Thomas Wolfe
Gebundenes Buch
Schau heimwärts, Engel (Großdruck)
Eine Geschichte vom begrabenen Leben
Übersetzer: Schiebelhuth, Hans
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Thomas Wolfe: Schau heimwärts, Engel. Eine Geschichte vom begrabenen Leben Lesefreundlicher Großdruck in 16-pt-Schrift Großformat, 210 x 297 mm Berliner Ausgabe, 2019 Durchgesehener Neusatz bearbeitet und eingerichtet von Theodor Borken Look Homeward, Angel! A Story of the Buried Life. Erstdruck 1929. Hier in der Übersetzung von Hans Schiebelhuth, Rowohlt Verlag, Berlin, 1932. Umschlaggestaltung von Thomas Schultz-Overhage unter Verwendung des Bildes: Carl van Vechten, Thomas Wolfe, 1937. Gesetzt aus der Minion Pro, 16 pt.
Produktdetails
- Verlag: Henricus - Edition Deutsche Klassik GmbH, Berlin
- Seitenzahl: 656
- Erscheinungstermin: 7. März 2019
- Deutsch
- Abmessung: 303mm x 215mm x 51mm
- Gewicht: 2149g
- ISBN-13: 9783847831495
- ISBN-10: 3847831496
- Artikelnr.: 59764798
Herstellerkennzeichnung
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Das Flügelrauschen steinerner Engel
Ohne Scheu vor großen Worten und Gefühlen: Thomas Wolfes gewaltiger Amerikaroman "Schau heimwärts, Engel" feiert in einer neuen Übersetzung sein deutsches Comeback.
Von Werner von Koppenfels
Thomas Wolfe - der Ältere, nicht der mit dem "Fegefeuer der Eitelkeiten" -, wer kennt ihn noch? Wer liest noch seinen einstmals berühmten Wälzer mit dem hochliterarischen, pathosverdächtigen Titel "Schau heimwärts, Engel"? Das Buch erschien 1929 und lag schon drei Jahre später in einer sehr respektablen, oft nachgedruckten deutschen Fassung vor. Frühere Generationen haben diesen uramerikanischen Entwicklungsroman, nicht selten schon in jugendlichem Alter, mit heißen Backen
Ohne Scheu vor großen Worten und Gefühlen: Thomas Wolfes gewaltiger Amerikaroman "Schau heimwärts, Engel" feiert in einer neuen Übersetzung sein deutsches Comeback.
Von Werner von Koppenfels
Thomas Wolfe - der Ältere, nicht der mit dem "Fegefeuer der Eitelkeiten" -, wer kennt ihn noch? Wer liest noch seinen einstmals berühmten Wälzer mit dem hochliterarischen, pathosverdächtigen Titel "Schau heimwärts, Engel"? Das Buch erschien 1929 und lag schon drei Jahre später in einer sehr respektablen, oft nachgedruckten deutschen Fassung vor. Frühere Generationen haben diesen uramerikanischen Entwicklungsroman, nicht selten schon in jugendlichem Alter, mit heißen Backen
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verschlungen; und dies trotz seiner komplizierten Anlage und ausufernden epischen Beredsamkeit. Doch inzwischen hat längst der schlichtere - und schlankere - "Fänger im Roggen" sein Erbe als Kultbuch der Heranwachsenden angetreten und wohl auch wieder abgegeben - an wen? Die Moden ändern sich.
Dass sie es tun, ist kein Problem, sondern ein Test für die Literatur. Wenn der Manesse Verlag soeben Wolfes "Engel" der lesenden Bevölkerung - frisch übersetzt im Großformat, mit Kommentar und Nachwort - präsentiert, so stellt er damit öffentlich die Frage: Kann man das noch - oder wieder - lesen? Und ob man es kann. Irma Wehrlis Neuübertragung befreit den Text vom angestaubten Charme der alten Version und von mancherlei Schnitzern. Sie gibt den kräftigen Stilfarben des Originals auf Deutsch neuen Glanz, in der Lebhaftigkeit der Dialoge, der üppigen Bildersprache, in Klang und Rhythmik der syntaktischen Kaskaden.
