Produktdetails
  • Verlag: Das Beste
  • ISBN-13: 9783870700843
  • Artikelnr.: 23989438
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2013

Artenschutz für den Weißen Hai

Erstmals erscheint Peter Benchleys "Jaws", die Vorlage für Steven Spielbergs Kinofilm, vollständig auf Deutsch. Dabei handelt es sich tatsächlich um einen Gesellschaftsroman, der die Bedrohung zum Anlass für eine Sozialstudie nimmt.

Das Horrorgenre entdeckte die Ökologie fast zur selben Zeit, als der Umweltschutz den Horror entdeckte. Seither besteht zwischen beiden eine innige, aber selten bemerkte Allianz. Das Video, in dem die Umweltorganisation "Bund" jüngst mit Bildern auf einem Acker wachsender, Pestiziden ausgesetzter Babys für "eine Zukunft ohne Gift" warb (F.A.Z. vom 31. Oktober), war nicht einfach eine Entgleisung. Tatsächlich verwenden Öko- und Tierschutzbewegungen seit gut dreißig Jahren zur Popularisierung ihrer Ziele Versatzstücke der Horrorästhetik. Bilder von Kadavern geschlachteter Tiere evozieren die Ikonographie der Kannibalenfilme der siebziger Jahre, apokalyptische Darstellungen toter Landschaften die von Endzeitfilmen.

An Peter Benchleys 1974 erschienenem Roman "Jaws", dessen Verfilmung durch Steven Spielberg als "Der weiße Hai" ein Jahr später Berühmtheit erlangte und der nun erstmals ungekürzt auf Deutsch erscheint, wird die Allianz von Naturschutz und Horror in ihrer Widersprüchlichkeit deutlich. Als das Buch auf den Markt kam, entstand in den Vereinigten Staaten gerade die Ökobewegung, besonders aktiv waren die Walschützer. Dass Tiere im Horrorfilm zur Bedrohung der Menschen wurden, war für sich genommen nichts Neues. Alfred Hitchcock hatte 1963 in "Die Vögel" sogar eine Rache der Tierwelt an den Menschen als mögliche Erklärung ins Spiel gebracht. Die Erschütterung, die sein Film auslöst, beruht jedoch darauf, dass es bei der bloßen Möglichkeit bleibt: Das Verhalten der Tiere ist so mehrdeutig wie ihr Symbolgehalt, und dem Film eine tierschützerische Moral überzustülpen widerspräche dem Schrecken, den er hinterlässt.

Dass Spielbergs "Weißer Hai", an dessen Drehbuch Peter Benchley mitgearbeitet hat, sich in seinem Desinteresse am Umweltschutz von der Romanvorlage unterscheidet - für eine Szene wurde gar, heute undenkbar, ein Hai getötet -, spricht für das dramaturgische Gespür des Regisseurs. Umgekehrt zeugt aber auch Benchleys Roman von einer Ernsthaftigkeit, die bei Steven Spielberg der Spannung zum Opfer fällt. Im Grunde ist Benchleys "Jaws" gar keine Vorlage für einen Tierhorrorfilm. Eher handelt es sich um einen Gesellschaftsroman, der die Bedrohung eines Badeortes zum Anlass einer Sozialstudie nimmt.

Figurenpsychologie und Gesellschaftsanalyse sind bei Spielberg funktional: Die Lebensgeschichte und soziale Stellung der Hauptfiguren - des Polizeichefs Brody, des Haijägers Quint und des Meeresbiologen Hooper - sind nur insoweit von Bedeutung, wie sie der sich zuspitzenden Typisierung dienen, aus der sich im Finale ein Wettkampf der drei Männer entspinnt. Peter Benchley, der als Journalist für die "Washington Post" und Redenschreiber für Lyndon B. Johnson gearbeitet hat, pflegt dagegen einen detailgenauen Realismus. Er widmet zwei Drittel seines Buches der Darstellung des Figurengeflechts und des Alltags in der Kleinstadt. Dass deren Bürgermeister sich trotz der Haiattacken weigert, den Strand zu sperren, weil er Touristen nicht verschrecken will, dient bei Spielberg nur der Spannungssteigerung. Benchley entwickelt daraus eine eigene Nebenhandlung, indem er den Bürgermeister nicht nur dem Druck des Polizeichefs aussetzt, sondern auch dem der örtlichen Mafia, die eine Beeinträchtigung ihrer Geschäfte fürchtet.

Besonders drastisch unterscheidet sich Benchleys Buch von Spielbergs Film in der Darstellung der Hai-Attacken. Spielberg lässt sie im letzten Drittel in immer kürzerem Abstand und größerer Heftigkeit aufeinanderfolgen. Benchley baut dagegen auch im Finale retardierende Momente ein, indem er die Schilderung der Hai-Jagd durch Beschreibungen des Kleinstadtlebens unterbricht oder die Helden zwischen zwei Angriffen geduldig fachsimpeln lässt: "Hören Sie, der lateinische Name für diesen Fisch ist Carcharodon carcharias, klar? Der nächste Vorfahr, den wir finden können, ist ein Tier namens Carcharodon megalodon, ein Fisch, der vor etwa dreißig- bis vierzigtausend Jahren existiert hat. Wir haben fossile Zähne vom Megalodon. Sie sind fünfzehn Zentimeter lang. Das lässt auf eine Länge von fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Meter schließen."

Solche Lektionen, erteilt in lebensbedrohlicher Situation, sind im Roman ein Spannungskiller, doch Benchley ging es darum, den Weißen Hai seinem Publikum als fremdes, aber faszinierendes Wesen nahezubringen. In einem Brief an David Brown, den Produzenten von "Jaws", empörte er sich, man verlange von ihm, den Mythos vom "bösartigen Hai" zu bedienen, während das Töten doch dessen "instinktmäßiges Verhalten" sei. Nach dem Welterfolg des Films widmete Benchley sein Leben dem Bemühen, Interesse und Verständnis für die Raubfische zu wecken. In zwei Artikeln für "National Geographic" von 2001 und 2005, die der deutschen Ausgabe von "Jaws" nun ebenso beigefügt sind wie der Brief an Brown, warnt er vor deren Aussterben: "Seit Millionen von Jahren hat der Weiße Hai praktisch unverändert überlebt ... Es wäre mehr als eine ökologische Tragödie, würde der Mensch - als relativer Neuling auf der Erde - ihn seiner Lebensgrundlagen berauben." Schockiert vom Erfolg seines Buchs als Vorbild des Tierhorrorfilms, wurde Peter Benchley zum Umweltschützer und blieb es bis zu seinem Tod im Jahr 2006.

MAGNUS KLAUE.

Peter Benchley: "Der weiße Hai". Roman.

Aus dem Englischen von Vanessa Wieser und Walter Hartmann. Milena-Verlag, Wien 2013. 312 S., geb., 23,90 [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2014

Baden gehen
Nach wie vor gute Strandlektüre:
Peter Benchleys „Der weiße Hai“
Den „Weißen Hai“ hat Peter Benchley bitter bereut. Nicht den Welterfolg natürlich, nein, es sind die Haie selbst, um die sich der Autor sorgte und für deren Schutz er ein Leben lang eintrat. Sein Roman, erschienen 1974, vor nunmehr 40 Jahren, habe ein „Zerrbild von Haien vermittelt“, schrieb Benchley im April 2000 reumütig in National Geographic . Auch die gekonnt beängstigende Verfilmung durch den 29-jährigen Regie-Shootingstar Steven Spielberg 1975 trug dazu bei, dass die markante Dreiecksflosse einen Ehrenplatz im Panikfundus jedes Strandurlaubers einnimmt – und bis heute kaum jemand am Meer ausgerechnet „Der weiße Hai“ liest.
  Dabei gehört der Roman ( jüngste deutsche Ausgabe: Der weiße Hai. Neu übersetzt aus dem Amerikanischen von Vanessa Wieser. Milena Verlag, Wien 2013. 309 S., 23,90 Euro ) genau dort hin, denn Benchley führt präzise vor, wie Badeorte ticken, die ein ganzes Jahr lang von dem leben, was Erholungswütige binnen zwölf heißer Sommerwochen dort ausgeben. Benchley lässt seinen Hai als tödliche, unberechenbare Bedrohung auf eine solche Kleinstadt los. Für die Einwohner von Amity steht alles auf dem Spiel, falls der Wirtschaftsfaktor Sommergäste ausbleibt – ein Szenario, das in den Siebzigern nicht nur Benchley-Fan Fidel Castro als metaphorisch für das kapitalistische System gelesen hat. Politik, Wirtschaft und Presse einigen sich, den ersten nächtlichen Haiangriff zu vertuschen, doch dann stirbt ein Junge am helllichten Tag. In diese Versuchsanordnung setzt Benchley den rechtschaffenen Polizeichef Brody. Er gerät nicht nur politisch und moralisch unter Druck, auch sein Privatleben ist bedroht, als der männlichkeitsstrotzende Hai-Experte Hooper auftaucht. Obwohl die aufdringlichen Filmbilder in unseren Köpfen dagegen sprechen, Benchleys „Der weiße Hai“ ist ein scharfes, leise satirisches Porträt einer Gesellschaft in Panik – und natürlich ein Roman zum Verschlingen.
CORNELIA FIEDLER
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