24,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

EIN LESENSWERTES DEBATTENBUCH ZUR GEGENWARTSLITERATUR
Über die Maßstäbe für "gute" Gegenwartsliteratur herrscht große Unsicherheit. Moritz Baßlers Buch analysiert erfolgreiche Erzählliteratur der Zeit und diskutiert den veränderten Status der Literatur in der aktuellen Markt- und Mediengesellschaft. Dabei macht Baßler einen international prägenden Stil des "populären Realismus" aus: Leichte Lesbarkeit und routinierte Plots, aufgeladen mit Zeichen der Bedeutsamkeit, ohne dass die Texte aber tatsächlich Neuland beträten. Umbert Eco nennt dieses Missverhältnis von leichter Form und schwerem…mehr

Produktbeschreibung
EIN LESENSWERTES DEBATTENBUCH ZUR GEGENWARTSLITERATUR

Über die Maßstäbe für "gute" Gegenwartsliteratur herrscht große Unsicherheit. Moritz Baßlers Buch analysiert erfolgreiche Erzählliteratur der Zeit und diskutiert den veränderten Status der Literatur in der aktuellen Markt- und Mediengesellschaft. Dabei macht Baßler einen international prägenden Stil des "populären Realismus" aus: Leichte Lesbarkeit und routinierte Plots, aufgeladen mit Zeichen der Bedeutsamkeit, ohne dass die Texte aber tatsächlich Neuland beträten. Umbert Eco nennt dieses Missverhältnis von leichter Form und schwerem Anspruch Midcult. Vielleicht ist dies die unserer Zeit gemäße Erzählliteratur mit eigenen Chancen?

Über die Maßstäbe für "gute" Gegenwartsliteratur herrscht große Unsicherheit. Moritz Baßlers Buch analysiert erfolgreiche
Erzählliteratur der Zeit und diskutiert den veränderten Status der Literatur in der aktuellen Markt- und Mediengesellschaft. Der Schwerpunkt liegt auf deutschsprachigen Romanen, Seitenblicke werden auf den internationalen Kontext, das erfolgreiche Genre der Fantasy sowie auf die inzwischen dominante Erzählform der Qualitäts-TV-Serie geworfen.
Das Verfahren gegenwärtiger Erzählliteratur, so Baßler, ist durchgängig ein "realistisches" - der Lesende befindet sich immer schon in der erzählten Welt, ohne dass die Zeichen des Textes ihn dabei besonders herausforderten. So konnte sich ein International Style ausbilden, dessen Prosa in Verbund mit routinierten Plots eine leichte Lesbarkeit garantiert. Wer noch Literatur liest, hat dabei aber oft den Anspruch, nicht bloß gut unterhalten zu werden, sondern auch an Hochkultur, an Kunst teilzuhaben. Dafür muss der International Style seine Lesbarkeit mit Bedeutsamkeit aufladen, ohne die Lektüre allzu sehr zu erschweren. Umberto Eco nennt dieses Missverhältnis von leichter Form und schwerem Anspruch Midcult. Vielleicht ist dies die unserer Zeit gemäße Erzählliteratur mit eigenen Chancen?

Wie kann man eine komplexe Literatur verteidigen, ohne in einen elitären Kulturkonservatismus zu verfallen? Über das Populäre und seine Alternativen
Identität oder Ambivalenz?
Autorenporträt
Moritz Bassler, geboren 1962, lehrt Neuere deutsche Literatur an der Universität Münster. Bei C.H.Beck ist sein Band "Der deutsche Pop-Roman" (2005) erschienen. Die Veröffentlichung eines Aufsatzes Baßlers mit Thesen aus seinem kommenden Buch hat bereits eine Debatte ausgelöst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2022

Warum ist die Gegenwartsliteratur so schlecht?

Von Fitzek zu Mosebach ist es womöglich gar nicht so weit: Moritz Baßler baut seine erfrischende Polemik gegen den "Midcult" des Erzählens zu einem Buch aus, das vielen die Augen öffnen könnte.

