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Es waren kaum 100 Soldaten, die sich über den Vernichtungskrieg und sein Mordprogramm hörbar empörten, die ihre Kooperation verweigerten, sich demonstrativ nicht an Exekutionen beteiligten oder gar zu Rettern von Juden und anderen politisch und rassisch Verfolgten wurden. Sie zählen zu den wenigen innerhalb der Wehrmacht, die sich ihre humane Orientierung bewahrt haben - und ihre Namen sind z. B.: Anton Schmid (nach ihm wurde im Mai 2000 die Kaserne der Bundeswehr in Rendsburg benannt), Reinholf Lofy, Karl von Bothmer, Wilm Hosenfeld,Erich Heym, Karl Laabs, Heinz Drossel und Max Liedtke. Wie…mehr

Produktbeschreibung
Es waren kaum 100 Soldaten, die sich über den Vernichtungskrieg und sein Mordprogramm hörbar empörten, die ihre Kooperation verweigerten, sich demonstrativ nicht an Exekutionen beteiligten oder gar zu Rettern von Juden und anderen politisch und rassisch Verfolgten wurden. Sie zählen zu den wenigen innerhalb der Wehrmacht, die sich ihre humane Orientierung bewahrt haben - und ihre Namen sind z. B.: Anton Schmid (nach ihm wurde im Mai 2000 die Kaserne der Bundeswehr in Rendsburg benannt), Reinholf Lofy, Karl von Bothmer, Wilm Hosenfeld,Erich Heym, Karl Laabs, Heinz Drossel und Max Liedtke. Wie die Angehörigen des Widerstandes und die Deserteure der Wehrmacht stehen die "Retter in Uniform" dafür, dass es neben dem militärischen Gehorsam auch Möglichkeiten individuell verantworteter Humanität im totalitären Staat gegeben hat - Handlungsspielräume, um "aktiven Anstand" zu praktizieren. Diese Wenigen halten Millionen von gehorsamen Befehlsempfängern den Spiegel vor.
Autorenporträt
Wolfram Wette, geboren 1940, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie, 1971 Dr. phil., 1991 Habilitation, 1971-1995 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg i. Br.; seit 1998 apl. Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Freiburg i. Br.. Mitbegründer und mehrfach Sprecher des Arbeitskreises Historische Friedensforschung (AHF), Mitherausgeber der Reihe "Geschichte und Frieden" und des Jahrbuchs "für Historische Friedensforschung"
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2002

Täter und Retter in der Wehrmacht
Hitlers Soldaten: Die Suche nach einem ausgewogenen Bild der Vergangenheit geht weiter

Hamburger Institut für Sozialforschung (Herausgeber): Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944. Hamburger Edition, Hamburg 2002. 749 Seiten, 30,- Euro.

Wolfram Wette (Herausgeber): Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002. 247 Seiten, 13,90 Euro.

Die These der Horrorbilderschau war einprägsam und schlicht: Mörder in Uniform. Der Titel der Ausstellung: "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" wurde schnell verkürzt und damit entstellt zu "Wehrmachtsausstellung", so als ob die 18 Millionen Soldaten alle Täter gewesen seien, so als ob sich die Geschichte der bewaffneten Macht im "Dritten Reich" ganz auf fürchterliche Morde und Massaker reduzieren ließe.

Von 1995 bis 1999 gastierte die von Jan Philipp Reemtsma finanzierte Wanderausstellung in über 30 Städten, war ein Publikumsmagnet, bis sie an der Arroganz der Aussteller gegenüber ihren Kritikern und an einigen falschen Bildunterschriften kläglich scheiterte. Reemtsma ordnete den einstweiligen Rückzug aus dem Besucherverkehr an, setzte eine Expertenkommission zur Überprüfung ein, trennte sich vom Hauptpropagandisten Hannes Heer und übernahm schließlich die Gesamtleitung eines fünfzehnköpfigen jungen Forscherteams in der Neubearbeitungsphase.

Ende November 2001 startete Reemtsma zu einem zweiten Anlauf in Form einer - nun eher zurückhaltend bebilderten - umfangreichen Dokumentenschau, die er vor der Eröffnung von einem selbsternannten Historikergremium fachwissenschaftlich vorprüfen ließ. Sechs "Dimensionen des Vernichtungskriegs" wurden herausgearbeitet: Völkermord an sowjetischen Juden, Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen, Ernährungskrieg, Deportationen und Zwangsarbeit, Partisanenkrieg sowie Repressalien und Geiselerschießungen.

