Produktdetails
  • Verlag: Bloomsbury Trade
  • Abmessung: 20 cm
  • Gewicht: 210g
  • ISBN-13: 9780747574156
  • ISBN-10: 0747574154
  • Artikelnr.: 13496501
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2004

Der Duft der faulen Papaya
Traurige Tropen: Ein Künstlerroman von Patrick McGrath

Im Künstlerleben pflegt selten eitel Freude zu herrschen, denn das tägliche Abmühen an dem, was aus dunklem Inneren zum Ausdruck drängt, ist voller Niederlagen, besonders wenn sich zum Selbstzweifel noch die Verzweiflung über die Geringschätzung der Welt gesellt. Nur ist Unglück zumeist poetischer als Glück, und Lesevergnügen bereiten Künstlerromane deshalb dann recht erst, wenn ihre Helden durch alle möglichen Höllen hindurchgehen oder wenn, nüchterner gesagt, nichts gelingt, niemand Notiz nimmt von dem, was man tut, und das Geld allenfalls noch für Getränke, aber nicht mehr fürs tägliche Brot reicht. In solchen Situationen dürfen die Künstler wenigstens als Romanhelden in die bunte Exotik ferner Tropeninseln ausschwärmen, wo man die Heizungskosten spart und sich mit Bananen und einem Schuß Rum behilft, wenn der Magen knurrt und die Zunge vertrocknet. Außerdem aber ist als großer Inspirator stets die Liebe zur Hand.

Leid und Lust dieser Art läßt der englische Schriftsteller Patrick McGrath den jungen, ebenfalls englischen Maler Jack Rathbone erleben, dessen Künstlervita damit beginnt, daß er sich mit siebzehn in die dreißigjährige Schottin Vera Savage verliebt, die gleichfalls Malerin ist. "Wild" oder "ungezähmt", wie es ihr Familienname andeutet, ist sie durchaus, was in der Folge für Jack manch unliebsame Konkurrenz auf dem weiten Felde der Erotik mit sich bringen wird. Zuerst sucht das Paar in New York sein Glück, später, als sich die amerikanische Metropole ihrer Kunst nicht aufgeschlossen zeigt, in Havanna und schließlich weiter in Port Mungo, einem elenden Hafennest im Golf von Honduras. Staubige Straßen und Gassen, stinkende Kanäle, Hühner, die im Straßenschmutz picken, Bars, die grantigen Chinesen gehören, dazu Matrosen, Nutten, finster aussehende Fischer und Hafenarbeiter, ein heruntergekommener Tropenarzt, Krokodile und überall Fliegenschwärme, Lärm, Blut, Gestank von verdorbenem Fleisch und der Duft von Papayas und Mangos: So beschreibt McGrath mit großer Üppigkeit und Vielfalt den Titelort seines Buches. Traurige Tropen - Gauguins Papeete auf Tahiti muß ein wahres Paradies dagegen gewesen sein.

Die künstlerische Inspiration und Produktivität Gauguins bleibt Vera und Jack leider versagt. Aber zwei Mädchen werden dem Paar geboren, allerdings hat Vera inzwischen Freude am Davonlaufen gewonnen und taucht nur noch selten bei der eigenen schütteren Familie auf. Mit den Kindern jedoch pocht das Schicksal mit fast antiker Wucht an das Tor zu diesem gescheiterten Künstlerdasein. "Bei seiner ersten Rückkehr nach New York, vor jetzt zwanzig Jahren, war mein Bruder Jack völlig apathisch, denn kurz zuvor hatte seine Tochter Peg den Tod gefunden." So lautet der erste Satz des Buches, niedergeschrieben von Jacks Schwester Gin, der Erzählerin des Ganzen. Durch sie erfährt nun nach und nach die Leserschaft von den Geheimnissen um diesen Tod. War das Mädchen, mit sieben schon dem Rauchen und mit acht dem Bier hingegeben, wirklich verunglückt durch die Unachtsamkeit der betrunkenen Mutter oder war es vielmehr Suizid, weil sie seit langem vom Vater mißbraucht wurde? Ein Schleier breitet sich über die große, unwiderrufliche Tatsache dieses Todes aus, und weder Gin noch der Autor können ihn lüften.

Was außerdem hat es mit Jacks eigenem Ende auf sich? Erwachsen geworden, dient ihm Anna, die zweite Tochter, als Aktmodell, bis man ihn eines Morgens mit durchschnittenen "Armschlagadern in der Ellenbeuge" auffindet. Hat Anna aus Ekel über Annäherungen des Vaters nachgeholfen, oder war er es selbst, der, den Tod des von ihm verehrten großen amerikanischen Malers Mark Rothko bis ins Detail imitierend, auf solche Weise seinem Leben ein Ende gesetzt hat? Dann hätte die Schwester recht mit der Bemerkung: "Selbst seinem Tod haftete also etwas von einer Nachbildung an, es mangelte ihm an Originalität."

Unter solchem Mangel leidet bei aller Buntheit der Szenerie bedauerlicherweise auch dieser Roman; es ist McGraths sechster. Seit Joseph Conrad sind Hafenstädte wie Port Mungo einer großen Leserschaft längst vertraut, und das Einflechten von allerlei großen Namen und manch aktueller Thematik vermag das Klischeehafte der Kulissen nicht zu überdecken. McGrath ist dennoch ein anschaulicher und lebendiger Erzähler, insbesondere wo er Menschen Landschaft erleben läßt. Nur mit der Glaubwürdigkeit des Künstlertums seines Jack Rathbone hapert es, und das trifft ins Zentrum dieses Buches. Denn nicht darum geht es ja, ob die Welt diesem Jack seinen "Neoprimitivismus oder Neotropikalismus" in der Nachfolge Gauguins abnahm, sondern ob der Schriftsteller McGrath den Künstler Rathbone seinen Lesern interessant machen kann. Jack Rathbones Bilder jedoch werden im Wort nicht sichtbar, und er ist somit als Künstler auch keine wirklich bewegende Gestalt. Eine unterhaltende Lektüre aber ist das Buch immerhin.

GERHARD SCHULZ

Patrick McGrath: "Port Mungo". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Heidi Zerning. Berlin Verlag, Berlin 2004. 285 S., geb., 19,90 [Euro].

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