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Der Lebensstandard breiter Bevölkerungsgruppen sinkt, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, der Ausweg in die Dienstleistungsgesellschaft erweist sich als Illusion. Die Marktwirtschaft wird mit ihren Produktivitätssprüngen - Automation und Globalisierung - nicht mehr fertig. Robert Kurz seziert die Marktwirtschaft, zeichnet die drei industriellen Revolutionen nach und belegt, wie der Kapitalismus aus weitverzweigten Wurzeln und vielen Quellen im Laufe der Geschichte Varianten seiner inneren Widersprüchlichkeit hervorgetrieben hat: Liberalismus und Sozialdemokratie, den Staatsozialismus als Form…mehr

Produktbeschreibung
Der Lebensstandard breiter Bevölkerungsgruppen sinkt, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, der Ausweg in die Dienstleistungsgesellschaft erweist sich als Illusion. Die Marktwirtschaft wird mit ihren Produktivitätssprüngen - Automation und Globalisierung - nicht mehr fertig. Robert Kurz seziert die Marktwirtschaft, zeichnet die drei industriellen Revolutionen nach und belegt, wie der Kapitalismus aus weitverzweigten Wurzeln und vielen Quellen im Laufe der Geschichte Varianten seiner inneren Widersprüchlichkeit hervorgetrieben hat: Liberalismus und Sozialdemokratie, den Staatsozialismus als Form nachholender Modernisierung, aber auch immer wieder Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Es zeigt sich, dass di e bisherigen Gegenentwürfe das Wesen der kapitalistischen Geldmaschine ungangetastet ließen und selber nur Trendsetter jener permanenten 'Modernisierung' waren, die sich zunehmend als antisozialistischer Drohbegriff entpuppt. Aber ausgerechnet in demselben Maße, wie er von allen Parteien zum alternativlosen Schicksal der Menschheit erklärt wird, treibt der Kapitalismus heute auf eine ausweglose Situation zu.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2000

Militant und skandalträchtig
Eine Hetzschrift gegen Marktwirtschaft und Kapitalismus

Robert Kurz: Schwarzbuch Kapitalismus: Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999, 816 Seiten, 68 DM.

Seit der Veröffentlichung des "Schwarzbuchs des Kommunismus" jagt ein Schwarzbuch das andere. Auf diesen Zug ist auch der Publizist Robert Kurz gesprungen. Es war bloß eine Frage der Zeit, wann jemand - unschwer als Retourkutsche erkennbar - einen Abgesang auf den Kapitalismus anstimmen würde. Der Bezug zum "Schwarzbuch des Kommunismus" offenbart sich nicht zuletzt in dem Komplex über das "System der totalitären Weltmarkt-Demokratien". Hier ist wie selbstverständlich von der "totalen Mobilmachung" des Kapitalismus, vom "totalitären Markt", "sozialökonomischen Totalitarismus" wie vom "totalitären Freizeitkapitalismus" die Rede, als gehe es darum, eine Wirtschaftsordnung durch eine entlarvende Terminologie zu stigmatisieren, um ihr besser das Handwerk legen zu können.

Den Totalitarismus nur im staatlich-politischen Bereich aufzuspüren erscheint Kurz unzureichend. Für den marxistisch geschulten Autor ist der politische Totalitarismus lediglich eine Spielart des sozioökonomischen. Im Vergleich zum totalitären Staat sei nämlich der freie Markt "viel totalitärer", weil er tiefer in das menschliche Bewusstsein eindringe. Demnach überwindet die "liberale Weltmarkt-Demokratie" nicht den Totalitarismus, sondern vollendet diesen. Zu solchen abstrusen Schlussfolgerungen kann der Verfasser nur kommen, weil er alles in einen Topf wirft, statt die fundamentalen Unterschiede zwischen Demokratie und Totalitarismus herauszuarbeiten. Denn wer der ständigen medialen Berieselung im öffentlichen Raum "terroristischen Charakter" unterstellt und die Ansicht vertritt: "Das geht weit über die militärischen Anfänge im ,totalen Krieg' hinaus", der kennt weder die Wirklichkeit in einer Diktatur noch in einer Demokratie.

"Entsetzt sehen wir, dass der Kapitalismus, seitdem sein Bruder, der Sozialismus, für tot erklärt wurde, vom Größenwahn bewegt ist und sich ungehemmt auszutoben begonnen hat." Das sagt nicht Robert Kurz, der dem aber gewiss beipflichten würde, vielmehr stammt die Äußerung von Günter Grass. Sie ist dessen Nobelpreisrede entnommen und verdeutlicht den Wert antikapitalistischer Positionen, die - zehn Jahre nach der Implosion des Kommunismus - längst wieder gesellschaftsfähig geworden sind. Man kann in der vorliegenden Studie einen Beleg dafür sehen.

Im Mittelpunkt steht die Geschichte der ersten, zweiten und der dritten industriellen Revolution. Der Autor möchte die Aporien des Kapitalismus aufzeigen. Wie ein roter Faden zieht sich die "Erkenntnis" durch das Buch, die Marktwirtschaft mache wenige reich, die Masse hingegen arm. Mit dem Auftreten des Kapitalismus hätten sich die menschlichen Lebensbedingungen, von wenigen prosperierenden Phasen abgesehen, kontinuierlich verschlechtert. Medizinischer und technischer Fortschritt, verbesserte Hygiene, Bildungsexpansion und höheres Einkommen je Kopf, um nur eine kleine Auswahl zu treffen, finden keine Gnade vor den Augen des Kritikers.

