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Produktdetails
  • Verlag: Edition Büchergilde
  • Seitenzahl: 242
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 687g
  • ISBN-13: 9783936428445
  • ISBN-10: 3936428441
  • Artikelnr.: 13420455
Autorenporträt
Franz Fühmann, geb. am 15.1.1922 in Rochlitz/Riesengebirge, gehörte zu den bedeutenderen Schriftstellern Nachkriegsdeutschlands. Neben Erzählungen, Essays, Novellen, Gedichten sowie Kinderbüchern verfasste Fühmann zahlreiche Nachdichtungen. Zu den vielen Auszeichnungen seines Schaffens zählen der Heinrich-Mann-Preis und der Geschwister-Scholl-Preis. Er starb am 8.7.1984 in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.1996

Die Mauer in den Ziegenköpfen
Von der DDR-Zensur unterdrückt: Franz Fühmanns Prometheus

Nahezu ein Vierteljahrhundert alt ist das Stückchen Erzählung, das der Rostocker Hinstorff Verlag jetzt zutage förderte. Sein Autor, Franz Fühmann, sah es nie gedruckt. Er starb fünf Jahre vor dem Hinscheiden der DDR, und solange dieser Staat existierte, gab es für das Fragment keine Öffentlichkeit. Das Regime brauchte und benutzte seine Schriftsteller; stolz führten seine Funktionäre die Formel vom "Leseland DDR" im Munde. Dessenungeachtet waren die Produzenten des Lesestoffs Objekte permanenten Mißtrauens. Wieviel Arbeitszeit und Geldmittel für die Überwachung von Schriftstellern aufgeboten wurden, davon zeugen schmählich die Akten der Gauck-Behörde.

Um Fühmann kümmerte sich seinerzeit, 1972, Hans Koch, Lehrstuhlinhaber des - holen wir Atem - "Wissenschaftlichen Rates für marxistisch-leninistische Kultur-und Kunstwissenschaften an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED". Koch hatte von jeher auf den jeweils gültigen Kulturbarrikaden seiner Partei gekämpft, doch gab es Gröbere als ihn. Er muß sich in all dem Gemetzel ein Stück sensibler Seele bewahrt haben; sein Leben endete 1986 durch Selbstmord.

Fühmanns Skript, das Koch 1972 vorlag, und die von Hinstorff jetzt publizierte Geschichte sind Teile ein und derselben Arbeit. Es handelt sich um eine durchdachte Wiedergabe der Prometheus-Sage, bestimmt für die Anthologie "Sagen der Völker", die der Ostberliner Kinderbuchverlag damals plante. Fühmann schrieb gerne und ziemlich häufig für Kinder: etwa das Märchen "Vom Moritz, der kein Schmutzfink mehr sein wollte" oder "Die Suche nach dem wunderbaren Vögelchen". Anfang der siebziger Jahre wandelte sich der gute Kinderonkel Fühmann zum ernsten Lehrer. Nun mutete er seinen Lesern zu, über die Erzählszene hinauszudenken, die Regeln zu entschlüsseln, nach denen Geschichte sich entwickelt, und so zu Erkenntnissen über das eigene Zeitalter zu gelangen.

Das heißt, er nahm die jungen Leute mit auf den Lehrpfad, auf dem er sich selbst seit Jahren plagte. Aus einem Brief an seine Lektorin, abgedruckt im vorliegenden Buch, geht hervor, wie stark Fühmann unter dem Eindruck stand, Generation auf Generation wurde von ihren Schimären verwirrt und lerne nur schwer aus Fehlern. Die Grenzen der Überlieferungsteile zerrannen ihm; er vermochte seine Prometheus-Sage nur noch als Splitter eines mythologischen Gesamtwerks zu fassen, in dem alles voneinander abhängt.

Fünf Bände plante er schließlich, einen riesigen Spiegel der antiken Weltgeburt, in dem sich die kommenden Jahrtausende des Menschengeschlechts schon schemenhaft andeuten. Der erste Band, "Prometheus. Die Titanenschlacht", erschien 1974, also zu DDR-Zeiten. Fast ein Wunder, denn es handelte sich um jenes Stück, an welchem vormals der Genosse Hans Koch Anstoß nahm. Koch hatte vor allem bemängelt, daß Fühmann das Regiment des siegreichen Zeus nicht höher schätzte als die Herrschaft des überwundenen Kronos. Politisch-ideologisch gesprochen: Der Autor hatte im Machtantritt des Siegers nicht den "historischen Fortschritt" sehen wollen.

Noch über zweieinhalb Jahrzehnte später hört man die parteiliche Nachtigall so deutlich trapsen, daß es peinlich ist. Die SED hatte zwar wenig für Götter übrig, viel aber für Modelle, die die parteieigene Geschichtslehre stützten. Junge Pioniere und FDJler sollten nicht auf die Idee gebracht werden, die Ablösung einer Gewalt durch eine andere Gewalt könne der Austausch zweier Übel sein. Wer zuletzt kommt, den belohnt Urania, die Muse der Geschichte. Die SED war die Zuallerletztgekommene, nach ihr würde keine Gewalt mehr folgen.

Wie sich Fühmanns "Titanenschlacht" gegen das Mißtrauen der Machthaber durchsetzen konnte, geht aus dem Material nicht hervor. Die lange Wartezeit jedoch und das ideologische Hickhack um sein Buch wirkten auf Fühmann offenbar entmutigend. Zwar arbeitete er noch ein Weilchen am zweiten Band, ließ das Skript aber bald liegen. Die übrigen drei Bände fing er gar nicht erst an. So gibt es außer dem ersten Band nur das Fragment, das jetzt unter dem von Fühmann geplanten Titel "Prometheus. Die Zeugung" vorliegt.

Bei der Lektüre beunruhigt die Vorstellung, Fühmann hätte auch diesen Text in die Zensurmühle geben müssen. Denn was begegnet uns schon auf der ersten Seite? Die Mauer! Prometheus errichtet sie, rings um ein Gebirgstal auf Kreta, wo der unbotmäßige Titan im Exil lebt. Mit ihm lebt das Menschenpaar, das er eigenhändig erschuf und um das er sich sorgt. Ihnen zum Heile baut er den großen Schutzwall, auf daß künftig weder Löwen noch Wölfe, weder Skorpione noch Schlangen seine Geschöpfe gefährden.

Die Sicherheit wird freilich durch absolute Apathie erkauft. Mann und Frau schlafen, essen, scheiden aus, zeugen Nachwuchs; mehr können sie nicht, mehr wissen sie nicht. Daß sie tatsächlich in einem fatalen Kerker leben, das machen dem Prometheus jene Tiere klar, die er, weil ungefährlich, im Menschenreservat zugelassen hat. "Dann können wir ja nie mehr hier raus!" ruft entsetzt das jüngste Kitz der Ziegenmutter Amalthea. Der allzu fürsorgliche Titan sieht seine Faune unter unnatürlichen Bedingungen entarten, und er muß sich eingestehen, daß er nur Spottgeschöpfe zuwege bringt, wenn er seine Menschen hindert, Erfahrung und Urteilskraft zu erwerben.

Das Fragment bricht dort ab, wo sich ein Wandel andeutet, aber noch nicht sicher verheißen ist. Danach muß der große Frust über den Autor gekommen sein. Ob sein Prometheus die Mauer schließlich niedergerissen hätte oder nicht - allein die Art, in der Fühmann sie eingangs wertet, war intolerabel für die Zensur. Dabei tragen diese Partien durchaus den Stempel des Gutgemeinten. Ganz gleich, was Fühmann daheim dachte - vor der Öffentlichkeit zeichnete er den Mauerbau nicht als Manifestation brutaler Unterdrückungspolitik, sondern als Irrtum eines wohlmeinenden Erziehers. Zumindest während der Niederschrift setzte er noch auf den Dialog zwischen sich, dem loyalen Bürger des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden, und den übereifrigen Staatsführern. Hans Koch und andere lehrten ihn, daß ihm das niemand danken würde.

Die prometheische Explosion im Leseland DDR hat nicht stattgefunden. Was wir heute in Händen halten, sind Teile des Zünders, der niemals in die Bombe geschraubt wurde. Wir schauen auf die alten Werkstücke, vor deren Gefährlichkeit den Funktionären so grauste, und wundern uns, wie gleichmütig sie uns lassen. Was ihnen angetan wurde, hat sie auch aufgewertet. Mit dem Gegner schwand ihr Appeal. SABINE BRANDT

Franz Fühmann: "Prometheus. Die Zeugung". Herausgegeben von Sigurd Schmidt. Hinstorff Verlag, Rostock 1996. 90 S., geb., 19,80 DM.

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