Die Ausstellung wird nun in einem großformatigen Katalog auf fast 800 Seiten protokolliert. So wird die genaue Lektüre der Dokumente, häufig auch als farbige Faksimiles wiedergegeben, ermöglicht, die den Ausstellungsbesucher schon von der dargebotenen Menge her überfordern muß. Daß der professionell recherchierte und aufwendig gestaltete Katalog nicht durch ein Personen- und Ortsregister erschlossen worden ist, muß als Mangel konstatiert werden. Inhaltlich bleibt die Wechselwirkung von Kriegführung und Besatzungspolitik weiterhin vollkommen unterbelichtet, weil die Zweitversion wieder fast ausschließlich die Grausamkeiten thematisiert. Daher kommen der militärische Auftrag der Wehrmacht und der Kriegsalltag der Masse der Soldaten an der Front nur ganz am Rande vor. Das wird bereits im Titel der Ausstellung - "Verbrechen der Wehrmacht" - zum Ausdruck gebracht, wenn es auch eigentlich "von Wehrmachtsangehörigen" heißen müßte. Denn es war nicht die Wehrmacht, sondern - nach vorsichtigen Expertenschätzungen - bis zu ein Prozent der deutschen Soldaten, die zu Vernichtungs-Tätern wurden. Das ist eine stattliche Minderheit von höchstens 180 000 Männern, die Hannes Heer einmal unlauter auf "80 Prozent" und damit zur großen Mehrheit deklarierte. Einerseits läßt sich von der zweifellos hitlerhörigen, stark korrumpierten und vielfach in Vernichtungsaktionen fest eingebundenen Generalität keineswegs auf die Truppe insgesamt schließen. Andererseits fallen - was längst bekannt ist, aber immer wieder vergessen wird - sogar auf manche Verschwörer gegen Hitler lange Schatten: Der Generalquartiermeister des Heeres, Eduard Wagner, der nach dem mißglückten Attentat vom 20. Juli 1944 seiner Verhaftung durch Selbstmord zuvorkam, hatte 1941/42 das Wüten der Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten und das Verhungern der sowjetischen Zivilbevölkerung "im Operationsgebiet" billigend in Kauf genommen.

Der zentralen Frage der Quantifizierung geht die neue Ausstellung aus dem Wege: "Die Forschung läßt allerdings keine Aussagen über die Anzahl der an diesen Verbrechen beteiligten Wehrmachtssoldaten zu", erläutert der Ausstellungskatalog nebenbei und verzichtet auf eine notwendige Korrektur des über Jahre von Reemtsmas "Hamburger Institut für Sozialforschung" mit Nachdruck propagierten Zerrbildes von der mehr oder weniger kollektiv schuldig gewordenen "schmutzigen Wehrmacht". Immerhin zeigt das Ausstellungsteam jetzt Handlungsspielräume auf, die von einzelnen Befehlsempfängern "nach verschiedenen Seiten genutzt" worden seien: von der Übererfüllung bis zur Teil- und Nichterfüllung. Beispielsweise rettete der in Wien geborene Feldwebel Anton Schmid als Leiter der "Versprengtensammelstelle" in Wilna Hunderten Juden das Leben, bis er - wie er seiner Frau in einem Brief bekannte - wegen seines "weichen Herzens" gegenüber den Verfolgten im Frühjahr 1942 hingerichtet wurde: " . . . ich habe nur als Mensch gehandelt und wollte ja niemandem weh tun."

Der Oberstleutnant im Generalstab Helmuth Groscurth versuchte im August 1941 in Belaja Zerkow vergeblich, die Erschießung von jüdischen Frauen und Kindern mit dem Hinweis auf die "Aufrechterhaltung der Manneszucht der Truppe" zu stoppen. Major Max Liedtke und sein Adjutant Albert Battel ließen es in Przemysl im Juli 1942 sogar auf eine offene Konfrontation der ihnen unterstellten Wehrmachtssoldaten mit SS-Angehörigen und Polizisten ankommen, um einige hundert Juden mit der vorgeschobenen Begründung von den dringend benötigten Arbeitskräften vor der Vernichtung zu bewahren.

Wer sich solche beeindruckenden Beispiele von Zivilcourage nicht durch die Lektüre einzelner unkommentierter und zurückhaltend-kurz eingeführter Dokumente im Ausstellungskatalog erschließen will, sondern engagiert erzählte Lebensgeschichten bevorzugt, dem sei die Aufsatzsammlung über "Retter in Uniform" empfohlen, in der Battel, Liedtke und Schmid als "prominenteste" Fälle angemessen berücksichtigt werden. Stoff für ein Drehbuch findet sich in dem Beitrag über den "Luftwaffenfeldwebel und Baurat Karl Laabs. Ein Jugendbewegter als Judenretter im polnischen Krenau". Autor Reinhold Lütgemeier-Davin schildert die tollkühnen Taten eines Frauenhelden, Lebenskünstlers und "gerissenen Schalks", der es offensichtlich genoß, lokale SS-Größen irreführen zu können.

