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Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Deutschland hat sich bis 1914 kontinuierlich entwickelt. Man trat optimistisch und zukunftsgewiss auf und wähnte sich im Einklang mit dem Fortschritt der Gesellschaft. Der Erste Weltkrieg und die gescheiterte Revolution von 1918/19 jedoch führten zu einem jähen Einschnitt.Gleichsam als Seismographen für die Krise in der Arbeiterbewegung der Zwischenkriegsjahre wirkten ihre Jugendorganisationen. Hier lebten sich die Zweifel am bisherigen Fortschrittsparadigma aus, hier traten Lebens- und Individualreform gleichwertig neben die klassische…mehr

Produktbeschreibung
Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Deutschland hat sich bis 1914 kontinuierlich entwickelt. Man trat optimistisch und zukunftsgewiss auf und wähnte sich im Einklang mit dem Fortschritt der Gesellschaft. Der Erste Weltkrieg und die gescheiterte Revolution von 1918/19 jedoch führten zu einem jähen Einschnitt.Gleichsam als Seismographen für die Krise in der Arbeiterbewegung der Zwischenkriegsjahre wirkten ihre Jugendorganisationen. Hier lebten sich die Zweifel am bisherigen Fortschrittsparadigma aus, hier traten Lebens- und Individualreform gleichwertig neben die klassische Gesellschaftsreform. Am Ende der Weimarer Republik hatten neue gesellschaftliche Bewegungen weit links und weit rechts an Terrain gewonnen; zudem verdrängten die kommerziellen Freizeitkulturen die überkommenen Verbandsangebote der sozialistischen Jugend in den Arbeiterquartieren der Industriestädte.Franz Walter zeichnet die Krise des Weimarer Sozialismus nach und weist auf die tiefe, konfliktträchtige Kluft zwischen den Generationen im Sozialismus hin. Er zeigt, wie die alten sozialistischen Offerten an Zugkraft verloren - aber auch den Weg frei gemacht haben für neue Entwürfe im jungen Sozialismus der 1920er und 1930er Jahre._______
Autorenporträt
Walter, FranzFranz Walter (Prof. Dr. i.R.), geb. 1956, war von 2010-2017 Leiter des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Parteien und politische Kulturforschung. Er publiziert vor allem zur Geschichte und Entwicklung der deutschen Parteien, u.a. regelmäßig auf SPIEGEL ONLINE.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2011

Redeschlachten und Flügelkämpfe
Die sozialdemokratische Parteijugend zwischen Kaiserreich und "Drittem Reich"

"Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel", skandierten 1968 die rebellierenden Studenten, als sie in Protestmärschen über den Campus und durch die Straßen deutscher Universitätsstädte zogen. Den Slogan hatten sie nicht erfunden, sondern übernommen: Diese Losung hatten schon linksradikale Jungsozialisten gerufen, als sie in der Endphase der Weimarer Republik gegen die nach ihrer Ansicht viel zu schüchterne Politik der SPD-Führung zu Felde zogen. Die sozialdemokratische Parteijugend ist Gegenstand einer umfänglichen Darstellung von Franz Walter, der einer breiteren Öffentlichkeit durch seine zahlreichen Publikationen über die deutschen Parteien bekannt ist.

Walter kehrt mit dieser Untersuchung zu seinen wissenschaftlichen Anfängen zurück, denn vor fast dreißig Jahren schrieb er seine Dissertation über den frühen Weimarer Jungsozialismus, nachdem er zuvor schon eine Studie über die Jungsozialisten in der zweiten Hälfte der Republik publiziert hatte. Nicht wenige Abschnitte aus diesen Veröffentlichungen haben (teilweise wörtlich) Eingang in das neue Buch gefunden, das in der kompakten Neuformatierung eine eindringliche, ebenso einfühlsame wie reflektierte Darstellung der kurzen, aber außerordentlich bewegten und konfliktreichen Geschichte der sozialdemokratischen Parteijugend zwischen Kaiserreich und "Drittem Reich" bietet.

Rein quantitativ waren die sozialdemokratischen Jugendorganisationen nicht besonders stark. Die Zahl der Jungsozialisten, der 18- bis 25-jährigen Jusos, belief sich 1931 auf 3000 im ganzen Reich, die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) organisierte 1926 insgesamt 56 000 vierzehn- bis achtzehnjährige Arbeiterjugendliche, das waren 0,72 Prozent der entsprechenden Altersjahrgänge. Doch ungeachtet der eher bescheidenen Größenordnungen stellt die sozialdemokratische Parteijugend ein spannendes Untersuchungsobjekt dar, wie Walter eindrucksvoll belegt. Sein Buch ist eine Fundgrube für jeden, der sich für Jugendgeschichte im 20. Jahrhundert und insbesondere für die Geschichte der Zeit der Weimarer Republik interessiert. Auf über 50 Seiten behandelt Walter Verbandspraxis und Konflikte, Mitgliederentwicklung, Rekrutierungsprobleme und Funktionärskörper der SAJ. Sein Hauptinteresse gilt jedoch den Jungsozialisten als Bildungs-, Erziehungs- und Diskussionsgemeinschaft mit elitärem Anspruch. Überzeugend arbeitet er heraus, dass es generationsspezifische Prägungen waren, welche Gruppenbildung und Konfliktverläufe innerhalb der jungsozialistischen Bewegung bestimmten.

Die Generation der um die Jahrhundertwende Geborenen, die bis Mitte der zwanziger Jahre den Funktionärskörper der Jusos dominierte, hatte in jungen Jahren die Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt. Erfüllt von einer Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit, wollten diese jungen Sozialisten ein aufrichtiges selbstbestimmtes Leben führen und durch Lebensreform und Reinerhaltung der "Kulturidee des Sozialismus" zu "neuen Menschen" werden. Im Zeichen des jugendlich-autonomistischen Aufbruchs zu neuer sozialistischer "Gemeinschaftlichkeit" stand der Reichsjugendtag in Weimar im August 1920 mit 2000 Teilnehmern. Mit Spiel, Volkstänzen, Rezitationen und Gesang beliebter Volkslieder wurde ein großes Fest gefeiert. Klarere Konturen erhielt der frühe Jungsozialismus dann durch die Tagung im nordhessischen Hofgeismar an Ostern 1923 (nach Beginn der Ruhrbesetzung), die nationale Emotionen ins Kraut schießen ließ. "Nation und Staat" war das beherrschende Thema, zu dem prominente sozialdemokratische Intellektuelle sprachen. Gustav Radbruch, Eduard Hei-mann und Hugo Sinzheimer verlangten von den Jusos praktische Reformarbeit im Weimarer Staat mit dem Ziel einer allmählichen gesellschaftlichen Umgestaltung nach den ethischen Prinzipien der sozialistischen Solidarität - und sie fanden damit bei den meisten offene Ohren.

Doch die Dominanz der "Hofgeismarer" währte nur kurz. Seit Herbst 1923 - die Reichsexekution gegen Sachsen spielte eine wesentliche Rolle - regte sich Widerstand gegen das nationale Paradigma. Der sich jetzt herausbildende linke Flügel, die "Hannoveraner" (Jusogruppen des Bezirks Hannover waren hier initiativ), distanzierte sich von der Volksgemeinschaftsvorstellung der "Hofgeismarer" und rückte den Klassenkampfgedanken in den Vordergrund. Die von nun an mit äußerster Schärfe ausgetragenen Flügelkämpfe bei den Jusos resultierten nicht allein aus der sozialen und politischen Situation. Sie waren auch die Konsequenz von Generationswechsel und Erfahrungswandel. Die Generation der zwischen 1905 und 1912 geborenen Arbeiterjugendlichen hatte gänzlich andere Erfahrungen gemacht als die um die Jahrhundertwende Geborenen: "Sie waren Kinder der Republik . . . Ihr primärer Bezug für die Zusammensetzung politischer Deutungsmuster und Orientierungsmaßstäbe war die Gegenwart, wie sie sie erfuhren und täglich wahrnahmen: als schroffe und scheinbar stabilisierte Klassengesellschaft mit einem politisch herrschenden Bürgerblock, einer Justiz, die ,im Kriegszustand' mit dem Volk lebte, einem Schul- und Bildungswesen, das Entfaltungsmöglichkeiten für Arbeiterkinder kaum bot." So konnte die Losung "Republik, das ist nicht viel . . ." plausibel erscheinen.

Zum Showdown zwischen den beiden Flügeln kam es Ostern 1925 auf der 3. Reichskonferenz in Jena. Nach dramatischen Redeschlachten setzte sich der linke Flügel deutlich durch. Die von ihm vorgelegte Resolution wurde mit 71:31 Stimmen angenommen. Sie perhorreszierte die "Verwässerung des revolutionären proletarischen Klassenkampfes" und forderte, das sozialistische Proletariat dürfe dem "bürgerlichen Klassenstaat gegenüber keine staatspolitische Verantwortung übernehmen". Auch bei der Wahl des Redakteurs der "Jungsozialistischen Blätter" unterlag der Kandidat des rechten Flügels. Der Hofgeismarer Kreis zerfiel, 1926 löste er sich auf und empfahl seinen Sympathisanten die aktive Mitarbeit in Partei und Gewerkschaften.

Von nun an bestimmten die linken und linksradikalen Jusos mit ihrer Geringschätzung der Republik als eines Klassenstaats der Bourgeoisie das Erscheinungsbild der Bewegung. Und in der SPD mehrten sich die kritischen Stimmen gegenüber der Nachwuchsorganisation. Nach einem weiteren Radikalisierungsschub bei den Jusos im Anschluss an die Septemberwahl 1930 beschloss die SPD auf ihrem Leipziger Parteitag 1931 die Auflösung der Juso-Organisationen; der Beschluss erfolgte fast einstimmig. Viele Jusos gingen danach zur Jugendorganisation der im Oktober 1932 gegründeten "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" (unter ihnen der Lübecker Herbert Frahm, der in der Emigration den Namen Willy Brandt annahm).

Mit Recht betont Walter, der Terminus "Flügel" sei sowohl hinsichtlich der Hofgeismarer als auch hinsichtlich der Linkssozialisten mit Vorsicht zu gebrauchen, denn die Fraktionen waren in sich viel heterogener, als mit diesem Begriff unterstellt wird. Diese Heterogenität analysiert Walter präzis und scharfsinnig, wie er auch die ideologischen Positionen der intellektuellen Mentoren der rechten und linken Jusos prägnant beschreibt - etwa Hermann Heller, Theodor Haubach und Paul Tillich auf der einen Seite, Max Adler, Leonard Nelson, Siegfried Marck und Fritz Sternberg auf der anderen Seite. Auffallend viele der Mentoren waren übrigens jüdischer Herkunft mit bürgerlichem Hintergrund.

Was blieb nach 1945? Dies fragt Walter im Schlusskapitel. Einiges schon. Der langjährige SAJ-Vorsitzende Erich Ollenhauer wurde nach Kurt Schumachers Tod 1952 Vorsitzender der SPD und der Sozialistischen Internationale. Noch wichtiger jedoch war wohl, dass in der sozialdemokratischen Programmdiskussion der fünfziger Jahre Jusos der zwanziger Jahre die erste Geige spielten, wobei Kontrahenten von einst einträchtig zusammenwirkten, beim Godesberger Programm der Nelson-Schüler Willi Eichler und der Hofgeismarer Heinrich Deist. Die Organisationsreform der SPD wurde von der oppositionellen SAJ-Generation der frühen dreißiger Jahre durchgesetzt. Walter konstatiert: In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren "verdichtete sich der einst so heterogene frühe Weimarer Jungsozialismus zu einem gemeinsamen ethischen Sozialismus, der Endziele nicht mehr formuliert, Gesetzmäßigkeiten in Ökonomie und Geschichte abstritt, die Partei dafür an Grundwerte band, an denen sich das politische Handeln zu messen hatte".

EBERHARD KOLB

Franz Walter: "Republik, das ist nicht viel". Partei und Jugend in der Krise des Weimarer Sozialismus. Transcript Verlag, Bielefeld 2011. 454 S., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Laut Eberhard Kolb kehrt der Autor mit diesem Buch zu seinen akademischen Wurzeln, zu seiner Dissertation etwa, zurück, aus der er hier sogar wörtlich zitiert, wie Kolb nicht gerade euphorisch feststellt. Eine gelungene, einfühlsame wie reflektierte Darstellung über die sozialdemokratische Parteijugend zwischen Kaiserreich und "Drittem Reich" ist dennoch bzw. gerade deshalb daraus geworden, wie der Rezensent im Weiteren festhält. Fundstücke für den Interessierten entdeckt der Rezensent in den von Franz Walter referierten Bereichen Verbandspraxis, Mitgliederentwicklung und Rekrutierung. Vor allem jedoch ist es die Arbeit der Jungsozialisten als heterogene Bildungs- und Diskussionsgemeinschaft, die Walter laut Kolb überaus präzise in den Blick nimmt, ihre Mentoren und ihr vielfältiges Nachwirken nach '45.

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»Dieser Band wird hoffentlich viele Leserinnen und Leser finden.« Uli Schöler, JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 2 (2013) »Der Studie gelingt es, vielfältige methodische Zugänge zum Weimarer Jungsozialismus zu finden.« Matthias Busch, H-Soz-u-Kult, 12.12.2011 »Eine eindringliche, ebenso einfühlsame wie reflektierte Darstellung der kurzen, aber außerordentlich bewegten und konfliktreichen Geschichte der sozialdemokratischen Parteijugend zwischen Kaiserreich und 'Drittem Reich'.« Eberhard Kolb, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.12.2011 »Walters Untersuchung ist überaus materialreich, lesenswert und anregend, macht sie doch die fast unüberschaubare Vielfalt unterschiedlicher Strömungen deutlich, die es in der deutschen Sozialdemokratie zwischen der Novemberrevolution und dem Beginn der NS-Diktatur gegeben hat.« Manfred Weißbecker, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 59/10 (2011) Besprochen in: PW-Portal, 11 (2011), Stephan Klecha