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Der Tag, der die Welt verändert hat - das Begleitbuch zur ARD-Sendung "Schabowskis Zettel" Kaum ein Ereignis hat die Deutschen so bewegt wie der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Florian Huber erzählt, anhand umfangreicher Recherchen und bisher unerschlossener Quellen, auf packende Weise den dramatischen Ablauf des Geschehens: von der morgendlichen Sitzung im DDR-Innenministerium, wo über eine neue Reiseregelung beraten wurde, über die legendäre Pressekonferenz bis zur Öffnung der Grenzbäume kurz vor Mitternacht. Eine besondere Rolle spielt dabei jener ominöse Zettel, den Günter…mehr

Produktbeschreibung
Der Tag, der die Welt verändert hat - das Begleitbuch zur ARD-Sendung "Schabowskis Zettel" Kaum ein Ereignis hat die Deutschen so bewegt wie der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Florian Huber erzählt, anhand umfangreicher Recherchen und bisher unerschlossener Quellen, auf packende Weise den dramatischen Ablauf des Geschehens: von der morgendlichen Sitzung im DDR-Innenministerium, wo über eine neue Reiseregelung beraten wurde, über die legendäre Pressekonferenz bis zur Öffnung der Grenzbäume kurz vor Mitternacht. Eine besondere Rolle spielt dabei jener ominöse Zettel, den Günter Schabowski auf der Pressekonferenz hervorkramte und der den Lauf der Geschichte für immer verändert hat. Die atemberaubende Biographie eines Schicksalstages - und ein Leseabenteuer ersten Ranges.
Autorenporträt
Florian Huber, Dr. phil, geboren 1967 in Nürnberg, studierte Geschichte und Volkswirtschaft in Köln und arbeitete von 1998 bis 2006 als Redakteur und Regisseur beim NDR-Fernsehen. Er ist Autor zahlreicher Dokumentarfilme.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2009

Der gute Mensch vom Politbüro
Günter Schabowski gab am 9. November 1989 den "Knüller" der Grenzöffnung bekannt

Mit dem Auftritt im Internationalen Pressezentrum im Ostteil Berlins brachte es Günter Schabowski in die Geschichtsbücher. Die Bekanntgabe einer neuen Reiseregelung machte ihn zum SED-Hauptdarsteller der Grenzöffnung. Später avancierte er zum Paradezeitzeugen über den Untergang der DDR, mit der er ebenso schonungslos abrechnete wie mit der SED-Nachfolgepartei PDS und der Linkspartei. Der 1929 in Anklam geborene Schabowski kam 1947 zur Gewerkschaftszeitung "Tribüne", später zum "Neuen Deutschland". Diesem stand er bis 1985 als Chefredakteur und Chefpfleger des Honecker-Kults vor. Seit 1981 Mitglied im Zentralkomitee (ZK) und seit 1984 Mitglied des Politbüros, stieg er 1985 zum Ersten Sekretär der Bezirksleitung der SED von Berlin auf; dem Parteibonzen trauten westliche Beobachter damals sogar die Honecker-Nachfolge zu.

Zur Grenzöffnung hat sich Schabowski oft geäußert. Zum 20. Jahrestag steht der "Mitinitiator und Wortführer der Absetzung des Staats- und Parteichefs Erich Honecker" dem Journalisten Frank Sieren Rede und Antwort. Als einziger hoher SED-Funktionär trat er am 4. November auf der größten Protestdemonstration der DDR auf dem Alexanderplatz auf. Zwei Tage später wurde er Sekretär des ZK der SED für Informationswesen, also Regierungssprecher. An diesem 6. November löste ein Entwurf für ein Reisegesetz, der die Gesamtreisedauer auf 30 Tage pro Jahr beschränkte und ungenaue, der Willkür Raum lassende "Versagungsgründe" enthielt, Proteste aus. Daher kam es zur Neufassung. Darüber informierte Honecker-Nachfolger Egon Krenz am 9. November das Plenum des ZK und begründete dies mit der tschechoslowakischen Drohung, die Grenze zur DDR zu schließen, um den Flüchtlingsstrom von dort zu stoppen. Nach 17 Uhr, als Schabowski in den Saal kam, schob ihm Krenz den Text zu: "Ich überflog ihn." Nach Abwägen des Für und Wider "einigten wir uns darauf, dass ich die internationalen Pressevertreter ... unterrichten würde. ,Das wird ein Knüller', davon war Krenz inzwischen überzeugt."

Zur Frage nach den näheren Umständen der Bekanntgabe und der Zwischenfrage des italienischen ANSA-Korrespondenten Ehrmann ist zu lesen: "Gegen 18.50 Uhr gab er mir das Stichwort mit der Frage: ,War es nicht ein Fehler, dass Sie am Montag diesen Entwurf eines Reisegesetzes veröffentlicht haben?' Er zielte damit auf die Massenproteste, die dieser Gesetzesbandwurm auf den Montagsdemos provoziert hatte." Darauf folgte Schabowskis "Auskunft" über eine uneingeschränkte Reiseregelung "sofort, unverzüglich": "So kam es, dass die Grenze einige Stunden früher passierbar wurde, als es sich der rote Amtsschimmel ausgedacht hatte." Laut Schabowski habe ihm Krenz "nichts von einer Sperrfrist gesagt": "Sie war vermutlich Teil einer Art Durchführungsbestimmung, von der der Innenminister meinte, sie nicht mit dem Generalsekretär abstimmen zu müssen."

Ausgehend von "Schabowskis Zettel" - so der Titel der ARD-Produktion am 2.November 2009 - rekonstruiert Florian Huber im Begleitband das "Drama des 9. November". Er setzt am Nachmittag des 8. ein, als Oberst Gerhard Lauter vom DDR-Innenminister den "absurden Auftrag" erhielt, einen Entwurf zur Regelung der privaten Reisen zu entwerfen. Am Mittag des 9. November lag der Entwurf vor, mit dem Kernsatz: "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe oder Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden." Daneben sei eine Mitteilung für die Presse formuliert worden: "Erst ab vier Uhr am Morgen des 10. November darf die DDR-Presseagentur ADN diese Mitteilung herausgeben." Das Papier sei ins ZK-Gebäude gebracht worden, wo es "das Politbüro mittags in der Raucherpause ... abnickte". Anschließend habe Krenz den Inhalt dem ZK vorgetragen. Gegen 17.30 Uhr habe Schabowski sich beim SED-Generalsekretär nach Neuigkeiten erkundigt. "Mensch, hör mal, nimm das mit in die heutige Pressekonferenz!", sagte Krenz. Huber schreibt über Schabowski: "Inwieweit er das Papier noch im Präsidium oder auf der anschließenden Autofahrt liest, ist Gegenstand vielfältiger Spekulationen." Er habe "viele unterschiedliche Versionen" geliefert.

Als sich um 18.53 Uhr der ANSA-Korrespondent Ehrmann nach dem Reisegesetz vom 6. November erkundigte, soll sich Schabowski an den neuen Entwurf erinnert haben: "Er braucht einunddreißig Ähs, um die Lücken zwischen den Satzfragmenten zu füllen", bis er den "Zettel" fand. Das Papier sei "mit einer Sperrfrist bis morgen früh versehen" gewesen. Dennoch habe er die entscheidende Nachricht "in die Welt gesetzt. Live im Fernsehen, neun Stunden vor Ablauf der Sperrfrist." Als ein Reporter dazwischenrief: "Ab wann?", blätterte Schabowski abermals in seinen Unterlagen und sagte: "Das tritt nach meiner Kenntnis - ist das sofort, unverzüglich!"

Was die Vorgeschichte der Grenzöffnung betraf, so wehrte sich Schabowski schon Ende 1990 gegen die - von einer Hamburger Zeitschrift verbreitete - "Mär, irgendein Funktionär habe in jene Verordnung Formulierungen eingeschmuggelt, die die Mauer einstürzen ließen. Unser, das heißt der Auftrag des Politbüros hieß Reisefreiheit ... Krenz übergab mir später den Text der Verordnung mit der Bemerkung: ,Das wird ein Knüller für die Weltpresse.' Tatsächlich las ich den Text erstmals, als die TV-Kameras schon liefen." Ob er also die Sperrfrist einfach nur übersah oder sich diese auf seiner Ausfertigung des Entwurfs gar nicht befand, bleibt ungeklärt.

Dass sich Schabowskis "Irrtum" in engen Grenzen hielt, weil Reisegesetz und Bekanntgabe mit Krenz abgestimmt waren, geht auch aus jenem Interview hervor, das Tom Brokaw am 9. November 1989 unmittelbar nach der Pressekonferenz führte. Schabowski erklärte vor laufender NBC-Kamera auf die Frage, ob die Bürger der DDR über die Grenzen gehen könnten: "It is possible for them to go through the border." Sofort danach rief Brokaw amerikanischen Kollegen zu: "It is true. The Wall is down!"

RAINER BLASIUS

Günter Schabowski/Frank Sieren: Wir haben fast alles falsch gemacht. Die letzten Tage der DDR. Econ Verlag, Berlin 2009, 281 S., 19,90 [Euro].

Florian Huber: Schabowskis Irrtum. Das Drama des 9. November. Rowohlt Verlag, Berlin 2009, 221 S., 17,90 [Euro].

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