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Es wird immer wieder angezweifelt, daß die Säkularisierungsthese die gegenwärtige soziale Situation von Religion und Kirche angemessen zu beschreiben vermag. Detlef Pollack untersucht, welche Erklärungskraft die Säkularisierungsthese nach wie vor besitzt, und überprüft die Leistungsfähigkeit alternativer Erklärungsansätze. Dabei wird auch der Religionsbegriff analysiert, der über das Ausmaß, das an Religion in einer Gesellschaft wahrgenommen wird, mitentscheidet. Im Mittelpunkt der Aufsätze stehen jedoch empirische religions- und kirchensoziologische Untersuchungen, die dazu dienen, die…mehr

Produktbeschreibung
Es wird immer wieder angezweifelt, daß die Säkularisierungsthese die gegenwärtige soziale Situation von Religion und Kirche angemessen zu beschreiben vermag. Detlef Pollack untersucht, welche Erklärungskraft die Säkularisierungsthese nach wie vor besitzt, und überprüft die Leistungsfähigkeit alternativer Erklärungsansätze. Dabei wird auch der Religionsbegriff analysiert, der über das Ausmaß, das an Religion in einer Gesellschaft wahrgenommen wird, mitentscheidet. Im Mittelpunkt der Aufsätze stehen jedoch empirische religions- und kirchensoziologische Untersuchungen, die dazu dienen, die Geltungskraft der unterschiedlichen Ansätze zu beleuchten. Hier wird vor allem danach gefragt, welche sozialen Bedingungen religiöse Wandlungsprozesse beeinflussen und welche gesellschaftliche Wirkung umgekehrt von Religion und Kirche ausgeht.

Secularization - A Modern Myth?
Studies of Religious Change in Germany.
Detlef Pollack examines how much explanatory power the secularization theory still has and studies the explanatory power of alternative approaches. In doing so, he also analyzes the concept of religion, which is crucial for determining the extent to which a society is aware of religion.
Autorenporträt
Detlef Pollack: Geboren 1955; Studium der Theologie in Leipzig; 1984 Promotion; 1994 Habilitation; Professor für vergleichende Kultursoziologie in Frankfurt (Oder).

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2004

Wo neue Ganzheiten ökumenisch wallen, will man nicht stören
Detlef Pollack rettet die Säkularisierungsthese und macht die Rede von der unsichtbaren Religion als Nullaussage sichtbar

Von der Säkularisierung mag schon niemand mehr reden, stellt Detlef Pollack einleitend fest. Gerade die nicht, die noch vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren Max Webers Lehre von der unweigerlichen Entzauberung religiöser Weltbilder in der Moderne kündeten oder ihre spätmarxistischen Anschlußtheoreme vertraten. Mittlerweile glaubt der Zeitgeist nicht mehr an den Bedeutungsverlust der alten Glaubensmächte. Veränderungen der Weltpolitik haben ebenso zum Klimawechsel in der Säkularisierungsdebatte geführt wie die changierte Kleinwetterlage auf dem weltanschaulichen Binnenmarkt, vom Esoterik-Boom zum spirituellen Synkretismus deutscher Kirchentage. Die Urenkel von Max Weber oder Ernst Troeltsch, Adornos Enkel und Habermas' Nichten räsonnieren vor konfessionellen Akademien die vorpolitische Relevanz von dereinst kirchlich tradierten sittlichen Wahrheiten.

Kommen mit der zweiten Postmoderne die Götter zurück in die "postsäkulare" Gesellschaft? Wider modische Epochendiagnosen und Zeitgeistsoziologien mobilisiert der an der Viadrina in Frankfurt/Oder lehrende Kultursoziologe Detlef Pollack seine gesammelten Studien des Jahrzehnts. Die Hauptkritik gilt Thomas Luckmanns These von der "unsichtbaren Religion": Der Bedeutungsverlust kirchlicher Religion - so Luckmann und andere - werde durch neue, individualisierte Gestalten des Religiösen gewissermaßen ausgeglichen. Statt von der Säkularisierung müsse "nur" vom Gestaltwandel des Religiösen gesprochen werden.

Solcher Kritik der Säkularisierungstheorie weist Pollack eine funktionalistische Immunisierung des Religiösen nach. Wo alle sinnhaften Selbstdeutungen der Lebenspraxis ex definitione als "Religion" gelten, wird das derart behauptete "Religiöse" ebenso universal wie sozial ungreifbar. Freilich fällt auch Pollacks eigene, in Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann gewonnene Begriffsbestimmung der Religion recht vage aus: Religion sei menschliche Kontingenzbewältigung durch gleichzeitige Transzendierung der Lebenswelt und Konkretisierung der Transzendenz in dieser Lebenswelt. Und sieht man ab von der Ausnahme einer sensiblen hermeneutischen Fallstudie zur Leipziger Evangelisierungskampagne des Missions-"Bewegungsunternehmens" ProChrist, so folgt Pollack in seinen Untersuchungen Luhmanns quasiphilosophischen Paradoxien nicht. Pollack beschränkt sich vielmehr (und beschränkt damit auch die Aussagekraft seiner Thesen) auf den Niedergang der koninentaleuropäischen, einst "etabliert" konfessionellen oder volkskirchlichen Tradition christlicher Religiosität.

Seine Argumente sind also weitaus spezifischer, als er selber anzunehmen scheint. Mit nichtchristlichen Religionen setzt er sich ebensowenig auseinander wie mit nichtvolkskirchlichen Traditionen oder Stilen der Christenheit auf anderen Kontinenten. Die Arbeiten David Martins zur frei- und sektenkirchlichen Tradition und (Welt-)Mission werden zwar erwähnt, aber nicht wirklich zur Kenntnis genommen; ebensowenig die neuesten Studien zur "marktwirtschaftlich" verfaßten religiösen Konkurrenz auf dem deregulierten Weltanschauungsmarkt (von Rodney Stark, Massimo Introvigne und anderen); ganz zu schweigen von der neuen religiösen Vielfalt im Gefolge zum Beispiel muslimischer, hinduistischer Immigration; schließlich von militanten Neubesetzungen des religiösen Feldes, um auch international im "clash of civilizations" legitimatorischen Mehrwert zu behaupten.

Pollack, studierter protestantischer Theologe, privilegiert zudem ganz im Sinne europäischer "Werte"-Surveys Indikatoren für Religiosität, die sich auf explizite Überzeugungen, Präferenzen und Folgebereitschaften reduzieren lassen. Das entspricht aber eher den Traditionen protestantischer Kirchlichkeit (oder Kirchenkritik) als der Musik katholischer Identitäten, deren normative Bindung weitaus leibhaftiger daherkommt - blutvoller, aber auch "heidnisch" pluralisierter. All dies in Rechnung gestellt, bleiben Pollacks Berechnungen solide und seine Bewertungen zumeist zutreffend. Für die volkskirchlich geprägten Gesellschaften Kontinentaleuropas besitzt heute die klassische Säkularisierungsthese weitaus mehr Plausibilität als die verbreitete Gegenrede einer allwaltend "unsichtbaren Religion" individualistischer und/oder esoterischer Einstimmung. Die mag wohl in bunten Eso-Szenen sichtbar werden, bleibt aber quantitativ marginal und ist jedenfalls keine Alternative zur niedergehenden Volkskirche. Wo neue Ganzheitlichkeiten ökumenisch wallen, handelt es sich eher um Schwund- oder Travestie-Formen klassischer Kirchlichkeit, welche noch im Verfall (oder Protest) von ihrer "anstaltlichen" Gestalt geprägt bleiben.

Deshalb tut sich ja die neue Spiritualität, die oft mit innerer "Selbstsäkularisierung" kirchlicher Dienste und pastoraler Identitäten einhergeht, so schwer, Hirten und Herde - Klerus und Kirchenvolk - tatsächlich zu erneuern. Postmoderne Gegensäkularisierung gelingt vorerst nur als parasitäre Einnistung oder Anlagerung von (im soziologischen, nicht diffamatorischen Sinne) Sektenbewegungen und -mentalitäten im kirchlichen Raum und Schoß. Schade, daß Pollack solchen binnenkirchlichen Stellungs- und Fraktionskriegen um das "Positionsgut" der Säkularität keinerlei Aufmerksamkeit widmet.

Säkularisierung ist für Pollack (wenn sie stattfindet) eine empirische Entwicklung von sozialen Verhaltensmustern und Überzeugungen, die nicht mit Theorien verwechselt werden sollte. Ob die moderne funktionale Differenzierung sozialer Teilsysteme von Wirtschaft, Recht, Politik und Religion per se zur Privatisierung des Religiösen führt und also einen gesamtgesellschaftlichen Funktionsverlust kirchlicher Religiosität mit sich bringt, ist nur empirisch zu klären. Pollack beantwortet diese Frage affirmativ: Der Verlust der Allzuständigkeit kirchlich organisierter Religion impliziert auf lange Sicht unweigerlich eine Schwächung des kirchlich verfaßten Sozialsystems Religion.

Freilich weist er am Ende darauf hin, daß die traditionelle "Multifunktionalität" der Volkskirchen in politischen Krisensituationen wie im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945) oder in der DDR-Wendezeit (1989) zum Anstoß einer Katalysatoren-Rolle werden kann. Die "funktionale Unterspezifizierung des Religiösen" bedeute im modernen Kontinentaleuropa unter Normalbedingungen den Bedeutungsrückgang kirchlicher Religion. Ihr Kairos liege nur in den Krisen der Modernität - als Blockadebrecher.

OTTO KALLSCHEUER

Detlef Pollack: "Säkularisierung - ein moderner Mythos?" Studien zum religiösen Wandel in Deutschland. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2003. 336 S., br., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Zustimmung hat Otto Kallscheuer den Band "Säkularisierung - ein moderner Mythos?" des Kultursoziologen Detlef Pollack gelesen. Pollack wendet sich darin gegen die - etwa von Thomas Luckmanns aufgestellte - These von der "unsichtbaren Religion", wonach der Bedeutungsverlust kirchlicher Religion durch neue, individualisierte Gestalten des Religiösen gewissermaßen ausgeglichen werde. Statt von der Säkularisierung müsse "nur" vom Gestaltwandel des Religiösen gesprochen werden. Pollack weise dieser Kritik der Säkularisierungstheorie eine "funktionalistische Immunisierung des Religiösen" nach. "Wo alle sinnhaften Selbstdeutungen der Lebenspraxis ex definitione als 'Religion' gelten", erläutert der Rezensent, "wird das derart behauptete 'Religiöse' ebenso universal wie sozial ungreifbar." Andererseits erscheint ihm Pollacks Definition von Religion - Religion sei menschliche Kontingenzbewältigung durch gleichzeitige Transzendierung der Lebenswelt und Konkretisierung der Transzendenz in dieser Lebenswelt - auch eher vage. Nichtsdestoweniger findet er Pollacks Berechnungen letztlich "solide", seine Bewertungen "zumeist zutreffend". So könne er zeigen, dass zumindest für die volkskirchlich geprägten Gesellschaften Kontinentaleuropas heute die klassische Säkularisierungsthese weitaus mehr Plausibilität besitze als die verbreitete Gegenrede einer allwaltend "unsichtbaren Religion" individualistischer und/oder esoterischer Einstimmung.

© Perlentaucher Medien GmbH
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