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Die Erinnerung an die dreißiger und vierziger Jahre unseres Jahrhunderts hat viele Gesichter: Sie tritt uns entgegen als Verarbeiten von Erlittenem, als Betrachtung von Erlebtem, als historische Auseinandersetzung mit einer vergangenen Zeit. Dietrich Geyer, der renommierte Tübinger Historiker, erzählt die Geschichte seiner ersten 21 Lebensjahre, sehr persönlich, ohne die Zeit im Spiegel des eigenen Lebens deuten zu wollen. Geboren in der krisenhaften Endphase der Weimarer Republik, verbringt er seine Kindheit unter dem Nationalsozialismus in einer thüringischen Kleinstadt. Als Dreizehnjähriger…mehr

Produktbeschreibung
Die Erinnerung an die dreißiger und vierziger Jahre unseres Jahrhunderts hat viele Gesichter: Sie tritt uns entgegen als Verarbeiten von Erlittenem, als Betrachtung von Erlebtem, als historische Auseinandersetzung mit einer vergangenen Zeit. Dietrich Geyer, der renommierte Tübinger Historiker, erzählt die Geschichte seiner ersten 21 Lebensjahre, sehr persönlich, ohne die Zeit im Spiegel des eigenen Lebens deuten zu wollen. Geboren in der krisenhaften Endphase der Weimarer Republik, verbringt er seine Kindheit unter dem Nationalsozialismus in einer thüringischen Kleinstadt. Als Dreizehnjähriger kommt er in eine nationalsozialistische Eliteschule, erlebt dann zwei Jahre später, 1944/45, in Pommern und Ostpreußen die Schrecken des Krieges und der Flucht. Nach Kriegsende kehrt er in die vogtländische Heimat zurück, die zunächst unter amerikanischer, ab Juli 1945 unter russischer Besatzung steht. In Rostock, wo er seit 1947 Slawistik studiert, gerät er in die Fänge konspirativer Dienste, d ie im aufkommenden Kalten Krieg Informanten suchen. Er entzieht sich diesem Zugriff durch Flucht, die ihn über Westberlin an die Oberweser und nach Göttingen führt, wo er an der Universität den Weg von der Slawistik zur Osteuropäischen Geschichte findet. Dietrich Geyer schildert eindrucksvoll, "wie das 'Jahrhundert der Extreme' in ein Einzelleben eingegriffen hat". Das Buch ist ein eindringlicher Beitrag zu einer Erinnerungskultur, die die Völker nicht trennt, sondern verbindet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.1999

Bericht eines Augenzeugen
Der Historiker Geyer erzählt seine Geschichte

Dietrich Geyer: Reußenkrone, Hakenkreuz und Roter Stern. Ein autobiographischer Bericht. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1999. 152 Seiten, 34,- Mark.

Am Ende der Erinnerungen des Osteuropa-Historikers Dietrich Geyer steht eine fünfseitige Literaturliste. Geyer führt nicht seine eigenen Werke auf, sondern verweist auf Aufsätze und Bücher anderer Historiker über die Orte, Umstände, Geschehnisse und Personen, die sein Leben während jener ersten 21 Jahre beeinflusst haben, die Gegenstand des dünnen Bandes sind. Er wurde 1928 in der Nähe von Greiz in Thüringen als Sohn eines Lehrers geboren. Zwei Jahre seiner Schulzeit, von 1942 bis 1944, verbrachte er in der "Nationalpolitischen Erziehungsanstalt" in Naumburg, einer Eliteschule der Nationalsozialisten. Von Sommer 1944 bis März 1945 war er in Pommern, Ostpreußen und Mecklenburg Flakhelfer und schlug sich dann über Naumburg zu seiner Mutter nach Greiz durch, wo er nach dem Krieg das Abitur machte. Im Herbst 1947 begann er in Rostock mit dem Studium der Slawistik. Nachdem der sowjetische Geheimdienst versucht hatte, ihn anzuwerben, floh er im Frühjahr 1949 über West-Berlin nach Westdeutschland, wo er sein Studium in Göttingen fortsetzte.

Im Kapitel über das Kriegsende stellt Geyer fest: "Obwohl die Forschung inzwischen unendlich viel von dem ermittelt hat, was beim Untergang des Dritten Reichs geschah, kommt die gedruckte Geschichte mit der individuell erfahrenen auch bei mir nicht wirklich überein." An vielen anderen Stellen wird dieser Gegensatz spürbar, ohne dass der Autor ausdrücklich darauf hinweist. Geyer versucht nicht, diesen Gegensatz zu erklären oder gar aufzulösen. Er erzählt einfach seine Geschichte.

Den Blick des Historikers legt Geyer dabei nicht ab. Er betrachtet seine eigene Erinnerung kritisch und zieht verschiedene Quellen zu Rate, die er mit der gebotenen Kritik und Distanz bewertet und einordnet: Erhalten gebliebene Briefe an seine Eltern, Schulaufsätze, Berichte seiner Verwandten und Schulfreunde. Er weiß um die Lückenhaftigkeit dieser Quellen, vor allem seines eigenen Gedächtnisses und lässt vieles offen. Anders als viele Angehörige seiner Generation nimmt er die eigene Erinnerung nicht zum Maß, an dem sich die Geschichtsschreibung über jene Jahre zu messen hat. Als Historiker kennt Geyer die Fragwürdigkeit von Augenzeugenberichten. Daher stellt er seine Erinnerung an einigen Stellen der wissenschaftlichen Literatur zum Thema gegenüber oder verweist wenigstens auf sie. Der Leser dieser Erinnerungen - scheint Geyer mit seiner Literaturliste sagen zu wollen - soll sie kritisch betrachten.

Dennoch bleibt das Maß der Darstellung Geyers eigene Erinnerung. Sein Wissen über geschichtliche Zusammenhänge hindert ihn nicht, seine Geschichte so zu schreiben und für wahr zu nehmen, wie sie ihm im Gedächtnis geblieben ist, auch wenn sie im Widerspruch zur "gedruckten Geschichte" steht. Diese - wie Vorwort und Schlusswort erkennen lassen - bewusst gewählte Erzählweise gibt Geyer die Freiheit, eigene Reaktionen darzustellen, die aus heutiger Sicht ungeheuerlich erscheinen, an deren Ungeheuerlichkeit er keinen Zweifel lässt, die aber doch begreiflich sind. Ein amerikanischer Offizier zwang den 16 Jahre alten Geyer im Sitz der Militärkommandantur in Greiz unmittelbar nach Kriegsende, Bilder aus den Konzentrationslagern zu betrachten: "Schwer zu sagen, was mich damals stärker außer Fassung brachte: der Anblick jener Leichenberge und ausgemergelten Opfer oder die nackte Furcht, nicht wieder freizukommen." An "überwältigende Gefühle der Befreiung nach dem Ende des Naziregimes" könne er sich nicht erinnern. Dass das Kriegsende aus seiner heutigen Sicht gleichwohl eine Befreiung ist, wird aus dem Epilog deutlich.

Er habe mit Bedacht "die schmerzhaften Debatten nicht berührt, die, seit ich ,erwachsen' bin, in immer neuen Wellen um die Probleme des Gedenkens und des Vergessens kreisen", schreibt Geyer am Ende seiner Jugenderinnerungen. Sein Buch ist ein stiller, unspektakulärer und lesenswerter Beitrag zu dieser Debatte.

REINHARD VESER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Verwundert und bewundernd stellt Helmut Altrichter fest, dem Historiker Geyer sei kein, wie sonst in seiner Zunft üblich, dicker schwer lesbarer Wälzer, sondern ein schmaler, "vorzüglich erzählter" autobiografischer Bericht gelungen. Einen Vorzug sieht Altrichter darin, dass sich in Geyer der Historiker und der Zeitzeuge vereinen, was dem Buch einen besonderen Reiz verleihe. Das Nachdenken über die Diskrepanz zwischen den eigenen Erlebnissen und der historisch erfaßten Wirklichkeit mache es zur lohnenswerten Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH