ehrgeiz, aber Pflicht"), über den Spieler Herberger bis zum späteren Bundestrainer Herberger. "Als Wertekorsett hielten er und seine Frau sich an die kleinbürgerlichen, ehrpusseligen Formaltugenden des Wilhelminischen Kaiserreichs." Der Diplomsportlehrer aus Duisburg, Gau Essen, wurde am 1. Mai 1933 als Mitglied Nummer 2208548 in die NSDAP aufgenommen. Ob er deshalb zum Nazi wurde? "Es gelang Herberger, einen eigensinnigen Abstand zu halten, ohne sich zu verweigern." Vorauseilender Gehorsam jedenfalls war seine Sache nicht.

Das Buch ist ein Schatz an Zitaten, eine Fundgrube an Nationalspielern und dem, was sie so angestellt haben. Auch der junge Beckenbauer kommt drin vor. Mit 17 hielt Nachwuchstrainer Dettmar Cramer ihn für "so gut wie Fritz Walter, wenn nicht besser". Nur habe der Franz, so ließ der Tainer den Spielausschuß des DFB wissen, "eine Riesendummheit gemacht - er sei Vater geworden, unehelich". In der UEFA-Auswahl durfte er schließlich dennoch spielen, "mußte aber, um kein weiteres Unheil anstellen zu können, im Doppelbett mit Trainer Cramer übernachten". Eine der wenigen Passagen zum Schmunzeln in einem Erinnerungsbuch, das vor allem die Konflikte der Generationen in schwierigen Zeiten sichtbar macht.

In den sechziger Jahren, zur Zeit der Studentenrevolte, als alles und jeder in Frage gestellt wurde, wäre Leinemann vermutlich härter mit dem "Seppl" ins Gericht gegangen. Zwischen den Zeilen spürt man das Ringen des Autors. Sein Intellekt legt ihm grundsätzliches Mißtrauen zu allen Autoritäten auf, vom Gefühl her aber bewundert er "diese Beharrlichkeit und Sturheit beim Durchsetzen seiner Ziele". Und später: "Das Leben hat ihn gewitzt gemacht. Listig, schlau, opportunistisch, giftig, bockbeinig." Der Gewinn des Weltmeistertitels 1954 ist eines von zwanzig Kapiteln. Auch wenn es "Das Wunder von Bern" heißt - Leinemann macht deutlich, daß Herberger nicht auf Wunder baute, sondern auf Arbeit, Arbeit und, weil es um Fußball ging: auch Kameradschaft. Der Star ist die Mannschaft, hieß es schon damals. Nur wurden andere Worte gewählt.

Im Vorwort hat sich Leinemann beklagt, daß damals, in seinem Elternhaus - wie in Millionen anderen -, Fragen nach der Vergangenheit nicht beliebt waren. "Wer fragte, war illoyal, rührte an Tabus." In seinem Buch hat er gefragt, ist zu Schlüssen gekommen, hat an Tabus gerührt. Er zählt zur Generation der Söhne, die im Nachgang die Hinterlassenschaft ihrer Väter aufgearbeitet haben. Herberger hätte der seinige sein können. Mit allen Gefährdungen, Versuchungen. Sie waren die Verlierer der Geschichte und wurden zu Gewinnern des Fußballs. Trotzdem und gerade deshalb. Der Triumph half den Tatmenschen, die Vergangenheit zu verdrängen.

Einsatzwille, Unterordnung, Kameradschaft, Hingabe hießen Herbergers zentrale Begriffe. Das Buch beginnt, als wollte er Herberger und seiner Generation die Leviten lesen, am Ende nähert sich Leinemann einer Hommage an Herberger, so nahe ist er ihm beim Studium dieses Lebens mit einem Stück Bodensatz aus der deutschen Kaiserzeit gekommen. Im Idealfall werden Herbergers Freunde von damals, ob Fritz Walter, Bernhard Minetti und befreundete Journalisten wie Rudi Michel und Horst Vetten, nach der Lektüre zum Schluß kommen: Ja, so war er! Der Ball ist rund, pflegte Sepp Herberger zu sagen. Das Buch ist rund. Mit ihm hat sich ein Leben gerundet. HANS-JOACHIM LEYENBERG

Besprochenes Buch: Jürgen Leinemann: "Sepp Herberger. Ein Leben, eine Legende". Rowohlt, Berlin, 491 Seiten, 23 Fotos, 39,80 Mark.

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