Versandkostenfrei!
Sofort lieferbar
Weitere Ausgaben:
PAYBACK Punkte
0 °P sammeln!
"Wie Paul Bokowski uns rauslockt, zum Spielen in den Hof, in die Sehnsüchte und Abgründe der Kindheit, das ist großes Leseglück." Bov BjergSchlesenburg wurde sie genannt, unsere Siedlung am Stadtrand, in der im Sommer 89 die Wohnung der Galówka brannte. Sechzig Familien waren wir, fast allesamt aus Polen. Und plötzlich ging die Angst um, jetzt würden hier bei uns Rumänen oder Russlanddeutsche einziehen. Die halbe Burg schaute mit Abscheu auf das Asylbewerberheim, wo sie alle wohnten, und mit zu viel Stolz darauf, dass man es selber hinter sich gelassen hatte. Es war das Jahr, in dem da...
"Wie Paul Bokowski uns rauslockt, zum Spielen in den Hof, in die Sehnsüchte und Abgründe der Kindheit, das ist großes Leseglück." Bov Bjerg
Schlesenburg wurde sie genannt, unsere Siedlung am Stadtrand, in der im Sommer 89 die Wohnung der Galówka brannte. Sechzig Familien waren wir, fast allesamt aus Polen. Und plötzlich ging die Angst um, jetzt würden hier bei uns Rumänen oder Russlanddeutsche einziehen. Die halbe Burg schaute mit Abscheu auf das Asylbewerberheim, wo sie alle wohnten, und mit zu viel Stolz darauf, dass man es selber hinter sich gelassen hatte. Es war das Jahr, in dem das neue Mädchen in die Siedlung zog, das Jahr, in dem Darius verschwand, in welchem Mutter nur Konsalik las und ich zu spät begriff, dass Vater mit der ausgebrannten Wohnung seine eigenen Pläne hatte...
"Schlesenburg" erzählt von Flüchtlingen und ihren Hiergeborenen, von Heimweh und einer neuen Heimat. Ein so warmherziger wie bittersüßer Roman über den Traum von Anpassung und Wohlstand- und die Frage, wo man hingehört, wenn man nicht weiß, wo man hergekommen ist.
Schlesenburg wurde sie genannt, unsere Siedlung am Stadtrand, in der im Sommer 89 die Wohnung der Galówka brannte. Sechzig Familien waren wir, fast allesamt aus Polen. Und plötzlich ging die Angst um, jetzt würden hier bei uns Rumänen oder Russlanddeutsche einziehen. Die halbe Burg schaute mit Abscheu auf das Asylbewerberheim, wo sie alle wohnten, und mit zu viel Stolz darauf, dass man es selber hinter sich gelassen hatte. Es war das Jahr, in dem das neue Mädchen in die Siedlung zog, das Jahr, in dem Darius verschwand, in welchem Mutter nur Konsalik las und ich zu spät begriff, dass Vater mit der ausgebrannten Wohnung seine eigenen Pläne hatte...
"Schlesenburg" erzählt von Flüchtlingen und ihren Hiergeborenen, von Heimweh und einer neuen Heimat. Ein so warmherziger wie bittersüßer Roman über den Traum von Anpassung und Wohlstand- und die Frage, wo man hingehört, wenn man nicht weiß, wo man hergekommen ist.
Paul Bokowski, geboren 1982, ist Autor und Vorleser. 2012 erschien sein erfolgreicher Kurzgeschichtenband 'Hauptsache nichts mit Menschen'. Es folgten 'Alleine ist man weniger zusammen' und 'Bitte nehmen Sie meine Hand da weg'. 'SCHLESENBURG' ist sein Romandebüt. Paul Bokowski lebt und arbeitet in Berlin.
