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Petra Morsbachs grandioses Romandebüt
"Plötzlich ist es Abend" spielt in Leningrad/ St. Petersburg zwischen 1926 und 1993 und ist die Geschichte der Popentochter Ljusja, die gern glücklich sein möchte. Ljusja sucht ihr Heil in der Liebe und ist - vielleicht gerade deswegen - meist auf sich allein gestellt. Zudem sind die Verhältnisse schwierig: Wie alle zappelt Ljusja in den Maschen eines absurden, rigiden Systems, das in die intimsten Bereiche des Privatlebens hineinwirkt; wie viele gerät sie in die Mühlen der Ideologie, derer sie sich freilich ebenso unbefangen wie unbedenklich zu…mehr

Produktbeschreibung
Petra Morsbachs grandioses Romandebüt

"Plötzlich ist es Abend" spielt in Leningrad/ St. Petersburg zwischen 1926 und 1993 und ist die Geschichte der Popentochter Ljusja, die gern glücklich sein möchte. Ljusja sucht ihr Heil in der Liebe und ist - vielleicht gerade deswegen - meist auf sich allein gestellt. Zudem sind die Verhältnisse schwierig: Wie alle zappelt Ljusja in den Maschen eines absurden, rigiden Systems, das in die intimsten Bereiche des Privatlebens hineinwirkt; wie viele gerät sie in die Mühlen der Ideologie, derer sie sich freilich ebenso unbefangen wie unbedenklich zu bedienen versucht. Sie macht ziemlich viel Quatsch, müht sich, trifft dabei auf andere Menschen, die ebenfalls kämpfen (mit den Verhältnissen und miteinander), keiner kann was dafür, und übrig bleibt ein zugrundegerichtetes Land. Es ist das Protokoll eines Niedergangs, aber auch eine Geschichte von unermüdlichem Kampfgeist, Mut und Witz, von Liebe und Freundschaft. Es ist die faszinierende, komische,schreckliche, unglaubliche Geschichte einer russischen Mutter Courage.
Autorenporträt
Morsbach, Petra
Petra Morsbach, 1956 geboren, studierte im München und St. Petersburg. Danach arbeitete sie zehn Jahre lang als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1993 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe von München. Bisher schrieb sie mehrere, von der Kritik hoch gelobte Romane, u.a. "Plötzlich ist es Abend", "Opernroman" und "Gottesdiener" (alle im Taschenbuch bei btb). Im Frühjahr 2013 erscheint ihr neuer Roman "Dichterliebe" im Knaus Verlag. Für ihr Werk wurde Petra Morsbach mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.1995

Es klingelt
Eine Petersburger Passion / Von Hubert Spiegel

Das erste der zwölf Bücher, in die Petra Morsbach ihren umfangreichen Roman unterteilt hat, ist "Anfänge" überschrieben. Das heißen wir ein ehrliches Beginnen, denn es nennt die Dinge beim Namen und offenbart bereits die ganze Raffinesse, mit der auf den folgenden 650 Seiten zu Werke gegangen wird: daß hier statt des schnöden Singulars der ungleich verheißungsvoller klingende Plural gewählt wurde, ist, um es vorwegzunehmen, der kühnste Kunstgriff, den die Debütantin sich erlaubt.

Im ersten Satz des Romans wird die Heldin vorgestellt. Der Leser erfährt ihren Namen und ihr Alter, wo sie wohnt und wo sie arbeitet, daß sie ein uneheliches Kind hat und gerade von der Liebe träumt. Der zweite Satz nennt Ort und Zeit der Handlung. Der dritte Satz enthält nur eine einzige Information und eröffnet zügig das Geschehen: "Es klingelt."

Was sich wie eine Regieanweisung liest, ist der Beginn eines Romans, dem Hans Magnus Enzensberger "Döblinisches Format" bescheinigt hat, "freilich ohne expressionistische Gesten". "Plötzlich ist es Abend", der erste Roman der knapp vierzigjährigen Dramaturgin und Regisseurin Petra Morsbach, sei, so Enzensberger, "ein russischer Alexanderplatz" - freilich ohne Alexanderplatz, ohne Döblin und leider auch ohne Format. Das Russische allerdings wird man dem Buch nicht absprechen wollen.

