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Produktdetails
  • dtv Taschenbücher
  • Verlag: DTV
  • Abmessung: 61mm x 126mm x 194mm
  • Gewicht: 1120g
  • ISBN-13: 9783423047029
  • ISBN-10: 342304702X
  • Artikelnr.: 06262805
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.1998

Der neue Apparat
Kindertage eines Mediums: Der Hörfunk in der Weimarer Republik

Wallenstein war fein herausgeputzt. Feder am Hut, glitzerndes Rüstzeug, mächtige Lanze - nach bester Ritterart ausgestattet, richtete er dröhnend seine Verse ans Publikum. Dieses hatte freilich mehr Genuß an seiner Stimme als an seiner Montur, denn der Wallenstein-Darsteller befand sich nicht auf einer Bühne, sondern im Rundfunkstudio. Damit der Funke möglichst feurig auf die geneigte Hörerschaft überspringe, stand man in der Frühzeit des Radios und damit auch des Hörspiels stets im vollen Kostüm vorm Mikrofon.

Von dieser kuriosen, experimentierfreudigen, manchmal auch nahezu kindlich wirkenden Pionierzeit eines Mediums berichtet ein aufwendiges Buch. "Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik" überschrieb der Herausgeber Joachim-Felix Leonhard seinen monumentalen, zweibändigen Wälzer, der etwas Anspruchsvolles versucht und auch in die Tat umsetzt - nämlich die wissenschaftliche Aufarbeitung einer Epoche mit dem Esprit der Anekdote zu verbinden.

Mit Graphiken, Fotos, dem Abdruck von Originaldokumenten etwa zur Programmplanung oder zum Rundfunkrecht gelingt Leonhard und seinen vier Koautoren ein lebhafter Eindruck der Zeit. Mit einem gewaltigen Anmerkungsapparat, mit einem ebenso großen Sach- und Namensregister genügt der Herausgeber und Vorstand des Deutschen Rundfunkarchivs in Frankfurt zweifellos allen akademischen Erfordernissen; was aber vor allem reizt an dieser Medienhistorie, sind die Geschichten, Kritiken, Programmatiken und schlichten Träumereien, die sich mit dem neuen, für heutige Medienkonsumenten mitunter unvorstellbar abenteuerlichen Apparat Radio verknüpften.

Dieses Medium erweiterte den Horizont: Für den Bewohner irgendeines Dorfes in Mecklenburg war im Originalton erfahrbar, was gerade in der Hauptstadt Berlin geschah. Das neue Medium ließ nicht allein räumliche, sondern auch zeitliche Distanzen schrumpfen: Schon in den zwanziger Jahren gab es mobile Studios, die mit schweren Röhrenverstärkern auf Lastwagen über Land fuhren. Indem es Sportereignisse, Kulturveranstaltungen oder politische Attraktionen live übertrug, veränderte das Radio radikal die Wahrnehmung. Und das Publikum ließ sich in Scharen betören.

Von der Musik im Rundfunk bis zu den ökonomischen Voraussetzungen des Radios in der ersten deutschen Republik, von der Fußballreportage bis zu den Anfängen des Hörspiels vollzieht Leonhards Buch diese Jahre geradezu detailversessen nach - bis hin zu Rezensionen, in denen das noch ungelenke "Vorlesen von Stücken" gerügt und ein genuines "Sendespiel" gefordert wird. Heinrich George, Fritz Kortner, Alfred Braun, sie alle tauchen in Bild und Text auf. Und damit wird Neuland betreten: Das Radio, das bis heute trotz Fernsehen publikumsmächtigste Medium, wird nicht allein als rundfunkpolitisches Phänomen betrachtet. Die Autoren nehmen das Radio als ein Medium ernst, das bedeutsame Programme verbreitet und in den zwanziger Jahren ästhetische Grundsteine legte, die sich bis heute als tragfähig erweisen. FRANK OLBERT

Joachim-Felix Leonhard (Hrsg.): "Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik". Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997. 2 Bände, 1830 S., br., 64,- DM.

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