Von Jan Wiele

In seinem Essay "Masscult & Midcult" beschrieb der amerikanische Kritiker Dwight Macdonald im Jahr 1962 eine Kunst als Massenware, die sich, beim "Midcult", dennoch den Anschein von Hochkultur gibt und Bedeutsamkeit prätendiert. Der italienische Schriftsteller und Wissenschaftler Umberto Eco baute den Midcult-Begriff aus, und auch der deutsche Literaturwissenschaftler Moritz Baßler, der sich seit Jahrzehnten mit populärer Kultur beschäftigt und 2002 eine vielbeachtete Monographie zum "deutschen Pop-Roman" vorgelegt hat, verwendete "Midcult" schon seit langer Zeit gelegentlich zur Analyse von Literatur. Aber als Baßler dies im Sommer 2021 noch einmal - und vielleicht etwas polemischer - in seinem Essay "Der neue Midcult" tat, waren die Reaktionen erstaunlich. Sie reichten von großer Anerkennung bis zu starker Ablehnung. Baßler schien einen Nerv getroffen zu haben - womit? Er hatte ein paar Beispiele von "Midcult" in der Gegenwartsliteratur genannt und zudem kritisiert, dass Midcult-Produzenten und Midcult-Rezipienten "selbstbestätigende Stilgemeinschaften" bildeten, die sich in ihrer "Bubble" einschließen und abschotten gegen "informierte Interventionen von außen, etwa aus Kritik und Wissenschaft".

In Gesprächen zum Thema, auch in diesem Feuilleton, versuchte Baßler seine Polemik etwas abzumildern. Er sagte etwa, eine Generalkritik an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur liege ihm fern (F.A.Z. vom 9. Juli 2021).

Nun erscheint von Moritz Baßler ein vierhundertseitiges Buch zum Thema, das dieses historisch herleitet, theoretisch unterfüttert, strukturell erweitert zum medienübergreifenden Phänomen eines "populären Realismus" und an zahlreichen Beispielen der deutschen Gegenwartsliteratur praktisch belegt. Steht Baßler also in einem gewissen Selbstwiderspruch? Ja, aber statt ihn dafür zu kritisieren, sollte man ihm danken für die Ausarbeitung dieses wichtigen Themas und dessen Wendung ins Grundsätzliche. Wer sich zum Beispiel fragt, warum bestimmte Bücher so erfolgreich sind und manche nicht, wer sich fragt, warum bestimmte Bücher mit Preisen bedacht werden und andere nicht, kurz: wer sich für das Wesen aktueller Literatur und ihrer Rezeption interessiert, sollte dieses Buch lesen. Es ist gut verständlich geschrieben, auch für Menschen, die nicht Literaturwissenschaft studiert haben.

Baßler erklärt zunächst seinen Begriff von Realismus. Dieser bezieht sich nicht auf die Welthaltigkeit, sondern auf die ästhetische Machart des literarischen Textes: nämlich eines "völlig verständlichen", der leichte und schnelle Lektüre erlaubt und sozusagen "liegestuhltauglich" ist. Diese Art des Realismus, ruft Baßler in Erinnerung, dominiere heute "beinahe das gesamte Spektrum unserer narrativen Formen, von anspruchslosen Thrillern und Kriminalromanen über die Fantasy-Literatur und den Mainstream des gehobenen Buchmarktes bis hin zu international hochgeschätzten, mit Preisen versehenen Werken".

Was von diesem Erzählstil überdeckt und ausgeblendet wird, sind Formen, wie sie die literarische Moderne hervorgebracht hat, also deutungsreiche und deutungsoffene Texte (im Extremfall etwa die der Expressionisten und Surrealisten), kurz gesagt: eine Literatur, die sich dezidiert als Kunst versteht.

Im analytischen und interpretierenden Teil seines Buches nun legt Baßler auf witzig-polemische Art dar, dass solcherart artistisches Erzählen mittlerweile unter die Räder des Mainstreams geraten sei. In diesem Mainstream erscheinen selbst Texte wie die des Thriller-Bestsellerautors Sebastian Fitzek, die der Kritiker Denis Scheck als "Nulllinie der Literatur" bezeichnet hat, dann strukturell gar nicht so weit entfernt von, beispielsweise, jenen Martin Mosebachs oder Daniel Kehlmanns.

Gewisse Übertreibungen dienen dabei als gezielte Provokation und schaden der Grundthese nicht - im Gegenteil: Man kann Baßler gar nicht genug loben dafür, dass er auf immer neue Weise die wichtigste Frage angesichts des grassierenden "International Style" von heute stellt: Warum fallen so viele Schriftsteller hinter die erzählerischen Errungenschaften der Moderne wieder zurück?

