Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,80 €
Produktdetails
  • SALTO
  • Verlag: Wagenbach
  • Seitenzahl: 91
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 160g
  • ISBN-13: 9783803111623
  • ISBN-10: 3803111625
  • Artikelnr.: 06882526
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.1997

Geliebte mit behaarten Beinen
Nicht luftgetrocknet: Vázquez Montalbans sinnlicher Bischof

Ein atheistischer Bischof - ganz sicher ist er sich aber, was Gott angeht, nicht. Er hatte eine Geschichte mit einer Deutschen namens Muriel, nun sitzt er einsam auf einer menschenleeren karibischen Insel. Sein Segelboot, auf dem sich nur er befand, denn Muriel hatte ihn gerade verlassen, war in einen Sturm geraten. Er ist in seiner Schwimmweste durchaus lebenswillig, worüber er sich wundert, denn er ist ja allein. Er ist sogar gesundheitsbewußt und meidet zum Beispiel Vogeleier wegen seines unguten Cholesterinspiegels. Im übrigen sitzt er da und erinnert sich: an Kulinarisches, an Muriel, an seine vatikanische Vergangenheit weniger. Er war Weihbischof, und er hatte, zusätzlich zur Theologie, an keinem geringeren Ort als am potenten Massachusetts Institute of Technology, und zwar in Wirtschaftswissenschaften, promoviert. So war er prädestiniert zum "Geldwäscher des Vatikans". Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit ergaben sich viele Arbeitsessen, an die er sich dankbar erinnert. Über sie kam er zu seiner raffinierten kulinarischen Kultur.

Was uns nun Vázquez Montalbán bietet, ist des Bischofs redselige Flaschenpost, obwohl dieser nicht einmal eine Flasche hat. Er hat gar nichts auf seiner Insel, von ein paar Bleistiften und einem Notizbuch abgesehen. Er hat nicht einmal Feuer, was ihn wegen seiner kulinarischen Kenntnisse mehr als alles übrige schmerzt. Die Mitteilungen sind auf Mai 1996 datiert, und die leere Insel tauft der weltkundige Bischof ,Hillary Island'.

Über die Lust am Speisen gelangte er - auf sehr natürliche Weise - an Muriel; die bringt ihn zum Segeln, wovon sie viel versteht, und zur Lust mit ihr. Er läßt da, sich erinnernd, beträchtliche erotische (oder so gemeinte) Direktheiten vom Stapel. Das Großereignis in dieser kultiviert nostalgischen Einsamkeit ist nun die Landung, nach skurril intensivem Gebet, einer Kiste salzgepökelten Kabeljaus. Also Klippfisch. Man muß nämlich, wenn der Bischof recht hat, zwischen Stock- und Klippfisch streng unterscheiden: Kabeljau beidesmal, aber luftgetrocknet hier, salzgepökelt dort. Ein Klippfisch ist eine Mumie, sagt der Bischof, die aber durch sorgfältige Wässerung zu wundersamen Leben wieder ersteht: "Transsubstantiation", natürlich. Diese Kiste ist dieses Robinsons stummer Freitag. Aber daraus geht nun, mit Musil zu reden, "bemerkenswerter Weise nichts hervor". Nur halt neue Rezepte und verstärkte Begier nach Feuer und nach Muriel: "Muriel als gebräunter Kabeljau, offen daliegend und von dicken Salzperlen glänzend, bereit für Verwertung und Verzehr". Ist das sinnlich?

Zwei spanische Gemeinplätze sind da noch. Sie erschließen sich dem Deutschen nicht, denn da ist kulturelle Differenz. Zunächst, daß in Spanien der hierzulande verachtete und eigentlich ganz vergessene Klipp- und Stockfisch äußerst begehrt ist: "bacalao a la vizcaina", also "Kabeljau nach Baskenart", oder gar "bacalao al pil pil", letzteres meint das "blub blub" der kochenden Sülze, die der wiederbelebten Mumie entsteigt. Dann der Gemeinplatz (für Spanier), daß sich deutsche Frauen die Haare an den Beinen nicht entfernen. Dies ist nämlich für den Bischof ein Problem: Muriel hatte "die schönsten grünen Augen der Weltmeere, aber so haarige Beine wie der Sieger der Tour de France". Also gut: beim letzteren liegt der Bischof wohl schief. Bei dem sehe ich eher etwas Rotes und Öliges und Rasiertes. Zweimal also weckt der Autor hier bei Spaniern augenblicklich eine Gemeinplatz-Assoziation, die bei uns ausbleibt.

Vázquez Montalbán gehört in Spanien zu den allerbekanntesten Autoren der Gegenwart. Er schreibt Kriminalromane (zwanzig Bände der Serie Carvalho - so heißt der Detektiv - liegen vor); er schreibt aber auch anderes, es gibt zum Beispiel eine "Autobiographie des Generals Franco", 1992; er macht auch Gedichte und - übrigens meist gute - politische Kommentare in Zeitungen. Seine Position ist links, er ist (oder war) vielleicht gar Kommunist. Es wäre nicht schlimm und jedenfalls hier unerheblich.

Jedes Buch enthält in sich selbst die Kriterien, nach denen es beurteilt werden will. Hier strebt der Autor etwas für ihn definitiv zu Schweres an: Leichtigkeit, den Ton etwa der "Philosophischen Märchen" Voltaires. Die kulinarische Geschichte mit dem Kabeljau als Protagonisten gibt schließlich - jedenfalls in seinem Kopf - doch nicht soviel her. Das Kulinarische ist ja ein Bereich, in dem sich, wie im Musikalischen (und in gewissem Sinn auch im erotisch Sinnlichen) die Sprache schwertut. Da gerät sie schnell an Grenzen, und ihre Wörter gehen "zart am Unsäglichen aus".

Was Vázquez Montalbán hier bietet, ist sicher nicht ganz ungekonnt; alles, fast alles ist übrigens auch durch Michael Hoffmann gut übersetzt. Das Büchlein ist zum Teil, aber wirklich nur sehr zum Teil, ganz nett und vom Verlag wunderhübsch aufgemacht. Im Ganzen aber ist es herzlich schlecht: primitiv antikirchlich - nicht antiklerikal: das wäre ja in Ordnung, und unprimitiv antikirchlich ginge auch -, dann im Antikirchlichen primitiven Witz suchend (und findend), schließlich auf doofe Weise machistisch geschmacklos; und das Kulinarische ist aufgesetzt und bleibt unverdaut. Abzulehnen. HANS-MARTIN GAUGER

Manuel Vázquez Montalbán: "Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch". Aus dem Spanischen übersetzt von Michael Hoffmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1997. 92 S., geb., 22,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr