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1998 hatte die Autorin eine umfassende und sich auf dem aktuellen Stand der Forschung befindende Monographie zum Thema der Prostitution im antiken Rom vorgelegt. Die Taschenbuchausgabe geht auf diese Publikation zurück. Der Text der Darstellung ist gestrafft und wird durch Abbildungen illustriert. Alle griechischen und lateinischen Zitate sind ins Deutsche übersetzt worden.

Produktbeschreibung
1998 hatte die Autorin eine umfassende und sich auf dem aktuellen Stand der Forschung befindende Monographie zum Thema der Prostitution im antiken Rom vorgelegt. Die Taschenbuchausgabe geht auf diese Publikation zurück. Der Text der Darstellung ist gestrafft und wird durch Abbildungen illustriert. Alle griechischen und lateinischen Zitate sind ins Deutsche übersetzt worden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.1999

Kein Rotlicht brannte im Wolfbereich
Integriert und verachtet: Bettina Eva Stumpp erforscht das Leben altrömischer Prostituierter

Die Römer konnten, wenn die Rede auf die Gründungsgeschichte ihrer Stadt kam, bemerkenswert unbekümmert sein. So akzeptierten sie, daß Romulus und Remus Anführer einer Schar von handfesten Hirten waren und später die neue Siedlung zum Asyl für vielfältigen Zuzug machten, ohne lange nach der Herkunft der Ankömmlinge zu fragen. Und neben der später kanonischen Geschichte von der Wölfin, welche die am Tiberufer gestrandeten Zwillinge säugt, bis sie von dem Hirten Faustulus gefunden werden, gab es noch eine rationalistische Version: Danach vertraute Faustulus die Knaben seiner Frau Larentia an, die bei den Hirten "Wölfin" (lupa) hieß, weil sie sich jedem Mann hingab. Daraus sei später die Wundererzählung geworden.

In der Tat war "lupa" in historischer Zeit eine gängige Bezeichnung für eine billige Prostituierte. Bettina Stumpp erwähnt diese Variante in der Geschichte vom Anfang Roms eher beiläufig und verzichtet darauf, ihn symbolisch zu überfrachten. Die neueren Versuche, die Ordnung des Geschlechterlebens und die Beziehungen zwischen Mann und Frau in der Antike im Sinne einer Weiterentwicklung von Foucaults "Sexualität und Wahrheit" als sozialgeschichtlich eingebettete Diskurse zu verstehen, die um Konzepte wie aristokratische Würde, weibliche Keuschheit, Virilismus und Paternalismus kreisen, kennt sie sehr wohl; das zeigen ihre Bemerkungen zum Zusammenhang von sozialem Status und sexuellen Verhaltensnormen ebenso wie die Überlegungen zur Pädophilie und zur phallozentrischen Konstruktion von Männlichkeit bei den Römern. Doch an die Stelle der theoretischen Prätention setzt sie eine systematische Phänomenologie aller empirisch faßbaren Dimensionen der Prostitution von Frauen, konzentriert auf die beiden ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit.

Wegen der Quellenlage muß sich die Untersuchung weitgehend auf die Städte Rom und Pompeji beschränken. Eine Vermengung mit den anders gelagerten, teilweise besser überlieferten griechischen Verhältnissen sucht die Autorin zu vermeiden, was indes nicht immer gelingt, schon weil die für das Thema besonders reichhaltige römische Komödie bekanntlich beiden Welten angehörte. In beinahe handbuchartiger Manier wird dargelegt, was über die soziale Herkunft und die Lebenssituation der Prostituierten, die ihnen zugeschriebenen (stets negativen) Verhaltensweisen und die medizinischen Aspekte der Prostitution, also Empfängnisverhütung, Abtreibung und Geschlechtskrankheiten, gesagt werden kann. Eine Topographie der Prostitution in Rom findet sich ebenso wie sorgfältige Erörterungen zu den Kunden und Nutznießern, den Preisen und dem Bordellbetrieb, dem es nie an Frauen mangelte, weil Sklavinnen zur Prostitution gezwungen werden konnten, während freigelassene oder freie Frauen gerade in der Unterschicht kaum andere Verdienstmöglichkeiten hatten.

Obwohl sich die Autorin bei der wegen des Quellenmangels schwierigen Rekonstruktion jeder farbigen Ausmalung enthält, fördert sie viel Aufschlußreiches zu Tage, etwa die Einbindung der Prostituierten in die städtischen Unterschichten. So gab es in Rom keine Rotlichtviertel, wie überhaupt Wohnen und Arbeiten, Gewerbe und Vergnügen, Arm und Reich sozialtopographisch weit weniger voneinander getrennt waren, als in den modernen Gesellschaften meist der Fall ist. Der Gang zur Prostituierten war wegen der fast durchweg sehr niedrigen Preise auch für die breite Masse der Männer erschwinglich. Welche (auch mit Gewalt verbundenen) Praktiken in den überwiegend primitiv ausgestatteten und schäbigen Bordellen im einzelnen geübt wurden, ist nur zu ahnen und ging gewiß über die an der sexuellen Norm orientierten Wandmalereien weit hinaus.

Die römische Konzeption der Ehe, in der eine ehe nüchterne und phantasielose "Reproduktions-Heterosexualität" vorherrschte, und das Ideal der Keuschheit der Ehefrau begünstigten die Prostitution, weil darauf geachtet wurde, daß "ehrbare" Mädchen und Frauen keinen vor- beziehungsweise außerehelichen Verkehr hatten. Die einseitige Freiheit des Mannes, in der Jugend Erfahrungen zu machen und generell seine Bedürfnisse zu befriedigen, konnte sich so nur bei Prostituierten entfalten. Ihr Gebrauch stellte daher in vorchristlicher Zeit nie ein moralisches Problem dar. Die Prostitution war für die Wahrung der sozialen Stabilität und des Rollengefüges im Haus und in der Gesellschaft unentbehrlich. Zudem galten körperliche Bedürfnisse in der Antike generell als natürlich; sie wurden nur dann problematisch, wenn ihre Befriedigung die oberschichtspezifischen und androzentrischen Verhaltensideale bedrohte. Alle Mahnungen im philosophischen Diskurs zielten daher auf vernünftigen Lustgebrauch, also die Selbsterziehung des Mannes auch in sexueller Hinsicht; die Prostituierte als Subjekt geriet gar nicht in den Blick. Auch rechtlich unterlag das Sexgewerbe in Rom kaum Einschränkungen, zugleich waren alle, die auf diese Weise ihre Existenz sicherten, sozial verachtet - was nicht verhinderte, daß der Staat seit Kaiser Caligula eine ertragreiche Einkommenssteuer auf die Prostitution erhob. Sie wurde im oströmischen Reich erst 498 nach Christus abgeschafft.

Stumpps Studie beeindruckt durch ihren Materialreichtum und ist getragen von einem kaum jemals naiven, zugleich distanzierten Common sense. Die Schlüssellochperspektive vergangener "Sittengeschichten" ist ebenso fern wie der antimaskuline Furor einer feministischen Geschichtsschreibung oder die ahumane Kälte der modischen Analyse von Diskursen und Praktiken. Die Vorbehalte, die man nach Lektüre des reißerisch illustrierten Artikels über das Werk in einem bekannten Hamburger Nachrichtenmagazin hegen konnte, erweisen sich rasch als unbegründet. Leider hat die Autorin es versäumt, aus ihrer Dissertation durch Raffung im Text und Konzentration auf das Wesentliche im Anmerkungsapparat ein Buch zu machen. Es zeugt vor allem von einem bedauerlich antiquierten Verständnis von "Wissenschaftlichkeit", daß die zahlreichen und teilweise langen lateinischen und griechischen Quellenzitate meist ohne Übersetzung oder Paraphrase im Text abgedruckt werden. Dies gilt gerade bei einem Thema, das über die Grenzen der Altertumswissenschaft hinaus Interesse beanspruchen kann. Hier spätestens hätte ein Lektor dazwischentreten müssen. Auch die zahlreichen äußeren Mängel im Druckbild und andere Nachlässigkeiten stellen dem Verlag kein gutes Zeugnis aus, zumal angesichts des hohen Verkaufspreises.

UWE WALTER.

Bettina Eva Stumpp: "Prostitution in der römischen Antike". Akademie-Verlag, Berlin 1998. 434 S., geb., 180,- DM.

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