Produktdetails
- Verlag: btb
- Seitenzahl: 316
- Erscheinungstermin: 14. September 2022
- Deutsch
- Abmessung: 216mm x 140mm x 35mm
- Gewicht: 510g
- ISBN-13: 9783442759408
- ISBN-10: 3442759404
- Artikelnr.: 63702651
Herstellerkennzeichnung
Btb
Neumarkter Str. 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
Das Paralleldeutsch scheuern sie ihm raus
Paul Bokowski erzählt vom Aufwachsen als polnisches Einwandererkind
Wer Anfang der Achtzigerjahre als Flüchtling aus Polen ins Durchgangslager Friedland, jenes Nadelöhr hinter Göttingen, kam, wurde von der Tante Bundesrepublik quasi persönlich begrüßt: "Willkommen in Deutschland. Hier ist ein Duden, ein Bett und ein Bausparvertrag. Hier können Sie sich waschen, schlafen, Kinder machen. Wählen Sie bitte sozialdemokratisch, gucken Sie samstags Wetten dass, sonntags Tatort, aber bringen Sie Ihren Kindern bloß kein Polnisch bei." Wenn die Mutter des namenlosen Ich-Erzählers in Paul Bokowskis Roman "Schlesenburg" den Sound an der Lagerpforte mit Fistelstimme nachäfft, sind
Paul Bokowski erzählt vom Aufwachsen als polnisches Einwandererkind
Wer Anfang der Achtzigerjahre als Flüchtling aus Polen ins Durchgangslager Friedland, jenes Nadelöhr hinter Göttingen, kam, wurde von der Tante Bundesrepublik quasi persönlich begrüßt: "Willkommen in Deutschland. Hier ist ein Duden, ein Bett und ein Bausparvertrag. Hier können Sie sich waschen, schlafen, Kinder machen. Wählen Sie bitte sozialdemokratisch, gucken Sie samstags Wetten dass, sonntags Tatort, aber bringen Sie Ihren Kindern bloß kein Polnisch bei." Wenn die Mutter des namenlosen Ich-Erzählers in Paul Bokowskis Roman "Schlesenburg" den Sound an der Lagerpforte mit Fistelstimme nachäfft, sind
Mehr anzeigen
Lacher garantiert.
Dabei ist, was hier verhandelt wird, tief traurig: Die aus Schlesien stammenden Eltern, die schon in der Heimat für ihren Dialekt belächelt wurden, wollten schnell in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen, gute Deutsche werden. Ihr Nachwuchs soll es einmal leichter haben in der Fachhochschule in Mainz, bei Billiger in Mannheim oder am Koblenzer Gymnasium. Eine bilinguale Erziehung würde da nur stören. Was dazu führt, dass die Kinder jener Flüchtlingsgeneration keinen Zugang zu ihren sprachlichen und kulturellen Wurzeln haben. Und so kommen die lieben Kleinen bald mit den ersten selbstgebastelten Konditionalsätzen aus der Kita heim: "Wenn ich Pole wäre, wäre ich lieber Deutscher geworden."
Die titelgebende Schlesenburg ist ein Sozialbaukomplex im Rhein-Main-Gebiet, in das der Ich-Erzähler, wie sein Autor Bokowski Kind polnischer Eltern, mit zwei Jahren eingezogen ist. Glatter Luxusschock nach dem schäbigen Flüchtlingsheim, das einst für die aus Böhmen, Mähren, Pommern und Ostpreußen Vertriebenen an den Stadtrand gebaut wurde. Nun erleben wir durch die Augen des Neunjährigen die Sommerferien 1989, die - was damals keiner ahnt und im Buch kaum weiter thematisiert wird - die letzten Monate der alten BRD sein werden. Manchmal ist die Schlesenburg "wie eine große Einraumwohnung", ein karges rechteckiges Zimmer ohne Fluchten oder Nischen, nur um kurz darauf zur Projektionsfläche für Sehnsüchte und Abgründe einer Kindheit zu werden.
Herzstück der Siedlung am Breslauer Ring ist ein Hof; eine gepflasterte Freifläche, die im Sommer glüht und im Winter weiße Dünen trägt. Jenseits des von einer Feuerdornhecke umzogenen Rechtecks beginnen die Abenteuer. In den heißesten Wochen des Jahres schlappt der prekäre Kinderkreuzzug in Fake-Marken-Adiletten von "Aidas" oder "Pume" zum Schwimmbad; aus Geiz und Habgier werden die kostbaren Tage am Freiluftbecken "in möglichst dünne Scheiben" filetiert. Alle Rituale aber verblassen gegen den Reiz von Apolonia, dem neu eingezogenen burschikosen Nachbarsmädchen. Ein fluides Wesen, das dem Erzähler wie eine Figur aus den Klapp-Bilderbüchern der Kita vorkommt: "Oben Junge, mittig Junge, unten Mädchen."
Zuallererst ist "Schlesenburg" ein Buch, das bis in feinste Verästelungen über Sprache und Herkunft handelt. Deutsch ist "Amtssprache" in der Siedlung - zuallererst jenes, das die Alten aus Oppeln, Posen oder Kattowitz herübergeschleppt hatten: "krumme Begriffe, sperrig und ausladend, mühevoll ins Handgepäck gezwängt". Den Kindern, denen das Paralleldeutsch zur Gewohnheit geworden ist, werden die sonderbaren Vokabeln in der Kita aus den Köpfen herausgescheuert. Die Eltern erreichen schnell die Grenzen ihrer Sprache: Wenn es emotional ans Eingemachte geht, kippen sie ins Polnische, der Kopf hat keine deutsche Formulierung parat. So tragen die Kapitel, bis auf eines, polnische Überschriften. Dem Erzähler, abgekapselt von seiner Herkunft, bleibt ein diffuses Gefühl des Verlustes: "Mein Sehnsuchtsort war eine Projektion, eine Nacherzählung, er war ein Schatten an einer Höhlenwand."
Erst allmählich enthüllt sich die tragische Fluchtgeschichte der Eltern, die auf den ersten Blick als "bürokratischer Prozess" ablief. Kein Mauerspringer, nirgends - "nur unsere Eltern, die aufgewühlt, aber trocken und bequem in einem Zug der Deutschen Bundesbahn von Breslau bis nach Offenbach gerauscht waren". Vor allem der Mutter, einer Heldin des Alltags, die manchmal in der Telefonnische des Flurs durch einen hellgrauen Bakelit-Telefonhörer "in den Ostblock hinein" heult und - damit die lauschenden Kinder nichts mitbekommen - polnisch spricht, setzt das Buch ein anrührendes Denkmal. Zu ihr kommen nicht nur die an "Formulardemenz" leidenden Nachbarn mit ihren Behördenschreiben. Sie ist auch die einzige Frau in der Burg, die Bücher liest. Wenn sie sich, nach einer Doppelschicht in der Papierfabrik, mit ihrem Konsalik auf den Balkon zurückzieht, ist das so etwas wie eine letzte Zuflucht: " auf keiner Seite das surrende dröhnende Geschrei der ewigen Papierwalzen".
Es gibt einen Postboten, der jeden Morgen - demonstrativ spöttisch vor den Augen der Kinder - das Hakenkreuz nachzieht, das er gleich nach dem Bau der Siedlung ins Alu der Klingelzeile gekratzt hat. Das riesige Hakenkreuz, dass ein Unbekannter in der Nacht des ersten Schnees in die weiße Pracht des Hofs getrampelt hat, entdeckt der Erzähler erst Jahre später auf einem Foto. Die Siedlung ist hier eine feste Burg im Wortsinn; von dem Rassismus, den die Eltern womöglich auf der Arbeit gespürt haben, hält man die Kinder fern. Umso genauer nehmen die den Rassismus im Inneren wahr, der sich gegen die nachfolgenden Migranten-Generationen richtet: Russlanddeutsche, Rumänen, Donauschwaben, Ukrainer.