Eine Falle hat Moritz Baßler sich allerdings selbst gestellt: Früh im Buch kommt er darauf zu sprechen, dass die Kritik an der "Kulturindustrie", wie Adorno und die Frankfurter Schule sie geäußert haben (und aus der wohl auch die Kritik am Midcult hervorging), heute elitär wirken könne und daher überkommen sei - ohnehin gebe es für die Kunst längst keinen Ausweg aus der ökonomischen Sphäre mehr, und die Nachfrage regele den Markt. Das Ende der Unterscheidung von hoher und niederer Kultur haben ja zudem die Vertreter des Pop in allen Kunstformen jahrzehntelang gepredigt im Sinne Leslie Fiedlers ("Cross the border, close the gap"), das ist auch Baßler als großem Pop-Kenner sehr bewusst. Ihm nun dabei zuzusehen, wie er einerseits gegen literarische Flachware und deren flache Rezeption polemisiert, andererseits aber bemüht ist, dabei selbst nicht elitär zu wirken, ist mitunter sehr amüsant.

Immer wieder merkt man ihm auch jetzt die Lust an der Zuspitzung an, wenn er etwa die "zeitlos-bäuerliche Welt eines mythischen Ostens" sowohl in der Fernsehserie "Im Angesicht des Verbrechens" als auch in der Literatur von Maja Haderlap ausmacht; wenn er Heinrich Böll in einem Atemzug mit Bernhard Schlink zum Kitschier erklärt, wenn er Karl-Ove Knausgård den "Freifahrtschein zum Midcult" ausstellt oder trotz inzwischen erfolgter Gegenkritik auf seiner Kritik an der Machart von Olivia Wenzels Roman "1000 Serpentinen Angst" beharrt und diesem eine "prästabilierte Frame-Harmonie, die man schon bei Eugenie Marlitt oder Karl May findet", attestiert, die ihn zu einem "superlesbaren Wohlfühltext" mache. Was Baßler daraus generell ableitet, trifft noch so manchen anderen Gegenwartsroman ins Mark: Was immer sich von selbst verstehe, sei "kein würdiger Gegenstand für Literatur".

Auch bei der Darstellung populärer Rezeption von Literatur kann sich Baßler den Spott oft nicht verkneifen. Besonders merkt man das an seiner Beschreibung von Fernseh-Literaturkritik unter der Überschrift "Ferrante-Quartette". Zur Geschichte des "Literarischen Quartetts" schreibt er nach Erwähnung der "auratischen Figur" Marcel Reich-Ranicki: "Heute sitzt die Krimi-Autorin Thea Dorn (bürgerlich Christiane Scherer) einer wechselnden Gruppe von Gästen vor, darunter Autorinnen, Kritikerinnen, Schauspieler und andere Prominente, von deren Präsenz sich das ZDF offenbar ein höheres Interesse des Publikums an Literatur verspricht. In der Sendung vom Dezember 2020 waren eine Comedienne, ein Schauspieler und eine schreibende Tennisspielerin zu Gast."

Dass Baßler im letzten Teil eine Wendung ins Konstruktive vollzieht und den Midcult mit einem Gegenentwurf in Form des "Kalkülromans" (Dietmar Dath) konfrontiert, ist aller Ehren wert. Aber die Hauptleistung dieses Buchs ist seine teils sehr triftige Kritik.

Moritz Baßler: "Populärer Realismus". Vom International Style gegenwärtigen Erzählens.

Verlag C. H. Beck, München 2022. 408 S., br., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Schon einmal hat der Literaturprofessor Moritz Baßler ein Standardwerk über Popliteratur vorgelegt und vielleicht ist ihm das hier schon wieder gelungen, mutmaßt Rezensent David Hugendick. Bei "Populärer Realismus" handele es sich um eine äußerst aktuelle Zeitdiagnostik der Gegenwartsliteratur, die von Baßler mit dem Begriff des Midcult beschrieben werde. Midcult, erklärt der Rezensent, bedeutet, dass die Trennlinien zwischen dem, was als Hochkultur und was als Unterhaltungsliteratur angesehen wird, verwischt werden und sich stattdessen eine Literatur herausgebildet hat, deren Kennzeichen ein zwar recht hoher thematischer Anspruch, aber auch gängige Plots und eine zur Vereinheitlichung neigende "populärrealistische" Sprache sind. Baßler mag den Midcult nicht per se verurteilen, aber manchmal neigt er mit seinen Thesen zu Verallgemeinerungen, meint Hugendick. Doch das kann er angesichts überzeugender Textbeispiele und -analysen des Professors und seiner treffenden Ausführungen zu Literaturbetrieb und -rezeption verzeihen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2022

Lass mal gut sein
Der Germanist Moritz Baßler sortiert das derzeit populäre, realistische Erzählen neu,
auch in „gelungen“ und „nicht gelungen“
Was alle sofort freut am Buch des Germanisten Moritz Baßler über den „International Style gegenwärtigen Erzählens“, ist, dass er überhaupt versucht, das literarische Feld zu sortieren. Wie überall in Kunst und Gesellschaft scheint es in „der“ Literatur eine starke Unübersichtlichkeit zu geben, ein charakteristisches Fehlen von Stilen oder Schulen, die den Zeitgeist strukturieren würden. Die Sehnsucht nach orientierenden Begriffen mag erklären, warum das Buch im Augenblick in der akademischen Welt so aufgeregt herumgereicht wird, wie es literaturwissenschaftlichen Monografien selten geschieht. Auch der Literaturbetrieb diskutiert darüber. Neugier und der unbedingte Wille sich auseinanderzusetzen waren schon der Debatte anzumerken, aus der Baßlers Studie hervorgegangen ist. Und gleich auch die Enttäuschung darüber, dass seine Thesen in ihrem Effekt auf das Lesen und Verstehen nicht so beeindruckend sind wie in ihrem Aplomb.
In der Zeitschrift Pop. Kultur und Kritik stand im Frühjahr 2021 sein Essay „Der Neue Midcult“. Der ging zurück auf eine wissenschaftliche Konferenz, die nach veränderten Erwartungen des Publikums an Literatur fragte. Baßler lieh sich dazu von Dwight MacDonald und Umberto Eco den Begriff „Midcult“. Damit ist eine leicht lesbare Literatur gemeint, die mit Bildungsgut aufgepimpt ist, sodass die Leserschaft sich in dem Gefühl amüsieren kann, etwas „Wertiges“ zu sich zu nehmen. Zum Beispiel in Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“ nicht nur einen süffigen Abenteuerroman zu lesen, sondern sich mit der deutschen Wissenschaft der Spätaufklärung zu beschäftigen.
An „schweren Zeichen“ dürfen nun Leser des „Neuen Midcult“ heute, so Baßlers These, nicht mehr solche aus dem Bildungskanon erwarten, sondern moralische und durch existenzielle Erfahrungen möglichst der Autoren erfolgreicher Texte selbst authentifizierte Gegenstände: „Nationalsozialismus, KZs, Stasi, Missbrauch, Krebs und andere Leiden“, sowie „Themen und Probleme, für die sich die partikularen Gruppen interessieren (loss, trauma, abuse, Misogynie, Rassismus, Kapitalismus, Flucht)“.
Dass es besonders die Konjunktur von Geschichten über Leiden marginalisierter „Gruppen“ in heutigen Verlagsprogrammen zu sein schien, die Baßler als ideologisch aufstieß, brachte die Diskussion in Fahrt. Diesen Eindruck bügelt er jetzt mit der Ausführung seiner Thesen in Buchlänge unter dem Titel „Populärer Realismus“ aus. Dazu gibt es beispielhafte Interpretationen von Romanen der vergangenen zehn Jahre. Insofern ist dieses auch das Praxisbuch zur Theorie der 2021 von Baßler mit Heinz Drügh veröffentlichen „Gegenwartsästhetik“. Beide Bücher sind auffallend unterhaltsam geschrieben. Womöglich handelt es sich um seltene Exemplare einer populärwissenschaftlichen Ästhetik. Dass es so etwas gibt, kann man auch nur begrüßen.
Was sind nun die Begriffe, mit denen Baßler argumentiert? Als „Realismus“ beobachtet er eine Erzählweise, die einen möglichst unkomplizierten Zugang zur Handlung einer Geschichte ermöglicht, ohne formale Experimente, die zur Auseinandersetzung damit zwingen würden, dass es sich um sprachlich (oder auch filmisch) gemachte fiktive Wirklichkeiten handelt. In faszinierenden Abschnitten am Anfang des Buches zeigt Baßler an Texten so unterschiedlicher Autoren wie Martin Mosebach und Sebastian Fitzek, wie das vor allem auch durch stereotype Figuren und Formulierungen funktioniert. Grüne Wiese, stürmischer Liebhaber, ah, kenn ich, denkt das Leserhirn, und versinkt ungestört von neuen Reizen in die Handlung.
Entlang dieser Beobachtung ließe sich gerade aus sehr gut verkäuflichen Erzählungen ein interessantes Standardweltbild der Gegenwart gewinnen, wobei man sofort wissen wollte, wie darin Macht und Sympathien verteilt wären. Aber das ist leider nicht Baßlers Thema, so wenig wie er mit „populär“ die wirklich viel gelesene und ökonomisch erfolgreiche Literatur meint. Seinen Gegenstandsbereich beschreibt er als das, „was derzeit an Romanen literarisch gefördert, ausgezeichnet und gefeiert wird, was wir auf Empfehlungen anderer aus dem Buchladen nach Hause tragen, was wir gern lesen, verschenken und diskutieren“. Das wäre ein schwammiger Bereich, zumal das „Wir“ trotz kleiner werdender Kreise derer, die überhaupt Bücher lesen, eine milieuabhängige Größe bleibt.
Im engeren Sinne ist mit dem „Populären“ hier aber eine spezifische, in der „Gegenwartsästhetik“ deutlicher dargelegte Konstellation gemeint. Seriellen Erzählungen, wie etwa „Game of Thrones“ oder dem „Lustigen Taschenbuch“, entstamme die Erwartung, dass nicht mehr ein Autor dem Leser eine Geschichte auferlegt. Er schafft vielmehr eine fiktive Welt, an der er dann in imaginärer Gemeinschaft, oft sogar im realen Austausch mit seinem Publikum, kreativ arbeitet. Besonders gut funktioniert das in seriellen Erzählungen, in denen die gemeinsam bewohnbare Welt in jeder Folge aktualisiert und genossen werden kann. „Stilgemeinschaften normalisierten Spektakels“ nennen Drügh und Baßler mit einer Begriffsbildung ihres Kollegen aus der Medienwissenschaft, Jochen Venus, dieses partikularisierte Populäre.
Wie es Stilgemeinschaften gibt, die immer wieder zum Shock and Awe von Sebastian Fitzek zurückkehren, gebe es also auch solche, die sich einig seien, dass etwa die Diskriminierungserfahrungen schwarzer Europäer so bedeutsam sind, dass davon in immer neuen Exempeln erzählt werden muss. Die versammeln sich dann unter anderem um die Romane von Olivia Wenzel und Sharon Dodua Otoo. Wobei Baßlers Kritik an deren Büchern bleibt, dass die Wertung der fiktionalisierten Erfahrungen (Nazis sind brutal, Women of color sind schutzbedürftig) sich zu stark von selbst verstehe, also auch ohne die Romane bestünde. Solche „prästabilierte Harmonie“ macht Baßler als ästhetisch minderwertig aus, von der fühlt er sich ungut vereinnahmt, nicht etwa vom politischen Engagement der Geschichten.
Zur Bindung der Stilgemeinschaften trägt nach Baßler auch die bruchlose Übertragbarkeit von Erzählungen bei, zunächst in andere Sprachen. „Born translated“ nennt er mit einem Ausdruck der Literaturwissenschaftlerin Rebecca Walkowitz einen „International Style“, der in Syntax und Semantik immer schon eher Englisch ist, selbst wenn er zum Beispiel auf Deutsch geschrieben ist. Übersetzbar müsse der potenziell populäre Realismus aber auch in der medialen Form sein, vom Buch in den Film, in Computerspiele. Außerdem helfe es, wenn dieselbe Literatur Jugendlichen wie Erwachsenen gefalle, siehe „Harry Potter“.
Wie könnten diese Beobachtungen nun das Zusammenspiel von Gegenwart und Literatur erhellen? Moritz Baßler rückt nicht so richtig damit heraus, und das liegt vor allem daran, dass er übertrieben keusch wird, wo es nach der Logik seiner Argumentation zu Ideologiekritik kommen müsste. Immer wenn es gälte, die Frage zu beantworten, warum eine offene, polyvalente Semantik einer durch Gebrauch bewährten vorzuziehen ist, warum die ästhetische Krise zu mehr führt als die Erfüllung einer Harmonie, warum das Wohlgefallen an der Gestaltung dem Mitleben in fiktiven Welten überlegen ist, sagt Baßler wenig mehr als: So ist halt die bessere Kunst.
Literaturgeschichtlich ist das zu verstehen: Mit seiner einflussreichen Studie „Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten“ von 2002 wurde Baßler als akademischer Alliierter einer literarischen Bewegung bekannt, die sich in dezidierter Abgrenzung etwa von Theodor W. Adornos Geschimpfe auf die Verblendungszusammenhänge der Kulturindustrie formiert hatte. Diese Ablehnung wiederholt Baßler hier, bezeichnet solche Kritik als „elitistisch, von oben herab argumentiert“. Die Kulturindustrie stelle eben her, was das Publikum verlange, und wer wolle es dafür verurteilen.
Nicht nur ist das eine verkürzte Sicht auf Ideologiekritik, die ja, zum Beispiel in Person von Slavoj Žižek, viel Verständnis für die Lust am falschen Bewusstsein hat. In Diskussionen über Baßlers Buch, wie sie etwa an einem Nachmittag im November bei einem Symposium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu beobachten war, fällt außerdem auf, dass gerade Menschen, die professionell mit Büchern zu tun haben, nicht die Erfahrung machen, dass der Markt alles nach unseren Wünschen regelt.
Verlagsleute, Wissenschaftler, Schriftsteller und Literaturbloggerinnen merkten an, Baßlers Studie fehle ein Bewusstsein des materiellen „Unterbaus“ des International Style: Der könnte etwa weniger den Leserinteressen entsprechen als dem Druck des von der Konzentration großer Verlagskonzerne und schwindenden Leserzahlen gezeichneten Buchgeschäfts. Auch die Erforschung tatsächlicher Leserschaften durch die Literatursoziologie, im Unterschied zu den theoretisch extrapolierten „Stilgemeinschaften“, spielt keine Rolle bei Baßler. Richtig, erwiderte der Autor, all das fehle in seinem Buch, er sei nun einmal Literaturwissenschaftler, also Experte für Texthermeneutik, mit der er seine Beobachtungen prüfe.
Eine literaturwissenschaftliche Kritik, die so deutliche ästhetische Begriffe setzen will, steht aber unweigerlich irgendwann vor der Frage: Wozu? Was soll Kunst? Was kann Literatur im Unterschied zu anderen Sprachformen? Worin muss sie potenter sein als etwa moralische oder politische Sprachspiele? Sie als Ressort besonders unentfremdeten oder aufklärerischen Denkens anzusehen, ordnet Baßler dem alten Elitendenken zu. Indem er aber mit seinen eigenen Normen nicht so recht herausrückt, um gegen Ende doch vage offene „Möglichkeitsräume“ einzufordern, setzt er sich dem Vorwurf aus, nur Geschmacksurteile mit ausgefeilten Maßstäben zu fällen. Dass der professionellen Kunstkritik oft unterstellt wird, nichts als die Stilgemeinschaft der bildungsbürgerlich Gepamperten, postironisch Abgebrühten zu pflegen, sieht Baßler mit Grausen.
Seine eigene Ästhetik ist vor diesem Verdacht schwer zu retten. Zumal die Auswahl der in „Populärer Realismus“ besprochenen Bücher äußerst ideosynkratisch ist. So fallen etwa die von Wenzel, Otoo, Anke Stelling und Karl Ove Knausgård bei Baßler durch, während er sich für Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre nach wie vor begeistern kann. Außerdem für Romane unter anderem von Hengameh Yaghoobifarah, Lisa Krusche, Dietmar Dath, Slata Roschal und Leif Randt. Das sind nun im Hinblick auf Popularität und Realismus nur mehr oder weniger signifikante Autorinnen und Autoren, und warum sich das „gegenwärtige Erzählen“ an ihren Büchern besonders beispielhaft darstellen ließe, verliert die Argumentation aus dem Blick.
So riskiert Baßler den Whataboutism des Kanonbewusstseins, das immer nachmault: Und was ist mit Lutz Seiler? Wo bleibt Sasha Marianna Salzmann? Müssen nicht an den Texten von Clemens J. Setz alle diese Thesen zerschellen? Ob aus dem „Populären Realismus“ der gültige Epochenbegriff für die Literatur des frühen 21. Jahrhundert werden kann, der er zu sein verspricht, bleibt zu beweisen.
MARIE SCHMIDT
Ungut vereinnahmt fühlt sich
Baßler, wenn die Wertung fiktiver
Ereignisse vorab schon klar ist
Vor dem Verdacht, seinerseits
Stilgemeinschaften zu pflegen,
ist er schwer zu retten
Verlustlos übersetzbar soll die populäre Literatur heute sein, schreibt Moritz Baßler. Nicht nur in andere Sprachen, auch von der Literatur in den Film, wie hier in der Verfilmung von Daniel Kehlmanns Erfolg „Die Vermessung der Welt“ mit Florian David Fitz und Vicky Krieps.
Foto: Warner Bros./picture alliance/dpa
Moritz Baßler: Populärer Realismus. Vom internationalen Style gegenwärtigen Erzählens. C. H. Beck 2022. 408 Seiten.
24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
"Baßler gehört zu den wenigen Hochschulgermanisten, die sich produktiv mit Literatur und Literaturkritik der Gegenwart auseinandersetzen."
WELT WDR 5 NZZ ORF-Bestenliste November 2022, Platz 4

"Man sollte Baßler danken für die Ausarbeitung dieses wichtigen Themas und dessen Wendung ins Grundsätzliche."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jan Wiele

"Vor etwa 20 Jahren veröffentlichte Moritz Baßler, Professor für Germanistik in Münster, ein Buch über die damals neue deutsche Pop-Literatur ... Das Buch wurde zu einem Standardwerk, und es änderte den literaturwissenschaftlichen Umgang mit dieser Strömung. Vermutlich ist Baßler ein derartiger Wurf nun erneut gelungen."
DIE ZEIT, David Hugendick

"Moritz Baßlers 'Populärer Realismus' wird die Art, wie in Deutschland über Literatur diskutiert wird, für Jahre prägen. ... Es zu lesen, es zu diskutieren, ist ein leichtes Vergnügen mit einem anspruchsvollen Thema."
Süddeutsche Zeitung, Nele Pollatschek

"Aber sind Bücher nicht einfach deswegen sehr erfolgreich, weil sie besonders gut sind? Hinweise dazu gibt die These zur Gegenwartsliteratur, die der Germanist Moritz Baßler in seinem Buch "Populärer Realismus" diskutiert: Erfolgreich werde Literatur, wenn sich ihre Leserschaft möglichst unmittelbar in eine fiktive Welt, die Handlung und die Gefühlen der Helden versenken kann."
Süddeutsche Zeitung, Marie Schmidt

"Moritz Baßler hat ein Buch geschrieben, das im Reich der Literatur eine Schneise schlagen könnte."
SWR2 Lesenswert, Alexander Wasner

"Für Literaturfans lohnt sich dieser Rundblick in die aktuelle Literaturszene mit Sicherheit. Und wenn sich bei der Lektüre Zustimmung und Ablehnung muntere Gefechte liefern, dann ist das kein Nachteil, sondern der komplizierten Sachlage durchaus angemessen."
SWR2, Eberhardt Falcke

"Vor allem deshalb lesenswert, weil man sich wunderbar daran reiben kann"
Wiener Zeitung, Andreas Wirthensohn

"Baßler versucht in seinem Buch 'Populärer Realismus' eine Orientierung im unübersichtlichen Feld zeitgenössischer Literatur zu liefern."
Hannoversche Allgemeine

"Sehr eingängig und gut lesbar. ... Von diesem Buch werden wir - in der Literaturwissenschaft und Literaturkritik, in der Kulturtheorie - noch viel hören."
Der Falter, Markus Steinmayr

"Lehrreich und heiter, scharfsinnig und scharfzüngig, beste Literaturwissenschaft"
NZZ am Sonntag

"Der Titel ist schon jetzt ein Referenzwerk."
republik.ch, Daniel Graf
…mehr