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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.1998

Wo Denker ihre Nester bauen
Da bleiben kluge Leser kleben: Annemarie Pieper lehrt philosophieren

Philosophie steht hoch im Kurs. Sogar Fußballprofis können einen heute mit einer solchen beglücken. Warum auch nicht - der Ehrentitel ist nicht patentiert und Denken der Tendenz nach weit verbreitet. Doch Denken heißt bekanntlich selber denken, und weil das nicht immer einfach ist, will Annemarie Pieper dabei Hilfestellung leisten.

Als Leitmetapher hat die Basler Professorin sich die Spinne ausgesucht. Wie diese sorgsam Netze konstruiert und dann in Ruhe auf die Beute wartet, entwerfen Philosophen Netze der Vernunft und sehen zu, was sich darin verfängt. Die Analogie könnte man weiterspinnen, doch nur im Vorwort läßt sich Pieper kurz zu spielerischen Bildverknüpfungen verführen. Nun überzieht die spinneninspirierte Gliederung den Text wie frische, taubeglänzte Spinnweben. Ein Windstoß, und darunter kommt das trockene Brot der Universitätsphilosophie zum Vorschein. Pieper beginnt weder mit einer Alltagsbeobachtung, aus der sich ein philosophischer Gedanke entwickeln ließe, noch mit einer der großen Fragen nach Sinn und Zweck von Mensch und Welt. Am Anfang steht der Versuch einer Selbstverständigung: Was ist Philosophie? Erst nachdem die Muße als Voraussetzung gewürdigt und das Feld mit Aristoteles nach Disziplinen eingeteilt ist, entfaltet Pieper das Panorama philosophischen Denkens: In dreizehn Abschnitten, die jeweils einem Grundproblem gewidmet sind, wird dem Leser demonstriert, was im Laufe der Jahrhunderte dazu im Abendland gedacht, gesagt, geschrieben wurde.

Gelungen ist der Autorin ein guter, weitgefaßter Überblick, wie man ihn von einer Einführung erwarten darf. Knappe Texte verbinden eine Fülle an Originalzitaten. Die Wahl von Themen und Autoren entspricht fast durchweg dem Kanon. Erfrischend untraditionell ist das Schlußkapitel über feministische Philosophie, leider allerdings nur ein Anhängsel zum Bericht aus der maskulinen Denkerwelt. Wie reizvoll wäre es gewesen, hätte die Autorin den angestrebten Biß der Spinnenfrau schon vorher mehrfach angebracht.

Eigentümlich spärlich ist, trotz eines Kapitels über Utopien (in dem man Ernst Bloch vergeblich sucht), die politische Philosophie vertreten. Es fehlt ein einflußreicher Autor wie Hobbes, und dessen Landsleute Bentham, Berkeley und Shaftesbury fallen ebenfalls dem Faible der Autorin für zeitgenössische französische Philosophen zum Opfer. Das reiche Material läßt diese Lücke schnell vergessen, sind es doch individuelle Präferenzen, die einer Auswahl erst Profil verleihen. Lediglich für den modischen Ausflug in die Chaostheorie gilt das klassische si tacuisses: Wer wie Pieper chaotische Systeme schlicht als regellos bezeichnet und ihnen absolute Zufälligkeit unterstellt, verpaßt gerade die Pointe, daß hier Kausalgesetze über Ordnung und Chaos herrschen. Statt der nicht entschlüsselten Rede von einem "synchronisierten Chaos", das sich für die Übertragung geheimer Nachrichten nutzen lasse, hätte der Schlüsselbegriff des "deterministischen Chaos" erwähnt und sachgerecht erklärt werden müssen.

Glückt die Anstiftung, die der Untertitel verspricht? Zu oft werden im Bürokratenstil Probleme "dahingehend gelöst", kann ein Gedanke "rückblickend als Resultat festgehalten werden". Und vor das propagierte Selberdenken wird mehrfach ohne Not der philosophische Jargon gestellt. Daß es auch anders geht, hat Thomas Nagel mit seinem Bändchen "Was bedeutet das alles?" gezeigt. Aus Kleinigkeiten setzt der New Yorker das Selberdenken in Bewegung; bei Annemarie Pieper erfährt der Leser, mit welchen Meisterdenkern sich weiterdenken läßt. ACHIM BAHNEN

Annemarie Pieper: "Selber denken". Anstiftung zum Philosophieren. Reclam Verlag, Leipzig 1997. 189 S., br., 17,- DM.

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Gelungen ist der Autorin ein guter, weit gefaßter Überblick, wie man ihn von einer Einführung erwarten darf. Knappe Texte verbinden eine Fülle von Originalzitaten. Die Wahl von Themen und Autoren entspricht fast durchweg dem Kanon. Erfrischend untraditionell ist das Schlußkapitel über feministische Philosophie, leider allerdings nur ein Anhängsel zum Bericht aus der maskulinen Denkerwelt. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Keine jener Abhandlungen, die mit professioneller Nachdenklichkeit die bekannten Textstellen von Adorno bis Zenon kommentieren. Entstanden ist vielmehr ein klug aufgebauter Themenüberblick, der zum Quer- und Weiterlesen verführt - und damit auch zu Gedankengängen, die im Buch überhaupt nicht vorkommen. Basler Zeitung