Ob künftige Literaturhistoriker "Schlesenburg" den positiven Nebenwirkungen des Lockdowns zurechnen werden? Dem Comedian und Poetry-Slammer Paul Bokowski, bislang als Autor hervorgetreten mit drei humoristischen Kurzgeschichtenbänden, ist mit seinem in der Bühnen-Zwangspause verfassten autobiographischen Romandebüt der Sprung ins ernstzunehmende Fach geglückt. Seine so wortmächtige wie genaue Prosa über Familie, Herkunft, Nähe und Zusammenhalt reiht sich mühelos zwischen Büchern von Daniela Dröscher ("Lügen über meine Mutter") oder Domenico Müllensiefen ("Aus unseren Feuern") ein. Die Eltern des "Schlesenburg"-Erzählers werden sehr bald nach der Geburt ihres zweiten Kindes in ein "cremefarbenes Reihenhaus" im übernächsten Ort ziehen - die Burg ist ihnen inzwischen so peinlich wie seinerzeit das Asylbewerberheim. Einmal noch wird die Siedlung besucht: Das Freiluftbecken ist zugeschüttet, das krumme Hakenkreuz auf der brandfleckigen Klingelzeile längst überdeckt von Aufklebern der Grauen Wölfe und der Antifa, von Galatasaray, Fenerbahçe oder Roter Stern Belgrad. NILS KAHLEFENDT
Paul Bokowski: "Schlesenburg". Roman.
Btb Verlag, München 2022. 318 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dabei ist, was hier verhandelt wird, tief traurig: Die aus Schlesien stammenden Eltern, die schon in der Heimat für ihren Dialekt belächelt wurden, wollten schnell in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen, gute Deutsche werden. Ihr Nachwuchs soll es einmal leichter haben in der Fachhochschule in Mainz, bei Billiger in Mannheim oder am Koblenzer Gymnasium. Eine bilinguale Erziehung würde da nur stören. Was dazu führt, dass die Kinder jener Flüchtlingsgeneration keinen Zugang zu ihren sprachlichen und kulturellen Wurzeln haben. Und so kommen die lieben Kleinen bald mit den ersten selbstgebastelten Konditionalsätzen aus der Kita heim: "Wenn ich Pole wäre, wäre ich lieber Deutscher geworden."
Die titelgebende Schlesenburg ist ein Sozialbaukomplex im Rhein-Main-Gebiet, in das der Ich-Erzähler, wie sein Autor Bokowski Kind polnischer Eltern, mit zwei Jahren eingezogen ist. Glatter Luxusschock nach dem schäbigen Flüchtlingsheim, das einst für die aus Böhmen, Mähren, Pommern und Ostpreußen Vertriebenen an den Stadtrand gebaut wurde. Nun erleben wir durch die Augen des Neunjährigen die Sommerferien 1989, die - was damals keiner ahnt und im Buch kaum weiter thematisiert wird - die letzten Monate der alten BRD sein werden. Manchmal ist die Schlesenburg "wie eine große Einraumwohnung", ein karges rechteckiges Zimmer ohne Fluchten oder Nischen, nur um kurz darauf zur Projektionsfläche für Sehnsüchte und Abgründe einer Kindheit zu werden.
Herzstück der Siedlung am Breslauer Ring ist ein Hof; eine gepflasterte Freifläche, die im Sommer glüht und im Winter weiße Dünen trägt. Jenseits des von einer Feuerdornhecke umzogenen Rechtecks beginnen die Abenteuer. In den heißesten Wochen des Jahres schlappt der prekäre Kinderkreuzzug in Fake-Marken-Adiletten von "Aidas" oder "Pume" zum Schwimmbad; aus Geiz und Habgier werden die kostbaren Tage am Freiluftbecken "in möglichst dünne Scheiben" filetiert. Alle Rituale aber verblassen gegen den Reiz von Apolonia, dem neu eingezogenen burschikosen Nachbarsmädchen. Ein fluides Wesen, das dem Erzähler wie eine Figur aus den Klapp-Bilderbüchern der Kita vorkommt: "Oben Junge, mittig Junge, unten Mädchen."