Denn dieses stark autobiographische Zeugnis eines verzehrenden Lebenshungers, mit seinen unvergesslichen Charakteren und einer Stofffülle, die ihre endgültige Form der Geburtshilfe durch den Verlagslektor verdankt, ist nicht zuletzt ein stilistisches Brillantfeuerwerk. Etwa wenn Wolfe die Vitalität beschwört, die der (deutschstämmige) Vater Gant, der Steinmetz, der "gefallene Titan", in jüngeren Jahren auf seine Umwelt überträgt: "Alles, was seine Hände berührten, reifte zu prallem, prickelndem Leben heran . . . Überreife Pflaumen lagen aufgeplatzt im Gras; seine großen Kirschbäume strotzten von schweren, klebrigen Kleinodien . . . Die Erde war fruchtbar für ihn wie eine dralle Frau."
Oder wenn die Metaphorik zur seelischen Sonde wird, um für einen Augenblick das ewig flüchtige, widersprüchliche Wesen der Figuren aufzuspüren: "ihre braunen Augen wurden schwarz, als wäre ein Vogel hindurchgeflogen und hätte den Schatten seiner Flügel auf sie gelegt"; oder: "sein Mund ist wie ein Messer und sein Lächeln ein Licht, das über die Klinge zuckt." Es ist ein Stil ohne Scheu vor großen Worten und Gefühlen, der die ernüchterten zwanziger Jahre herausforderte und faszinierte, ebenso weltverfallen wie weltverloren: "unter glänzenden Sternen auf dieser so matten, glanzlosen Asche, verloren! Uns sprachlos erinnernd suchen wir die große, vergessene Sprache, den verlorenen Himmelspfad, einen Stein, ein Blatt, eine nie gefundene Tür. Wo? Wann?" O verloren! ist der Refrain und der ursprüngliche Titel des Romans, der Wolfes Selbstporträt des Autors als junger Mann darstellt.
Der junge Mann im Buch heißt Eugene. Altamont, der Hauptort der Handlung, ist unschwer mit Asheville, North Carolina zu identifizieren, in dessen Friedhof noch die steinernen Grabengel aus der väterlichen Werkstatt stehen; umschlossen von Bergen, die dem Helden, je nachdem, Geborgenheit, Gefangenschaft oder den Ansporn zu Ausbrüchen und Höhenflügen bedeuten. Denn die Dinge sind ambivalent, und wer die Welt entdecken will, verläuft sich in ihr. Ihre Widersprüchlichkeit verkörpert sich für Eugene im unversöhnlichen Gegensatz, der den verschwenderischen Künstler-Vater zum ewigen Lebenskampf mit der eisern erwerbstüchtigen Mutter verdammt, und die Geschwister aneinander fesselt und gegeneinander hetzt.
Es ist eine Sippe von Visionären und Scheiternden. Gant vermag sein Idealbild eines Engels nie zu realisieren; er begnügt sich mit Kompromissen und verkommt schließlich zum schwadronierenden Säufer; Eugenes rauschhafte erste Liebe endet abrupt im Verrat; und sein anderes Ich, der finstere, tumbe, mit seinem dunklen Engel ringende Bruder Ben, muss am Ende sterben, damit Eugene leben kann. Im grandiosen Finale einer Geisterszene, unter dem steinernen Flügelrauschen und den kalten Seufzern der Totenengel in Gants Werkstatt, verrät er dem verzweifelt fragenden Eugene, wo die sich endlos entziehende Welt zu finden ist: "Nirgends. Du bist die Welt." Nur auf dem Kontinent der eigenen Seele wird er die gesuchte Sprache finden und die Tür, durch die er gehen kann: Geburtsstunde eines Autors.
Obgleich er höchst erfolgreich mit innerem Monolog und Montagetechnik à la Joyce experimentiert, ist Wolfe alles andere als ein "objektiver" Künstler aus der strengen Schule Flauberts. In einem Brief an Francis Scott Fitzgerald distanziert er sich einmal von Flauberts Imperativ des "Weglassens" und bekennt sich zur Fülle der großen "Dazutuer" Shakespeare, Cervantes, Dostojewskij. Seine eigene Berufung zur Autorschaft beschreibt er im Bild einer schwarzen Gewitterwolke, die sich in seinem Inneren zusammenzog, um sich als Wolkenbruch in unaufhaltsamer Flut zu ergießen: "und ich wurde mitgerissen". Hier spricht ein Postromantiker in der Tradition der Great American Novel von Moby Dick bis Huckleberry Finn, deren episches Strömen der Herzschlag eines Kontinents ist, deren formsprengende Dynamik die Weite seiner Räume bewusst macht; in diesem Fall: von Pennsylvania bis Florida, mit Altamont-Asheville (das sich über dieses Spiegelbild mächtig erboste) als Mikrokosmos der Vereinigten Staaten. Auch der Humor der großen Tradition ist ihm nicht fremd. Dass er die heutige Jugendsprache nicht mehr spricht, dürfen wir ruhig als Symptom jener Überzeitlichkeit ansehen, die das Markenzeichen Manesse verbürgt.
Ein Problem für den deutschen Leser ist der Anspielungsreichtum des Buches, besonders seine tiefe Einbettung in die angelsächsische Literatur. Das beginnt bereits mit dem Titel, der einer Totenklage des jungen Milton entnommen und aufs engste mit zentralen Motiven des Romans verbunden ist; nicht zuletzt mit der Heimatsuche des Helden, der sich in der Welt wie "ein Fremder in einem lauten Wirtshaus" fühlt. In dem Maße, wie sich ihm eine innere, geistige Welt erschließt, wird der Text mit unmarkierten Zitaten aus dem englischen Kanon angereichert. Mit heroischer Akribie hat die Übersetzerin diese und andere Bezüge in ihrem umfangreichen Kommentar aufgespürt, wobei es naturgemäß keine Vollständigkeit geben kann; gleich im Untertitel steckt wieder ein unbemerktes Zitat. Aber, Hut ab, die Ausbeute ist bewundernswert. Schade nur, dass der Leser auf Schritt und Tritt durch hochgestellte Ziffern auf die über sechshundert Anmerkungen verwiesen wird. Was der Wissenschaftsprosa recht ist, erscheint dem Romanleser unbillig.
Ein Nachtrag zum Thema Wolfe in Deutschland: Am Anfang war er hierzulande berühmter als in Amerika. Ina Seidel war so fasziniert von ihm, dass sie seinen intensiven Briefwechsel mit der Mutter übersetzte. (Diese Mutter blieb ihm immer als Helferin zugewandt; die herbe Muttergestalt des Buches bezeugt in ihrer Eigenschaft als Zerrspiegelung seine Freiheit im Umgang mit der eigenen Biographie.) Im Laufe seines nur achtunddreißigjährigen Lebens besuchte Wolfe dreimal das im Voraus idealisierte "Land seiner Väter" und fühlte sich dort recht wohl, trotz der Blessuren, die er gleich das erstemal davontrug, als er auf dem Münchner Oktoberfest in eine Rauferei geriet. Im Sommer 1935 und 1936, als gefeierter Autor, empfand er kulturelle Euphorie in Goethes Weimar ebenso wie bei der Olympiade in Berlin. Heimatsuche auch hier, um den Preis des Wegsehens, solange es ging. Am Ende des postum erschienenen Romans "Es führt kein Weg zurück" steht ein schockierendes (eigenes) Erlebnis an der belgischen Grenze: Die Polizei holt einen angstschlotternden jüdischen Reisegefährten aus dem Zug nach Paris und führt ihn ab. Dieser Abschied von Deutschland, so der Erzähler, "war ein Abschied nicht nur von einem Menschen, sondern von der Menschlichkeit".
Thomas Wolfe: "Schau heimwärts, Engel". Eine Geschichte vom begrabenen Leben. Aus dem Amerikanischen übersetzt und umfassend kommentiert von Irma Wehrli. Nachwort von Klaus Modick. Manesse Verlag, München und Zürich 2009. 784 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass sie es tun, ist kein Problem, sondern ein Test für die Literatur. Wenn der Manesse Verlag soeben Wolfes "Engel" der lesenden Bevölkerung - frisch übersetzt im Großformat, mit Kommentar und Nachwort - präsentiert, so stellt er damit öffentlich die Frage: Kann man das noch - oder wieder - lesen? Und ob man es kann. Irma Wehrlis Neuübertragung befreit den Text vom angestaubten Charme der alten Version und von mancherlei Schnitzern. Sie gibt den kräftigen Stilfarben des Originals auf Deutsch neuen Glanz, in der Lebhaftigkeit der Dialoge, der üppigen Bildersprache, in Klang und Rhythmik der syntaktischen Kaskaden.
Denn dieses stark autobiographische Zeugnis eines verzehrenden Lebenshungers, mit seinen unvergesslichen Charakteren und einer Stofffülle, die ihre endgültige Form der Geburtshilfe durch den Verlagslektor verdankt, ist nicht zuletzt ein stilistisches Brillantfeuerwerk. Etwa wenn Wolfe die Vitalität beschwört, die der (deutschstämmige) Vater Gant, der Steinmetz, der "gefallene Titan", in jüngeren Jahren auf seine Umwelt überträgt: "Alles, was seine Hände berührten, reifte zu prallem, prickelndem Leben heran . . . Überreife Pflaumen lagen aufgeplatzt im Gras; seine großen Kirschbäume strotzten von schweren, klebrigen Kleinodien . . . Die Erde war fruchtbar für ihn wie eine dralle Frau."
Oder wenn die Metaphorik zur seelischen Sonde wird, um für einen Augenblick das ewig flüchtige, widersprüchliche Wesen der Figuren aufzuspüren: "ihre braunen Augen wurden schwarz, als wäre ein Vogel hindurchgeflogen und hätte den Schatten seiner Flügel auf sie gelegt"; oder: "sein Mund ist wie ein Messer und sein Lächeln ein Licht, das über die Klinge zuckt." Es ist ein Stil ohne Scheu vor großen Worten und Gefühlen, der die ernüchterten zwanziger Jahre herausforderte und faszinierte, ebenso weltverfallen wie weltverloren: "unter glänzenden Sternen auf dieser so matten, glanzlosen Asche, verloren! Uns sprachlos erinnernd suchen wir die große, vergessene Sprache, den verlorenen Himmelspfad, einen Stein, ein Blatt, eine nie gefundene Tür. Wo? Wann?" O verloren! ist der Refrain und der ursprüngliche Titel des Romans, der Wolfes Selbstporträt des Autors als junger Mann darstellt.
Der junge Mann im Buch heißt Eugene. Altamont, der Hauptort der Handlung, ist unschwer mit Asheville, North Carolina zu identifizieren, in dessen Friedhof noch die steinernen Grabengel aus der väterlichen Werkstatt stehen; umschlossen von Bergen, die dem Helden, je nachdem, Geborgenheit, Gefangenschaft oder den Ansporn zu Ausbrüchen und Höhenflügen bedeuten. Denn die Dinge sind ambivalent, und wer die Welt entdecken will, verläuft sich in ihr. Ihre Widersprüchlichkeit verkörpert sich für Eugene im unversöhnlichen Gegensatz, der den verschwenderischen Künstler-Vater zum ewigen Lebenskampf mit der eisern erwerbstüchtigen Mutter verdammt, und die Geschwister aneinander fesselt und gegeneinander hetzt.
Es ist eine Sippe von Visionären und Scheiternden. Gant vermag sein Idealbild eines Engels nie zu realisieren; er begnügt sich mit Kompromissen und verkommt schließlich zum schwadronierenden Säufer; Eugenes rauschhafte erste Liebe endet abrupt im Verrat; und sein anderes Ich, der finstere, tumbe, mit seinem dunklen Engel ringende Bruder Ben, muss am Ende sterben, damit Eugene leben kann. Im grandiosen Finale einer Geisterszene, unter dem steinernen Flügelrauschen und den kalten Seufzern der Totenengel in Gants Werkstatt, verrät er dem verzweifelt fragenden Eugene, wo die sich endlos entziehende Welt zu finden ist: "Nirgends. Du bist die Welt." Nur auf dem Kontinent der eigenen Seele wird er die gesuchte Sprache finden und die Tür, durch die er gehen kann: Geburtsstunde eines Autors.
Obgleich er höchst erfolgreich mit innerem Monolog und Montagetechnik à la Joyce experimentiert, ist Wolfe alles andere als ein "objektiver" Künstler aus der strengen Schule Flauberts. In einem Brief an Francis Scott Fitzgerald distanziert er sich einmal von Flauberts Imperativ des "Weglassens" und bekennt sich zur Fülle der großen "Dazutuer" Shakespeare, Cervantes, Dostojewskij. Seine eigene Berufung zur Autorschaft beschreibt er im Bild einer schwarzen Gewitterwolke, die sich in seinem Inneren zusammenzog, um sich als Wolkenbruch in unaufhaltsamer Flut zu ergießen: "und ich wurde mitgerissen". Hier spricht ein Postromantiker in der Tradition der Great American Novel von Moby Dick bis Huckleberry Finn, deren episches Strömen der Herzschlag eines Kontinents ist, deren formsprengende Dynamik die Weite seiner Räume bewusst macht; in diesem Fall: von Pennsylvania bis Florida, mit Altamont-Asheville (das sich über dieses Spiegelbild mächtig erboste) als Mikrokosmos der Vereinigten Staaten. Auch der Humor der großen Tradition ist ihm nicht fremd. Dass er die heutige Jugendsprache nicht mehr spricht, dürfen wir ruhig als Symptom jener Überzeitlichkeit ansehen, die das Markenzeichen Manesse verbürgt.
Ein Problem für den deutschen Leser ist der Anspielungsreichtum des Buches, besonders seine tiefe Einbettung in die angelsächsische Literatur. Das beginnt bereits mit dem Titel, der einer Totenklage des jungen Milton entnommen und aufs engste mit zentralen Motiven des Romans verbunden ist; nicht zuletzt mit der Heimatsuche des Helden, der sich in der Welt wie "ein Fremder in einem lauten Wirtshaus" fühlt. In dem Maße, wie sich ihm eine innere, geistige Welt erschließt, wird der Text mit unmarkierten Zitaten aus dem englischen Kanon angereichert. Mit heroischer Akribie hat die Übersetzerin diese und andere Bezüge in ihrem umfangreichen Kommentar aufgespürt, wobei es naturgemäß keine Vollständigkeit geben kann; gleich im Untertitel steckt wieder ein unbemerktes Zitat. Aber, Hut ab, die Ausbeute ist bewundernswert. Schade nur, dass der Leser auf Schritt und Tritt durch hochgestellte Ziffern auf die über sechshundert Anmerkungen verwiesen wird. Was der Wissenschaftsprosa recht ist, erscheint dem Romanleser unbillig.
Ein Nachtrag zum Thema Wolfe in Deutschland: Am Anfang war er hierzulande berühmter als in Amerika. Ina Seidel war so fasziniert von ihm, dass sie seinen intensiven Briefwechsel mit der Mutter übersetzte. (Diese Mutter blieb ihm immer als Helferin zugewandt; die herbe Muttergestalt des Buches bezeugt in ihrer Eigenschaft als Zerrspiegelung seine Freiheit im Umgang mit der eigenen Biographie.) Im Laufe seines nur achtunddreißigjährigen Lebens besuchte Wolfe dreimal das im Voraus idealisierte "Land seiner Väter" und fühlte sich dort recht wohl, trotz der Blessuren, die er gleich das erstemal davontrug, als er auf dem Münchner Oktoberfest in eine Rauferei geriet. Im Sommer 1935 und 1936, als gefeierter Autor, empfand er kulturelle Euphorie in Goethes Weimar ebenso wie bei der Olympiade in Berlin. Heimatsuche auch hier, um den Preis des Wegsehens, solange es ging. Am Ende des postum erschienenen Romans "Es führt kein Weg zurück" steht ein schockierendes (eigenes) Erlebnis an der belgischen Grenze: Die Polizei holt einen angstschlotternden jüdischen Reisegefährten aus dem Zug nach Paris und führt ihn ab. Dieser Abschied von Deutschland, so der Erzähler, "war ein Abschied nicht nur von einem Menschen, sondern von der Menschlichkeit".
Thomas Wolfe: "Schau heimwärts, Engel". Eine Geschichte vom begrabenen Leben. Aus dem Amerikanischen übersetzt und umfassend kommentiert von Irma Wehrli. Nachwort von Klaus Modick. Manesse Verlag, München und Zürich 2009. 784 S., geb., 29,90 [Euro].
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»Ein Buch wie ein Urknall.« Die Zeit
Broschiertes Buch
Vom «feinsten Scheitern»
Den 1929 erschienenen Debütroman «Schau heimwärts, Engel» des amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe nannte Hermann Hesse damals «Die stärkste Dichtung aus dem heutigen Amerika», und auch die Nobelpreisträger …
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Vom «feinsten Scheitern»
Den 1929 erschienenen Debütroman «Schau heimwärts, Engel» des amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe nannte Hermann Hesse damals «Die stärkste Dichtung aus dem heutigen Amerika», und auch die Nobelpreisträger Faulkner und Lewis schätzten ihren Kollegen literarisch sehr hoch ein. Ein Riesenerfolg also gleich auf Anhieb, an den spätere Werke des früh verstorbenen Autors nicht mehr anknüpfen konnten. Seit 2009 liegt dieser inzwischen zum Klassiker avancierte Roman nun in einer überzeugend gelungenen Neuübersetzung vor.
Wir haben es mit einem typischen Entwicklungsroman zu tun, dessen Held Eugene eingebettet ist in eine kinderreiche Familie mit markanten, lebenshungrigen Charakteren, deren wechselvolles, unangepasstes Leben letztendlich das fatale Scheitern des American Dream widerspiegelt. Die autobiografischen Bezüge in diesem Erstling sind überdeutlich, so zum Beispiel der unschwer als Thomas Wolfes Geburtsstadt Ashville in North Carolina erkennbare Handlungsort, - was ihm denn auch prompt einigen Ärger einbrachte bei seinen Mitbürgern, die sich im Roman wieder erkannten und verunglimpft fühlten. Aber auch viele Gemeinsamkeiten in der Familie und insbesondere im Werdegang seines Helden sind unübersehbar, er fühlt sich ebenfalls zum Schriftsteller berufen, und auch sein Vater ist Steinmetz. So ist also der «mit einem Lächeln milder Statueneinfalt» aus Granit gemeißelte Engel im Roman nicht nur titelgebend, sondern wird schon auf der zweiten Seite auch leitmotivisch eingesetzt, er begleitet den Leser fortan ganz ohne religiöse Konnotation als sinnfällige Metapher für ein wohlbehütetes Leben.
Es ist das Auf und Ab im Daseinskampf, die Widersprüchlichkeit des Lebens, die den heranwachsenden, hochbegabten Eugene zunehmend verzweifeln lässt. Seinem stadtbekannten Vater als versoffenem, schwadronierendem Künstlertyp mit großer Attitüde steht die äußerst energische, geschäftstüchtige, aber geradezu krankhaft geizige Mutter gegenüber. Er und seine Geschwister stehen zwischen diesen Fronten eines nimmer endenden Ehekriegs ihrer völlig entzweiten Eltern, deren konträre Visionen ebenso kläglich scheitern wie die ihrer höchst verunsicherten Kinder. Ihnen allen ist kein Glück beschieden, und Eugene erlebt gleich bei seiner ersten Liebe einen schnöden Verrat, der den Gutgläubigen völlig aus der Bahn wirft. Sein Glück, soviel ahnt er dann als unschlüssig dahin Treibender nach dem Ende seines Studiums, liegt in ihm selbst, nicht in der großen weiten Welt, in die es ihn hinauszieht, in die er sich geradezu flüchten will auf der Suche nach Lebenssinn und Erfüllung.
Vom «feinsten Scheitern», wie Faulkner es umschrieb, handelt dieser stilistisch hochklassige Roman, der mit einigem Pathos erzählt wird. Er überzeugt mit einer geradezu genialen Beschreibungskunst, mit lebensecht gezeichneten Figuren und stimmigen Dialogen, mit einer sinnreich ausgeklügelter Metaphorik vor allem, die ihresgleichen sucht. Die Stofffülle ist selbst nach den radikalen Kürzungen des Manuskriptes noch sehr üppig geblieben, der gleichwohl ziemlich handlungsarme Roman erfordert zudem mit seiner geradezu ausufernden Intertextualität und den vielen historischen, politischen und kulturellen Anspielungen, - die hilfreichen Anmerkungen hierzu umfassen allein 45 Buchseiten mit 614 Verweisen -, so einiges an Durchhaltevermögen beim Leser. Der episodische Roman schildert in seiner stärksten Szene sehr ergreifend einen qualvollen Todeskampf und endet mit einer ebenso faszinierenden Geisterszene, in der Eugene auf seinen verstorbenen Bruder Ben trifft, der ihm als Todesengel die Tür zur scheinbar entschwundenen Welt weist, die in ihm selber läge. Der «Homer des modernen Amerika», wie Kritiker ihn überschwänglich nannten, folgte seiner Theorie «Wir sind die Summe aller Augenblicke unseres Lebens». Entsprechend weit verzweigt und üppig ist das Geflecht unzähliger Impressionen in diesem an den «Ulysses» angelehnten, grandiosen Klassiker.
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