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Produktdetails
  • Verlag: Arche Verlag
  • Seitenzahl: 176
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 640g
  • ISBN-13: 9783716022245
  • Artikelnr.: 06556388
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.1995

Lieber nur Bilder gucken
Literarisch gekämmt: Jürg Amann nähert sich Robert Walser

Was ist eine "literarische Biographie"? Der Leser wird sich denken: die Biographie eines Schriftstellers, die sein literarisches Werk in den Mittelpunkt stellt, so wie es "politische Biographien" von Staatsmännern gibt, die eben ihr politisches Wirken ins Zentrum rücken. Jürg Amanns "literarische Biographie" Robert Walsers meint jedoch etwas anderes. Literarisch soll hier die eigene Darstellung des Biographen sein: ein Essay, der in dreizehn Variationen das Leben Walsers unter das Motto "Auf der Suche nach einem verlorenen Sohn" stellt. So nämlich heißen sämtliche Kapitel, deren Titel nur durch die fortlaufenden römischen Ziffern unterschieden sind.

Der Leitgedanke Amanns ist die Parabel vom Sohn, der "sich von seiner Mutter nicht genügend geliebt" fühlt und deshalb anfängt zu schreiben: Kunst als Liebesersatz. In diesen schon leicht vermotteten Einfall aus dem Fundus der Psychologie wird nun das ganze Leben, Dichten und Denken Walsers gekleidet. Logisch ist dieser Gedanke freilich nicht. Müßte das Buch nicht "Auf der Suche nach der verlorenen Mutter" heißen? Aber mit der Logik nimmt Amann es nicht so genau, er will ja Dichter sein. Als solcher schlüpft er in die vermeintliche Psyche Walsers und versucht, eine Biographie gewissermaßen aus dessen eigener Perspektive, in Form der erlebten Rede zu schreiben, was natürlich bedeutet, daß er auch in Walsers Ton einstimmen muß.

Nun weiß aber jeder, der diesen Autor liebt, daß es schon fast unmöglich ist, ihn zu interpretieren; sein so rätselhaft zwischen Ernst und Ironie, Trauer und Scherz schwebender Ton, der die Melancholie des schreibenden Ich hinter dem munter-burlesk aufgespannten Fächer manierierter Satz- und Wortbildungen verbirgt, ist kaum je dingfest zu machen. Wer über Walser schreibt, hat oft den Eindruck, eine Schneeflocke anzufassen - und dann doch nur feuchte Finger zu bekommen.

Ganz und gar unmöglich aber ist es, den Walser-Ton mit seinen noch nie dagewesenen Verkleinerungsformen, unverwechselbaren verbalen Kapriolen und traurig-lustigen Artigkeiten nachzubilden. Goethe und Thomas Mann kann man vielleicht imitieren - Robert Walser nicht. Jürg Amann versucht es trotzdem, und dieses Experiment fällt nie anders als verquält aus. Kostprobe: "In der Tat verfügt er über die Sorgfältiggekämmtheit eines Zukunftsträchtigen ebenso wie über die Selbstvernachlässigtheit eines Abgeschriebenen." Jeder erkennt, das soll Walsers Stil sein - doch gleicht es ihm tatsächlich so wie ein ausgestopfter Vogel einem lebendig singenden.

Amanns "literarische Biographie" ist der nur geringfügig veränderte Abdruck eines bereits vor zehn Jahren erschienenen Essays, dessen Titel mit den immer gleichen Kapitelüberschriften dieses neuen Buches identisch war. Schon damals enthielt der Essay eigentlich nichts Neues, sondern bediente sich nur bei Walser selbst und bei seinem Biographen Robert Mächler. Neben Amanns zäh- und überflüssigem Text finden sich in dieser Biographie, verteilt auf die verschiedenen Kapitel, eine knappe Chronik, Auszüge aus Walsers Prosa, die man lieber bei diesem selbst liest, und eine Fülle von freilich sehr schön reproduzierten Abbildungen. Sie allein lohnen die Anschaffung dieses Buches. DIETER BORCHMEYER

Jürg Amann: "Robert Walser". Eine literarische Biographie in Texten und Bildern. Arche Verlag, Zürich und Hamburg 1995. 176 S., geb., 68,- DM.

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