Zuallererst ist "Schlesenburg" ein Buch, das bis in feinste Verästelungen über Sprache und Herkunft handelt. Deutsch ist "Amtssprache" in der Siedlung - zuallererst jenes, das die Alten aus Oppeln, Posen oder Kattowitz herübergeschleppt hatten: "krumme Begriffe, sperrig und ausladend, mühevoll ins Handgepäck gezwängt". Den Kindern, denen das Paralleldeutsch zur Gewohnheit geworden ist, werden die sonderbaren Vokabeln in der Kita aus den Köpfen herausgescheuert. Die Eltern erreichen schnell die Grenzen ihrer Sprache: Wenn es emotional ans Eingemachte geht, kippen sie ins Polnische, der Kopf hat keine deutsche Formulierung parat. So tragen die Kapitel, bis auf eines, polnische Überschriften. Dem Erzähler, abgekapselt von seiner Herkunft, bleibt ein diffuses Gefühl des Verlustes: "Mein Sehnsuchtsort war eine Projektion, eine Nacherzählung, er war ein Schatten an einer Höhlenwand."
Erst allmählich enthüllt sich die tragische Fluchtgeschichte der Eltern, die auf den ersten Blick als "bürokratischer Prozess" ablief. Kein Mauerspringer, nirgends - "nur unsere Eltern, die aufgewühlt, aber trocken und bequem in einem Zug der Deutschen Bundesbahn von Breslau bis nach Offenbach gerauscht waren". Vor allem der Mutter, einer Heldin des Alltags, die manchmal in der Telefonnische des Flurs durch einen hellgrauen Bakelit-Telefonhörer "in den Ostblock hinein" heult und - damit die lauschenden Kinder nichts mitbekommen - polnisch spricht, setzt das Buch ein anrührendes Denkmal. Zu ihr kommen nicht nur die an "Formulardemenz" leidenden Nachbarn mit ihren Behördenschreiben. Sie ist auch die einzige Frau in der Burg, die Bücher liest. Wenn sie sich, nach einer Doppelschicht in der Papierfabrik, mit ihrem Konsalik auf den Balkon zurückzieht, ist das so etwas wie eine letzte Zuflucht: " auf keiner Seite das surrende dröhnende Geschrei der ewigen Papierwalzen".
Es gibt einen Postboten, der jeden Morgen - demonstrativ spöttisch vor den Augen der Kinder - das Hakenkreuz nachzieht, das er gleich nach dem Bau der Siedlung ins Alu der Klingelzeile gekratzt hat. Das riesige Hakenkreuz, dass ein Unbekannter in der Nacht des ersten Schnees in die weiße Pracht des Hofs getrampelt hat, entdeckt der Erzähler erst Jahre später auf einem Foto. Die Siedlung ist hier eine feste Burg im Wortsinn; von dem Rassismus, den die Eltern womöglich auf der Arbeit gespürt haben, hält man die Kinder fern. Umso genauer nehmen die den Rassismus im Inneren wahr, der sich gegen die nachfolgenden Migranten-Generationen richtet: Russlanddeutsche, Rumänen, Donauschwaben, Ukrainer.
Ob künftige Literaturhistoriker "Schlesenburg" den positiven Nebenwirkungen des Lockdowns zurechnen werden? Dem Comedian und Poetry-Slammer Paul Bokowski, bislang als Autor hervorgetreten mit drei humoristischen Kurzgeschichtenbänden, ist mit seinem in der Bühnen-Zwangspause verfassten autobiographischen Romandebüt der Sprung ins ernstzunehmende Fach geglückt. Seine so wortmächtige wie genaue Prosa über Familie, Herkunft, Nähe und Zusammenhalt reiht sich mühelos zwischen Büchern von Daniela Dröscher ("Lügen über meine Mutter") oder Domenico Müllensiefen ("Aus unseren Feuern") ein. Die Eltern des "Schlesenburg"-Erzählers werden sehr bald nach der Geburt ihres zweiten Kindes in ein "cremefarbenes Reihenhaus" im übernächsten Ort ziehen - die Burg ist ihnen inzwischen so peinlich wie seinerzeit das Asylbewerberheim. Einmal noch wird die Siedlung besucht: Das Freiluftbecken ist zugeschüttet, das krumme Hakenkreuz auf der brandfleckigen Klingelzeile längst überdeckt von Aufklebern der Grauen Wölfe und der Antifa, von Galatasaray, Fenerbahçe oder Roter Stern Belgrad. NILS KAHLEFENDT
Paul Bokowski: "Schlesenburg". Roman.
Btb Verlag, München 2022. 318 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Nils Kahlefendt staunt, dass dem Comedian Paul Bokowski mit seinem Roman der Sprung ins ernsthafte Literaturfach gelingt. Bokowskis erzählt aus Sicht eines 9-Jährigen die autobiografische Geschichte einer schlesischen Einwandererfamilie im Rhein-Main-Gebiet im Jahr 1989. Den Rezensenten besticht sie durch eine Menge Lokal- und Zeitkolorit und das gekonnte Durchdringen des Themas Sprache und Herkunft. Eine "tragische Fluchtgeschichte" wird für Kahlefendt ebenso sichtbar wie der Alltagsrassismus im titelgebenden Sozialbaukomplex.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Debüt mit Beschreibungswucht.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
Nachdem ich ein großer Fan der Kurzgeschichten von Paul Bokowski war, habe ich mich unheimlich auf seinen ersten Roman gefreut. Sein großartiger Humor prägt auch Schlesenburg, die Geschichte geht aber viel mehr in die Tiefe, als wir es von ihm kennen und hat mich wirklich …
Mehr
Nachdem ich ein großer Fan der Kurzgeschichten von Paul Bokowski war, habe ich mich unheimlich auf seinen ersten Roman gefreut. Sein großartiger Humor prägt auch Schlesenburg, die Geschichte geht aber viel mehr in die Tiefe, als wir es von ihm kennen und hat mich wirklich beeindruckt.
“Schlesenburg wurde sie genannt, unsere Siedlung am Stadtrand, in der im Sommer 89 die Wohnung der Galówka brannte. Sechzig Familien waren wir, fast allesamt aus Polen.”
Paul Bokowski bietet hier eine einzigartige, wertvolle Perspektive. Ein Kindheit, geprägt durch die Flucht der Eltern. Ein Kind, das nie polnisch gelernt, dafür aber Traumata vererbt bekommen hat. Eine Kindheit an einem besonderen Ort, umgeben von einzigartigen Menschen.
Ich muss sagen, dass ich am Anfang meine Probleme mit dem Buch hatte und nicht so gut rein kam und zwischendurch fast schon gelangweilt war. Wir bekommen hier eine sehr ruhige Geschichte, die immer wieder hin und her springt. Sie entwickelt sich langsam, nimmt einige Abbiegungen und am Ende wusste ich gar nicht mehr genau, was da gerade passiert ist. Nur, dass ich mehr wollte.
“Mutter vermisste ihre Eltern, Vater, etwas stiller, seinen Bruder, aber die meisten Kinder aus der Burg, die Hiergeborenen, mich oder Darius, hatte man von Anfang an so sauber abgekapselt von unserer Herkunft, von allen, die hinter dem Eisernen Vorhang hockten, dass jedes Vermissen nur ein Theoretikum bleiben konnte, ein Konzept.”
Das Besondere an dem Roman ist für mich das Gefühl, das er einfängt. Ein Vater, der alles richtig machen, die Familie zusammenbringen, will und seinen Stolz als Schutzschild vor sich trägt. Eine Mutter, die jede freie Minute zum Lesen nutzt und sich mit den neuen Worten schmückt, ohne zu wissen, ob sie Bernsein oder Phosphor sind. Dazwischen immer wieder die Frage “Raus oder runter?”
Mich haben die Gespräche in der Familie immer unheimlich bewegt. Wie Geschichten erzählt werden, wie Erinnerungen verzerrt und diskutiert werden.. Diese Dynamik ist mir so gut bekannt und mit der Zeit konnte ich das Buch gar nicht mehr weglegen, wollte weiter in dieses Gefühl.
Erzählt ist Schlesenburg schonungslos ehrlich. Manchmal erschütternd und tieftraurig, manchmal herzlich und amüsant.Sehr detailliert, mir persönlich teilweise fast zu ruhig, aber mit viel Humor an den richtigen Stellen Es wird nicht jedem gefallen, aber wer sich drauf einlässt, wird belohnt.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Andere Kunden interessierten sich für