Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 3,95 €
  • Broschiertes Buch

In der Wiener Vorstadt wird ein Passant ermordet. Schaulustige und Anwohner umringen den Tatort, darunter die verdorbene Göre Josefine. Sie beginnen eine wilde Jagd nach dem Verbrecher, die in den Tiefen Wiens anfängt und auf den Stufen der Heiligen Stiege in Rom endet. Liebe und Libido, Verbrechen und Strafe verbindet Franzobel zu einem gewaltigen Feuerwerk. Der jüngste Roman des Bachmann-Preisträgers ist ein Amoklauf gegen eine immer absurder werdende Wirklichkeit, der mit konventionellen epischen Mitteln nicht mehr beizukommen ist.

Produktbeschreibung
In der Wiener Vorstadt wird ein Passant ermordet. Schaulustige und Anwohner umringen den Tatort, darunter die verdorbene Göre Josefine. Sie beginnen eine wilde Jagd nach dem Verbrecher, die in den Tiefen Wiens anfängt und auf den Stufen der Heiligen Stiege in Rom endet. Liebe und Libido, Verbrechen und Strafe verbindet Franzobel zu einem gewaltigen Feuerwerk. Der jüngste Roman des Bachmann-Preisträgers ist ein Amoklauf gegen eine immer absurder werdende Wirklichkeit, der mit konventionellen epischen Mitteln nicht mehr beizukommen ist.
Autorenporträt
Franzobel, 1967 in Vöcklabruck/Oberösterreich geboren, arbeitete bis 1991 als bildender Künstler mit gelegentlichen Ausstellungen. Dann schrieb er Romane, Satiren und Theaterstücke. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter 1995 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis und 1998 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor. Er lebt in Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2000

Der Kalauer-Mord
„Scala Santa”: Franzobel hat einen
Österreich-Roman geschrieben
„Zugabe!” rief eine der Jurorinnen, nachdem Franzobel 1995 seine Lesung in Klagenfurt beendet hatte, eine kalauernde Wortkaskade zwischen Nonsens und ernster Schönheit: „Ein Schwall gerät in Fluss, durchtränkt Gerätschaft, Situation und alles, was noch Sitte ist, es sinkt.(. . .) Mordstausend Sapperment. ” In „Krautflut”, dem experimentellen Text, mit dem der junge Wiener damals den Bachmann-Wettbewerb gewann, wird eigentlich eine denkbar banale Geschichte erzählt. Zwei Paare, Liebesbetrug und Mord, aber kaum gerät der „Schwall in Fluss”, durchkreuzt Franzobel alle stringenten Handlungsabläufe und macht aus dem simplen Plot ein funkelndes Assoziations- und Klangspiel.
Auch in „Scala Santa”, Franzobels neuem Roman, gerät ein Schwall in Fluss. Die kleine Pepi hockt im Sandkasten und macht Pipi, da sitzt plötzlich ein Mann vor ihr mit „seinem Tier. Nach Würmchen sah es aus, nach Fisch (. . .) Schon wollte sie ihre kleinen Händchen danach strecken (. . .) Dabei gefiel dem Tier das nicht einmal, es ekelte sich und spuckte. Es spuckte fast einen Meter weit. Pepi schrak zurück. Na servus. ”
Eigentlich, sagt Franzobel im Vorwort, wollte er ja die Geschichte der kleinen Pepi Wurznbacher erzählen, eine aktualisierte Version des Lebens der Josefine Mutzenbacher, aber dann passiert ein Mord, und plötzlich sind fast vierzig Personen in eine Hatz nach dem Täter involviert, und Handlung und Sprache schießen ins Kraut. All die Hausmeister und debilen Ballerinas, Bischöfe und Briefträger, Päderasten und Totalneurotiker, die auf den folgenden 400 Seiten auftreten, bilden eine „Legion von Deppen, die im Tran ihrer Vorstellungen dümpeln”. Die Kinder werden geschändet und die Erwachsenen mit dem Fliesenschneider in Stücke geschnitten.
Eine tödlich fragmentierte Welt, in der die Menschen vereinsamte Kisten sind, die das Einbetoniertsein in ihrem falschen Leben wohl dumpf spüren – und trotzdem nicht anders können. Die Kinder mögen bislang noch anders sein, hoffen lässt das dennoch nicht: „(Sie) hatten oft gedacht – jeder Einzelne für sich – dass man die Erwachsenen alle totschlagen müsste, sie selbst niemals so ein Erwachsener sein möchten. Was sie letztlich aber wurden. Alle. ” Entropie allerorten, ein desaströser Österreich-Roman. Als all die Morastbewohner mit ihren „gescheiterten, im Unsinn versandeten, nur als Kaufkraft dienenden Leben” am Ende auf der Scala Santa, der Heiligen Treppe in Rom zusammenkommen, rufen sie bei den Italienern Ekel hervor: „Man konnte an Scheidewasser, Körberl und der Hasentütl sehen, dass bei der deutsch-italienischen Freundschaft der Österreicher dem Rest entspricht, der abgefallen und in den Bergen hängengeblieben ist. Das, was die beiden Kulturvölker (. . . ) abgestreift haben, den Grind, der sich abreibt (. . . ) das ist der Alpenmensch, der Österreicher. ”
Im Muskel-Prater
In seinen „Cahiers” schreibt Paul Valéry, man könne die Sprache auf zweierlei Weise beherrschen: „entweder wie der Athlet seine Muskeln oder wie der Anatom die Muskeln. Zweierlei (Er)Kenntnis. Man muss Anatom und Athlet vereinigen. ” Franzobel ist in manchen seiner Werke zu sehr Athlet: Dann lässt er seine Muskeln und Metaphern spielen – und ist so begeistert vom Klingklang der Sprache, dass er die Worte als sinnstiftendes Werkzeug aus den Augen verliert. Franzobels letztes Buch „Böselkraut & Ferdinand” war die eitle Kür eines versierten Sprachtechnikers. An die russischen Klavierwunderkinder musste man da denken, die mit 12 Jahren sämtliche Liszt-Etüden rückwärts und mit verbundenen Augen spielen können. Man wird erschlagen von der Technik und 40 Tonnen Noten. Nur dass die Musik dabei fehlt.
Diesmal hat Franzobel sich an ein Sujet gebunden und mit der Gattung Krimi experimentiert, dem Genre, das wie kein anderes den Plot in den Vordergrund stellt. Sicher, auch „Scala Santa” ist in erster Linie Sprachkunstwerk, das literarische Einflüsse von Jandl bis zur „Wiener Gruppe”, von Nestroy bis zum Sprachanarchisten H. C. Artmann verarbeitet. Das fängt schon damit an, dass Franzobel seinem rund um den Wiener „Kalauerplatz” beheimateten Personal Namen wie Patricia Herrgott-Wixinger oder Sixtus Pontstingl-Ribisl zulegt. Und am Ende zeigt Franzobel, dass ihm die ganze anfängliche Mordgeschichte, durch die der Schwall an Wiener Wahn und Alltagsphraseologie in Fluss geriet, bloße Hilfskonstruktion war: Auf der Scala Santa bemerkt Kommissar Pontstingl-Ribisl, dass er keinen Fall, sondern nur einen ermordeten Kalauer vor sich hat: ein Mord als Treppen-Witz der Kriminal-Literatur.
Trotz all der Spielereien gelingt es Franzobel diesmal aber, die klangmalerischen Namen zum Leben zu erwecken. Und so entsteht hinter all den Kabinettstückchen das düstere Psychogramm einer vergletscherten Gesellschaft, eine Farce über autistische Menschenreste zwischen Pornokino und Beichtstuhl am Ende der Zivilisationsgeschichte. „Zugabe!” möchte man rufen, wenn man nach fast 400 Seiten aus Franzobels wüster Farce und hakenschlagender Sprache wieder in den eigenen Alltag entlassen wird. „Viel herumgeendelt wird, die Pendel schlagen aus in ihre Spitzen, wollen endlich einen Schluss, den Überschlag. Finale kreischt man und genug, es reicht, es endelt, pendelt aus, macht Purzelbaum. ”
ALEX RÜHLE
FRANZOBEL: Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt. Roman. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000. 39 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr