Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 2,09 €
Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktdetails
  • Verlag: Rotpunktverlag, Zürich
  • Originaltitel: Informe contra mi mismo
  • 1999.
  • Seitenzahl: 315
  • Erscheinungstermin: 11. Januar 2001
  • Deutsch
  • Abmessung: 209mm x 144mm x 32mm
  • Gewicht: 494g
  • ISBN-13: 9783858691767
  • ISBN-10: 3858691763
  • Artikelnr.: 24787330
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.1999

Betrunken von Kuba
Nüchtern ist Eliseo Albertos Revolutionsgeschichte nicht zu haben

Es ist nicht ganz einfach, den Memoiren des 1991 aus Kuba ausgewanderten Schriftstellers Eliseo Alberto zu folgen. Eine lückenlose Geschichte jener Jahre zwischen 1959 und 1991 wollte er nicht schreiben, sondern "die emotionale Erinnerung einer im Mittelpunkt des Geschehens stehenden Generation auffrischen". So zieht man am besten vor der Lektüre des die Mühe lohnenden Buches einen Abriss der Geschichte Kubas zu Rate, um nicht im Dickicht von Namen und Ereignissen unterzugehen. "Der Rapport gegen Dich selbst", so schreibt denn auch ein kubanischer Freund nach der Lektüre des Manuskripts, "ist Deine Wahrheit und gleicht nicht unbedingt dem Rapport meiner Wahrheit."

Wer sich, mit einem historischen Lageplan im Kopf, den Memoiren Albertos stellt, wird in eine lebensberauschte Welt eingeführt, in der viel von Liebe, Tod und Dichtung die Rede ist. Was an ihr vertraut anmutet - Bespitzelung, Intoleranz, revolutionäre Rhetorik, Angst -, scheint in den dunklen, verbissenen Norden eher zu passen als auf die üppige Insel am Wendekreis des Krebses. Und doch bringt Castro das kubanische Naturell zum Schwingen. Der Hang zur großen Geste trägt dazu bei, so Alberto, dass für den Kubaner "Sieg oder Tod" keine leere Floskel ist. Alberto selbst flüchtet sich allzu häufig von der Analyse in die Metapher, wie in einer Passage über die Idealisten, zu denen er nicht mehr gehört: "Durch sie entdecke ich nicht ohne Überraschung, dass unsere Opferfähigkeit keine Grenzen kennt und dass ein würdiges Volk auf den Luxus und die Schweinereien des Lebens verzichten kann, um in Anstand zu leben. Ich trage sie mit mir, in der gekrümmten Handfläche wie reines Wasser, sie waschen mir das Gesicht, wenn ich weine, und sie lindern meinen Schmerz und meinen Durst."

Albertos Schmerz, mit dem Verlassen Kubas vom "compañero" zum "gusano" (Wurm, Verräter) geworden zu sein, spiegelt jede Seite seiner Memoiren wider. Ein Freund im kolumbianischen Exil wirft Alberto vor, der Nostalgie auf den Leim zu gehen: "Das Heimweh und die Poesie haben Deiner Leidenschaft und Deinem Verstand ein Ende gesetzt. Die Dichter haben einen recht großen Anteil an der Schuld, da sie uns - die Existenz verkompliziert haben." Dichter haben demnach mit Politikern gemein, dass sie mit Worten die Realität verstellen. "Die Wahrheit der Dichter gilt für die Dichtung", meint der Freund in Kolumbien trocken. In der Tat weiß man nicht immer so genau, wo bei Alberto die Realität endet und Dichtung beginnt. Man würde das Buch vielleicht weglegen, wenn es da nicht noch einen anderen Alberto gäbe, der genau weiß, warum er im Exil lebt. An den eiskalten biographischen Vignetten, die das Alltagsleben von Freunden und Nachbarn darstellen, stoßen Autor und Leser sich wund.

So wird von Virgilio erzählt, dem die Polizei ein Geständnis seiner Homosexualität abpresst; vom Dichter Rolando, der bei einem Fahrradunfall auf dunkler Straße ums Leben kommt; vom Notar Angel, der sich aus Frustration erhängt; von der Kunsthistorikerin Teresa, die beim staatlich organisierten Raub von wertvollen Grabplastiken assistieren muss, und von Julio, der mit sechzehn Jahren während einer Kampagne zur ideologischen Festigung fünfmal den Pico Turquino hinauf- und hinuntermarschierte, der 1970 acht Monate lang während der Zuckerrohrernte der zehn Millionen im Einsatz war, der in den siebziger Jahren "seine internationalistische Mission in Angola als Gruppenführer der Infanterie" erfüllte und der zu guter Letzt von einem Funktionär um seine Wohnung betrogen wurde.

Auf Kuba pulst das Leben und blüht die Liebe. Doch zählt das alles nichts, wenn man, so ein kubanischer Witz, nicht bellen kann, wie man will. Albertos "Rapport gegen mich selbst" ist ein vielschichtiger Versuch, durch klare Sicht auf die Fehlschläge einer Revolution, die ihn selbst einmal begeisterte, Distanz zu gewinnen, um das Exil erträglicher zu machen. Albertos Versuch misslingt, denn er wird zu einer großen Liebeserklärung an sein Land, die selbst einen kühlen Europäer schmelzen lässt.

SUSANNE KLINGENSTEIN.

Eliseo Alberto: "Rapport gegen mich selbst. Ein Leben in Kuba". Aus dem Spanischen übersetzt von Georg Pichler, Rotpunktverlag, Zürich 1999. 315 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr