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Antisemitismus und Rassismus haben sich in der Vergangenheit als Ausgrenzungsideologien etabliert. Seither bedient man sich ihrer je nach Bedarf und sie können nach Belieben abgeändert werden. Während des Nationalsozialismus wurde mit ihnen eine umfassende ideologische Weltsicht begründet. Die grundlegenden Vorstellungen wurden später von rechtsextremistischen Aktivisten erneut aufgenommen, umgeformt und den aktuellen Verhältnissen angepasst. Dabei lässt sich eine historische Kontinuität rassistischer und antisemitischer Argumentationsmuster nachweisen, die vom 19. Jahrhundert bis in die…mehr

Produktbeschreibung
Antisemitismus und Rassismus haben sich in der Vergangenheit als Ausgrenzungsideologien etabliert. Seither bedient man sich ihrer je nach Bedarf und sie können nach Belieben abgeändert werden. Während des Nationalsozialismus wurde mit ihnen eine umfassende ideologische Weltsicht begründet. Die grundlegenden Vorstellungen wurden später von rechtsextremistischen Aktivisten erneut aufgenommen, umgeformt und den aktuellen Verhältnissen angepasst. Dabei lässt sich eine historische Kontinuität rassistischer und antisemitischer Argumentationsmuster nachweisen, die vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Eine Darstellung dieser Zusammenhänge soll es erleichtern, rechtsextremistisches rassistisches Denken und die darin enthaltenen menschenverachtenden Einstellungen zu erkennen.
Autorenporträt
Der Autor: Peter Glanninger, geboren 1962 in Niederösterreich; Studium der Geschichte, Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien; Leiter des Zentrums für Unterrichtsmedien im Bundesministerium für Inneres in Wien; Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Rassismus, Rechtsextremismus, E-Learning und Wissensmanagement.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2011

Geheimnis

Man hat manchmal den Eindruck, dass die heutige Antisemitismus-Forschung sich zwar mit den Feinden der Juden ausführlich und nach allen Regeln neuerer Analysekunst beschäftigt, dabei aber das vergangene und das lebendige Judentum kaum mehr zu kennen scheint. Darunter leidet die Präzision der Befunde. Wolfgang Benz, bis vor wenigen Monaten Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, hat in einer knappen und an sich verdienstlichen Monographie über die "Protokolle der Weisen von Zion", jene 1903 erstmals veröffentlichte, wohl in Russland kompilierte klassische verschwörungstheoretische Schrift, Vorurteile namhaft zu machen versucht, die sich schon in einer der Quellen der "Protokolle" finden, in dem Roman "Biarritz" des Sensationsautors Sir John Retcliffe, der eigentlich Herrmann Goedsche hieß (Wolfgang Benz: "Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung", München 2007).

In Goedsches Roman geht es auch um die jüdische Mystik. Benz kommentiert die fiktionale Darstellung: "Ein zentraler Terminus ist die geheimnisumwitterte Kabbala, die Bezeichnung der jüdischen religiösen Mystik, die Geheimnisse der Bibel zu ergründen sucht. Wie im Christentum oder im Islam ist Mystik eine nach innen gerichtete Form religiösen Lebens. Die Anhänger mystischer Bewegungen, deren religiöse Inbrunst bis zur Ekstase reichen mag, als deren Leitfiguren im Christentum Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen oder Franz von Sales stehen, im Islam die Anhänger des Sufismus, in Indien die Vertreter der Lehre des Vedanta, haben, gleich welcher Religion sie zugehören, ein Ziel: das Eindringen in die Geheimnisse des Glaubens . . . Aber mystische Bewegungen sind deshalb keine Geheimgesellschaften mit obskuren Zielen. Genau dies aber ist die Assoziation, die mit der Erwähnung der Kabbala (wörtlich ,Überlieferung') hervorgerufen werden soll." Folgt man Benz, dann kann von einer esoterischen, nur an ausgewählte Adepten weitergegebenen Geheimlehre so wenig die Rede sein wie in der christlichen oder islamischen Mystik.

Hört man dagegen Gershom Scholem, dessen Lebenswerk die Erforschung der Kabbala war, dann sieht die Sache grundsätzlich anders aus. Gerade der singuläre Charakter der jüdischen Mystik wird von ihm klar herausgestellt: "In der Tat verbindet sich von Anfang an in der jüdischen Mystik die Idee eines Wissens, das seinem Wesen nach nicht ohne weiteres ausdrückbar, also geheim ist, mit einem Wissen, das zudem auch den Umständen seiner Tradierung nach geheim ist. Jüdische Mystik ist daher eine Geheimlehre in der doppelten Bedeutung des Wortes, was keineswegs für alle Mystik in der Religionsgeschichte gilt. Es ist eine Geheimlehre, indem sie die geheimsten und tiefsten Gegenstände des menschlichen Lebens behandelt; es ist aber auch eine Geheimlehre, indem sie sich auf einen ganz bestimmen Kreis von Adepten beschränkt, innerhalb dessen sie tradiert wird" (Gershom Scholem, "Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen", Frankfurt 1980).

Zwar ist mehr die Ideengeschichte der Kabbala und weniger die konkrete Soziologie der Kabbalisten das Thema von Scholems Werk. Aber man erhält doch Einblicke in die sorgfältige Verschwiegenheits- und Rekrutierungspraxis der esoterischen Kreise. Unter anderem wählten die Meister ihre Schüler nach physiognomischen Kriterien aus, Stirn- und Handlinien wurden als Zeichen der spirituellen Reife beachtet. Joshua Abelson, ein bedeutender Gelehrter, der das jüdische "Aria College" in Portsmouth leitete, beschrieb vor knapp hundert Jahren in seinem Buch "Jewish Mysticism" die Dinge kaum anders. Nicht erst die mittelalterlichen Kabbalisten, sondern schon die viel früheren Rabbinen kannten, so Abelson, eine streng gestufte Auswahl von Hörern, denen bestimmte Geheimnisse - vor allem die Gesamtheit der Buchstaben des Gottesnamens betreffend - mitgeteilt werden durften.

Auch in diesem Fall aber gerät die Forschung in Widerstreit mit bestimmten politisch erwünschten Resultaten. Eine neuere Publikation hält allein den Gedanken einer "vermeintlich talmudischen Geheimlehre" für eines von vielen "christlich-antijüdischen Vorurteilen" (Peter Glanninger, "Rassismus und Rechtsextremismus: Rassistische Argumentationsmuster und ihre historischen Entwicklungslinien", Frankfurt 2009).

Nun ist die Existenz einer solchen Geheimlehre auch in der neueren Judaistik ganz unstrittig, nur werden etwa von Peter Schäfer eher die Abstände zur späteren Kabbala betont (in: "Der verborgene und offenbare Gott. Hauptthemen der frühen jüdischen Mystik", Tübingen 1991), während Scholem - der in seinem Buch "Ursprung und Anfänge der Kabbala" (Berlin und New York 2001) unbefangen von einer "talmudischen Geheimlehre" sprach - mehr am Aufweis von Kontinuitäten gelegen war. Wenn schon die simple Kenntnisnahme der Forschung genügt, um die Vorurteile von Vorurteilsbekämpfern wie Benz oder Glanninger zu erkennen, dann steht es um die Gediegenheit ihrer Sache derzeit nicht gut.

LORENZ JÄGER

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