Der Kapitalismus wird gleichsam für alle Probleme der Welt verantwortlich gemacht. Die Schwierigkeiten in Afrika schiebt der Verfasser einzig ihm in die Schuhe. Andere Faktoren - historische, kulturelle oder umweltbedingte - bleiben außen vor. Die Marktwirtschaft, "ein brutales Gewinner-Verlierer-Spiel", gilt Kurz als "antihumane Gesellschaftsform". Wer von deren Alternativlosigkeit spreche, sei ein "zynischer Rechtfertigungs-Ideologe". Weder Umverteilung noch Verzicht könnten helfen, da sie sich innerhalb der Logik des kapitalistischen Systems bewegten. Die Marktwirtschaft selbst sei das Problem.

Gewiss, Kapitalismus bedeutet nicht das Paradies auf Erden; Defizite sind kaum von der Hand zu weisen. Doch Kurz schüttet das Kind mit dem Bade aus. Denn welches Wirtschaftssystem schafft so viele Arbeitsplätze, die sich am Markt behaupten können, ohne dass es sich um verdeckte Arbeitslosigkeit handelt? Die Freiheit des Marktes, vom Autor grundsätzlich in Anführungszeichen gesetzt, ist alles andere als ein Trugschluss. Sie ermöglicht eine Dynamik, die letztlich allen zugute kommt, auch den sozial Schwachen. Der Publizist weigert sich beharrlich, solche Positiva zur Kenntnis zu nehmen.

Wissenschaftler wie Politiker, die die kurzschen Positionen nicht teilen, stellt dieser ins Abseits. So werden die Arbeiten von Milton Friedman und Friedrich A. von Hayek unter "Angebots-Extremismus" subsumiert, oder Otto Graf Lambsdorff firmiert als "die wirtschaftsextremistische ,graue Eminenz' der deutschen Liberalen". Wie es um das Rechtsbewusstsein des Verfassers bestellt ist, verdeutlicht folgendes Beispiel: "Auch der Asylbewerber, der illegal die Sozialämter der halben BRD abklappert und sich nach seiner Abzockerei idiotischerweise eine Rolex zulegt, nimmt sich nur einen Anteil dieses Reichtums, der ihm als Mensch nach dem Stand der Produktivkräfte in einer vernünftigen Form hundertfach und tausendfach zustehen würde."

Fällt schon die Diagnose wenig überzeugend aus, gilt das erst recht für die Therapie. Diese macht das Buch endgültig zum Skandal: "Ist es nicht besser, erhobenen Hauptes und mit der Waffe in der Hand im Kampf gegen die Polizei des demokratischen Orwell-Staates zu sterben", schreibt der Autor mit Blick auf die Sozialhilfeempfänger, "als sich zum Idioten der ,Besserverdienenden' machen zu müssen?" Später ruft Kurz zu einer "sozialen Rebellion gegen die unverschämten Zumutungen von ,Marktwirtschaft und Demokratie'" auf.

Angesichts der bombastischen Kritik am Kapitalismus könnte der Gegensatz zu der banalen Alternative - so genannte "Räte" sollten das "System von ,Demokratie und Marktwirtschaft'" ablösen - gar nicht größer sein. Denn was Kurz für das einundzwanzigste Jahrhundert feilbietet, ist ein Ladenhüter des neunzehnten Jahrhunderts. Das Rätesystem impliziert einen einheitlichen Volkswillen - wie soll der in einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft eigentlich zustande kommen? - und führt zwangsläufig zur Aufgabe der Gewaltenteilung. Mit ihm geht eine Totalpolitisierung zugunsten weniger einher; gleichzeitig besteht die Gefahr der Verselbständigung der Mehrheit. Zeiterfordernis und Effizienz stehen in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis.

Ginge es nach Kurz, wären "alle destruktiven und unsinnigen Produktionen ersatzlos stillzulegen, die nur der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems dienen (von der Geldverwaltung bis zur nervtötenden medialen Glocke der ,Werbung')". Was den letztgenannten Punkt betrifft, legt der Autor - in eigener Sache, versteht sich - eine gewisse Flexibilität an den Tag. Er steht schon seit Anfang November für Anfragen der Presse zur Verfügung. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Was den erstgenannten Punkt betrifft, "alle destruktiven und unsinnigen Produktionen ersatzlos stillzulegen", kann Kurz froh sein, dass seine Kriterien beim "Schwarzbuch Kapitalismus" keine Anwendung finden. Und das ist gut so! Diktaturerfahrungen gibt es schon genug in Deutschland.

RALF ALTENHOF

(Technische Universität Chemnitz, Politikwissenschaft)

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Schwarzbücher haben Konjunktur, schreibt der Rezensent Günther Frieß, und nachdem bereits das Ende des Kommunismus konstatiert wurde, ist nun also der Kapitalismus an der Reihe, angeschwärzt zu werden. Allerdings ist ein Ende des Kapitalismus nicht in Sicht, und gerade darum sei es ein mutiges Unterfangen, meint Frieß, in dieser Zeit eines sich "alternativlos" zeigenden Gesellschaftssystems, dessen laut Autor "unheilvolle" Geschichte zu bilanzieren. Kurz` Schwarzbuch tut dies gründlich und auf offenbar lesenswerte Weise, folgt man den Ausführungen von Frieß. Als Manko des Buches sieht er allerdings die Tendenz des Autors, "den Kapitalismus als Wurzel allen Übels" zu betrachten. Dies verstricke den Autor in eher paranoide Verschwörungstheorien, die davon ablenken, dass Kurz zwar Handlungsbedarf, aber kein Personal für eine soziale Rebellion sieht.

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