Produktdetails
  • Verlag: edition selene
  • ISBN-13: 9783852660745
  • ISBN-10: 3852660742
  • Artikelnr.: 24065358
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2000

So billig ist eine Kunstnation
Von Klima bis Schüssel: Gerhard Ruiss hat ein schonungsloses Schwarzbuch zu Österreichs Umgang mit der Kultur vorgelegt
Von einer demokratischen Wende sprechen die beiden, Österreichs neuer Kanzler Wolfgang Schüssel und Jörg Haider, der zwar als Landeshauptmann in Kärnten bleiben will, in Wien aber als Schüssels Schatten übermächtig präsent sein und mitregieren wird. Eine Wende, die alle Bereiche der österreichischen Gesellschaft erfassen soll, auch die Kultur natürlich – wofür aber die Sozialdemokraten bereits einiges an Vorarbeit geleistet haben. Schon als Schüssels Vorgänger Viktor Klima den Regierungsstab übernahm, war der große Bereich der Kultur das billigste und willigste Objekt, um den frisch gebackenen Kanzler als „Macher” zu präsentieren.
Viktor Klima schaffte den Kulturminister ab – den verdienstvollen Rudolf Scholten, der dem Burgtheater-Berserker Claus Peymann lange den Rücken stärkte – und zog die ministeriellen Kompetenzen an sich. Für die Alltagsarbeit installierte er einen Kulturstaatssekretär: Peter Wittmann, der bis dahin nur durch die Organisation eines Pink-Floyd-Konzerts in der österreichischen Provinz aufgefallen war. Er fiel auch weiter auf – durch skurrile Fernsehauftritte und von kultureller Unkenntnis geprägten Äußerungen. Klima hatte damit einen radikalen Bruch mit jener Tradition vollzogen, die ein Vierteljahrhundert das österreichische Kulturleben geprägt und eine nicht geringe touristische Anziehungskraft des Landes ausgemacht hatte. Kultur war nun sogenannte Chef- und Managementsache. Wie Kulturpolitik unter Klima in Zukunft aussehen sollte, wurde in einem sogenannten „Weißbuch” dargelegt. Es enthielt schon damals nur die Fortschreibung längst bekannter Ideen.
Auch Gerhard Ruiss, seit fast zwei Jahrzehnten Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, ließ damals seine Vorstellungen zur Kulturpoltik in dieses Weißbuch einfließen – nur um dann die Erfahrung zu machen, dass sich das öffentliche Reden über den Wert von Kunst und Kultur unter Klima und Wittmann auf die triviale Frage reduzierte, ob und wann sie ihr Geld wert sind. Wirtschaftsfaktor und Umwegrentabilität hießen die Zauberworte, das Musical bekam Priorität vor dem zeitgenössischen Musiktheater. Seine wütenden und verärgerten Einmischungen der letzten Jahre legt Ruiss deshalb passenderweise als Schwarz. Buch vor: Berichte, Resolutionen, offene Briefe, Pressemitteilungen, Zeitungsausschnitte summieren sich da zu einem gesellschaftspolitischen Sittenbild, das Ruiss mit pointierten Untertiteln zur schwarzen Komödie stilisiert.
Ruiss spannt einen weiten Bogen: von den Briefbomben und dem Attentat von Oberwart (1994) über die „Chefsache Kunst”, „Gießkannenförderung”, Buchpreisbindung, Rechtschreibreform und Zensurfälle bis hin zum Kulturkampf der FPÖ. Die einzelnen Kapitel sind mit kurzen Einleitungen versehen – ansonsten sprechen die Tatsachen für sich. Zur Literaturförderung, die weiter gekürzt werden sollte, zitiert Ruiss aus einem Artikel des Wiener Kurier: „Nur 10,5 Prozent des österreichischen Kunstbudgets, das wiederum nur 0,15 Prozent des Gesamtbudgets ausmacht (,so billig ist eine Kunstnation zu haben‘), ist der Literatur gewidmet. ” Zahlen, die Ruiss dann weiter präzisiert: „Ein Viertel dieser Ausgaben wurde zudem nicht für Literatur, sondern zur Finanzierung von Kunst- und Filmkuratoren und anderer Einrichtungen verwendet. ”
Ruiss, der Streiter für die angemessene Honorierung von Künstlerinnen und Künstlern, vermeldet im Schwarz. Buch auch eher kuriose Aktionen, die aber die Wut der Künstler eindrücklich unterstreichen. Die Wiener Künstlerin Maria Yara lud 1997 zur „ressortkonformen Zusammenführung von Sport und Kunst” mit folgenden Worten: „Anlässlich der Abschaffung des Kunstministeriums werde ich als Reaktion in einem Event 20 meiner Bilder öffentlich erschießen lassen . . . Die Anwesenden dürfen auf Wunsch die Werke selbst erschießen, die Waffen werden unter professioneller Begleitung zur Verfügung gestellt. ”
Der letzte Teil des Buches setzt sich mit der Kulturpolitik Haiders und seiner FPÖ auseinander. Wer die Hetze der FPÖ – zum Beispiel die in Wien affichierten Plakate gegen Peymann, Jelinek, Turrini & Co. – und ihre Stammtischparolen noch in Erinnerung hat, der weiß, dass es dazu allen Grund gibt. Dort, wo die FPÖ regieren darf, in Kärnten, sind die Auswirkungen freiheitlicher Kulturpolitik schon zu spüren: So wurden die Subventionen des in Klagenfurt ansässigen Wieser Verlags, dem vor allem die südwesteuropäische und die slowenische Literatur ein Anliegen sind, bereits empfindlich gekürzt. Zudem wurde der FPÖ-Politiker Michael Krüger – heute Justizminister – zum Vorsitzenden des parlamentarischen Kulturausschusses bestellt, ohne dass die SPÖ den ernsthaften Versuch unternommen hätte, einen kompetenten Gegenkandidaten auch nur zu suchen.
Österreichs Ex-Kanzler Klima hat während seiner Amtszeit klar gemacht, dass die Kunst für die SPÖ keine Herzensangelegenheit mehr war. Ein Liebesentzug, unter dem die Kreativen des Landes litten – es bleibt abzuwarten, was unter Schüssel und Haider geschehen wird. An Gründen für Protest wird es österreichischen Künstlern auch in Zukunft nicht mangeln. Und Gerhard Ruiss wird bald wieder ein Buch vorlegen können.
GÜNTHER FISCHER
GERHARD RUISS: Schwarz.Buch. Kulturpolitische Protokolle, Band 1. Edition Selene, Wien 1999. 563 S. , 58 Mark.
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