"Plötzlich ist es Abend" beschreibt vier Jahrzehnte sowjetischen Alltags aus der Perspektive einer St. Petersburger Popentochter. Aus der jungen Fabrikarbeiterin Ljusja Gwosdikowa wird im Verlauf der Handlung die Geliebte eines Literaten, die Frau eines Spekulanten und späteren Dissidenten, eine Professorengattin und schließlich die späte Liebschaft eines ehemaligen Leibgardisten Stalins. Ljusja wird Mutter und Hausfrau, Wodkaverkäuferin und Kantinenwirtin. Zuletzt findet sie ihre Erfüllung vor allem als Großmutter und Besitzerin einer kleinen Datscha.

Petra Morsbachs Heldin ist ungebildet, aber schlagfertig, klein, aber unbeugsam, naiv, aber herzensgut. Wo sie Schwächen zeigt und Schuld auf sich lädt, ist die Reue nicht fern. Wo sie mißhandelt wird, übt sie Vergebung, wo sie Unrecht mitansieht, ergreift sie tapfer Partei. Sie läßt sich von Verwandten, Freunden und Ehemännern ausnutzen und tyrannisieren, kämpft aber mit Löwenmut, wenn es darum geht, Funktionärschargen und Büttel des Systems in ihre Schranken zu weisen. Weder der KGB noch hohe Generäle oder sibirische Lagerkommandanten sind ihr dann gewachsen. So hilflos Ljusja ihren Nächsten ausgeliefert ist, so unverwundbar tritt sie den Repräsentanten der Sowjetmacht gegenüber.

Diese Ljusja hat offensichtlich zwei Mütter. Die eine ist die Pikara des Schelmenromans, in dessen literarischer Tradition Petra Morsbach ihr Debüt anzusiedeln versucht. Die zweite ist eine gewisse Lore, Ahnfrau aller Groschenromane, zu denen es die Autorin mit Macht zu ziehen scheint. Noch mächtiger aber zieht die Seifenoper. Dieses Buch, das unverkennbar nach dem großen postsowjetischen Gesellschaftsroman schielt, bringt alles mit, um der großen postsowjetischen Vorabendserie als Vorlage zu dienen. 451 Kapitel, das entspricht 451 Folgen. Die Laufzeit der ersten Staffel betrüge, einen wöchentlichen Sendetermin vorausgesetzt, mithin etwa neun Jahre.

Man könnte dieses Buch, wie Enzensberger vorschlägt, für seine Schnörkellosigkeit rühmen. Für eines der großen Dramen dieses Jahrhunderts, für die Verbrechen eines Regimes und das Leid eines Volkes findet es denkbar schlichte Worte - ohne sich für die Ursachen, für historische Fakten oder politische Ereignisse zu interessieren. Es betrachtet das historische Panorama, das es entfalten will, aus der Perspektive des Objekts, das von allen Geschehnissen nur die unmittelbaren Auswirkungen auf das eigene Leben wahrnimmt. In der Welt, die Petra Morsbach beschreibt, gibt es nur den Alltag, dessen oberste Maxime mit schöner Regelmäßigkeit wiederholt wird: "Das Leben geht weiter", heißt es etwa am Anfang von Kapitel 347. Kapitel 417 beginnt mit dem Satz: "Das Leben geht immer noch weiter." Das Nähere dazu regelt Kapitel 407: "Das Leben ist nicht einfacher geworden."

Das gleiche gilt für die Lektüre, denn bereits nach den ersten zweihundert Kapiteln beginnt das Interesse am St. Petersburger Lokalkolorit spürbar zu erlahmen. Mangel und Armut, die Intrigen der Nachbarn und Kollegen, das Schlangestehen vor leeren Regalen, die Schikanen der Behörden, das Elend der Familien, in denen Armut und Wodka alle Bindungen zersetzen - all das ist bedrückend und läßt den Leser durchaus nicht unberührt. Nach sechshundert Seiten, auf denen sprachliche Unbeholfenheit nicht selten und das Klischee die Regel ist, reagiert der Leser jedoch ähnlich matt wie Lukians Nachbarn in der Provinz, die von der Besucherin aus der fernen Metropole Neuigkeiten erfahren wollen: "Ach, Leningrad", seufzen die Nachbarn, ",ist es da mit den Produkten genau so schlecht wie bei uns?' - "Defizit, Defizit', ruft Ljusja aus. ,Auch Leningrad ist Rußland. Wir schaffen's irgendwie nicht.' Und die Nachbarn antworten: ,Verdammt, Verdammt'".

Petra Morsbach: "Plötzlich ist es Abend". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1995. 656 Seiten, geb., 49,80 DM.

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