Als Kreisbaurat im Landratsamt Krenau dienstverpflichtet, erwarb Laabs ein abgelegenes, circa 40 000 Quadratmeter großes und hoch eingefriedetes Grundstück als Versteck und Treffpunkt für Verfolgte. Das weiträumige Areal "- mit Feld, Wiesen, Karpfenteichen, Wohnhaus, Ställen und Scheune - lag zwischen der Hauptstraße und der Bahnstrecke nach Auschwitz, also zwischen den Wegen, auf denen der Transport von Juden in das Vernichtungslager erfolgte. Die Auschwitzer Straße 36 wurde zu einer Enklave der Menschlichkeit, zur Fluchtstätte für Juden und Polen." Nach 1945 sträubte sich Laabs übrigens gegen die Bezeichnung, ein Held gewesen zu sein: "Seine Handlungsweise wollte er nur als Akt reiner Menschlichkeit gedeutet wissen. Helden waren für ihn gestorben" - wie sein in Belgien gefallener Bruder.

In einem Geleitwort lobt Fritz Stern solche Menschen, "die sich anpaßten, feige oder fröhlich ,mitgemacht' haben - und die dann in irgendeinem Augenblick den Mut zur Selbstüberwindung und zum aktiven Anstand fanden". Die verspätet einsetzende wissenschaftliche Beschäftigung mit den "Empörten, Helfern und Rettern" sei eine Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit und der Zukunft: "Wenn wir mehr wissen über die wahrscheinlich beachtliche Minderheit, die in Europa im Zweiten Weltkrieg ihren Anstand behielt und bewies, dann könnten wir vielleicht an ein Ehrenmal der Gerechten denken, an ein Grab des unbekannten Retters."

Einen solchen Optimismus hält Herausgeber Wolfram Wette offensichtlich für übertrieben. Als Anhänger der ausrangierten alten "Wehrmachtsausstellung" befürchtet er, daß der frisch von ihm definierte "Rettungswiderstand" mißverstanden werden könne, "zumal vor dem Hintergrund des großen gesellschaftlichen Ereignisses, daß das Image der ,sauberen Wehrmacht' in den öffentlichen Debatten der Jahre 1995-1999 doch gerade erst hinterfragt und als Legende enttarnt worden" sei. Jedoch hätten nur "einige wenige" bewiesen, "daß es zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber verbrecherischen Befehlen eine Alternative" gegeben habe. Daher bläst Wette vorsichtshalber zu einem verbalen Präventivschlag gegen die "Millionen von Gehorchern" in der Wehrmacht. Ihnen werde - so der Klappentext des Buches kämpferisch - der Spiegel vorgehalten durch das couragierte Verhalten von "um die hundert Soldaten".

Diese geringe Anzahl widerlegt bereits Thomas Kühne in dem lesenswerten Beitrag "Der Judenretter und seine Kameraden. Gemeinschaftsmoral und Gemeinschaftsterror in der Wehrmacht": Ein "beträchtliches Verweigerungspotential gegenüber dem Mitmachen und Mitkämpfen" lasse sich anhand von Gerichtsurteilen der Militärjustiz feststellen. Und Florian Rohdenburg hebt bei der Würdigung des Ortskommandanten von Horodenka, Hauptmann Fritz Fiedler, hervor: Er "wäre nicht fähig gewesen, auch nur einen Juden zu retten, wenn die Soldaten seiner Dienststelle ihm nicht geholfen hätten. Er konnte sich auf sie verlassen und wußte, daß keiner ihn denunzieren würde."

Die Täter und Retter verdienen gleichermaßen die Aufmerksamkeit einer Zeitgeschichtsforschung, die sich auf die Annäherung an die Wirklichkeit des Krieges und damit weder auf eine Belastung noch eine Entlastung der Institution Wehrmacht konzentrieren sollte. Dann läßt sich endlich Fritz Sterns berechtigte Forderung erfüllen: "Wir brauchen ein so weit wie möglich ausgewogenes Bild der Vergangenheit."

RAINER BLASIUS

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Eine "wertvolle Sammlung von Biografien" erblickt Rezensent Christian Semler in dem von Wolfram Wette herausgegebenen Band "Retter in Uniform", der eine Reihe von Rettungsaktionen deutscher Wehrmachtsangehöriger in besetzten Gebieten dokumentiert. Semler hebt hervor, dass die Beiträge über die Rekonstruktion der einzelnen Fälle hinaus auch den biografischen Hintergrund der Akteure beleuchtet. Es zeigt sich, so Semler, dass den Rettern, die meist einem spontanen Entschluss folgten und ohne Rückhalt seitens der "Kameraden" waren, oft eine christlich geprägte Werteordnung zu eigen war. Für die Analyse der Rettungsgeschichten erweist der Begriff des "Handlungsspielraumes" nach Ansicht Semlers erneut seine "große heuristische Bedeutung". Semler kommt zu dem Schluss "dass viel mehr Rettungstaten möglich gewesen wären, wenn Zivilcourage in Deutschland nicht als Fremdwort gegolten hätte". Darin sieht er die aktuelle Botschaft des Werkes. Befürchtungen, Arbeiten wie diese könnten zur Entlastung der Wehrmacht und ihres Vernichtungskrieges im Osten beitragen, hält Semler für grundlos: "Sie wecken vielmehr die bohrende Frage", schließt er, "wie hättest du dich in einer vergleichbaren Situation verhalten?"

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