auch Schauplatz ihres unprätentiösen Erlebnisberichts "Please leave the bus hier". Hatte Schmidt für ihren Überraschungserfolg "Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei" noch aus der Perspektive der Berliner Busfahrerin erzählt, die sie für viele Jahre tatsächlich gewesen ist, begibt sie sich für ihr zweites Buch als Mitfahrerin hinein in den mobilen Mikrokosmos, der "unbesehen alle gleich befördert".
An jeder Haltestelle ändere sich die Mischung. Nirgendwo sonst sei demokratisches Verhalten unverfälschter, schreibt sie. Entlang der Linie M19, die noch von jenen gelben Doppeldeckerbussen befahren wird, die einen Weitblick über hupende Autos und drängelnde Taxis hinaus bieten, nimmt sie den Leser mit auf eine Reise durch den Westen Berlins. Das Buch ist eine Sammlung kleiner Geschichten und alltäglicher Observationen, will die Stadt nicht erklären, sondern "existiert aus reiner, unstillbarer Lust am Sein und am Dasein. Und am Busfahren".
Einen roten Faden bieten die Haltestellen der M19 sowie die Monate des Kalenderjahres. Es geht, von Silvester bis Weihnachten, vom Kreuzberger Gemüsedöner, vorbei am Tempelhofer Feld, dem queerbunten Nollendorfplatz, bis hin zum Grunewalder Villenviertel - und dabei immer wieder raus durch die Mitteltüren des Busses ins Gewusel der Stadt. Die zahlreichen Beobachtungen illustrieren, wie sehr die sich zufällig auf dieses und jenes richtende Wahrnehmung hier den Takt vorgibt: "Eine alte Frau geht mit ihrem Hund spazieren. Aus einem offenen Fenster wirft ein Mann mit nacktem Oberkörper eine vertrocknete Zimmerpflanze auf den Bürgersteig."
Die Orte des Geschehens bettet Schmidt dabei in den Kontext der bewegten und bewegenden Historie der Stadt ein, fast an jeder Ecke finden sich Mahnmale und Gedenktafeln, die mal auf geläufige, mal auf weniger bekannte Geschichten verweisen: "Das Vergangene und das Gegenwärtige gehören zur gleichen Zeit." Den Leser nimmt die Autorin auch mit auf eine Reise in die jüngere Vergangenheit: Fast vergessen schon die Zeit, als in Bussen noch Corona-Schutzmasken getragen werden mussten und die ersten ukrainischen Kriegsflüchtlinge in der Hauptstadt ankamen.
Schmidt beschreibt auch die Leichtigkeit der Stadt, die oft genug mehr mit deren Anonymität zu tun hat, als man intuitiv denken würde. Die Stärken des Buches liegen in der lebhaften Beschreibung des schwer zu greifenden Wesens Berlins. So heißt es zu Beginn: "Dieses Buch ist wie die Stadt: verworren, überraschend, verrückt, unvollständig." Dagegen fallen die konstruiert wirkenden Dialoge deutlich ab. Busfahrer, Rentnerin und Currywurstverkäufer kontern jeden kecken Spruch mit einem noch keckeren, und die herzerwärmende Berliner Schnauze lauert überall. Kostprobe: "Sind Ihre Pommes auch aus biologischem Anbau?" - "Bei mir ist alles biologisch, wollen Sie mal fühlen?" So viel kommunikative Resonanz dürfte nicht jeder in der Hauptstadt erfahren.
Wer daneben eine Portion "Die da oben"-Kritik und die Beliebigkeit der vorgestellten Szenen verkraften kann, dem bietet Schmidt einen unterhaltsamen Stadtführer, der den Bus zu einem so kuscheligen Ort der Geborgenheit macht, wie er es wohl niemals sein wird: "Selbst in tiefster Dunkelheit leuchtet das Gelb. Der Bus trägt Licht durch die Nacht und erfüllt bei jedem Halt das Versprechen: ,Steige ein, du bist willkommen, hier ist es warm, hell und sicher.'" JANNIK MÜLLER
Susanne Schmidt: "Please leave the bus hier". Ein Bus, 26 Haltestellen, eine Berlinerin erzählt.
Hanserblau Verlag, München 2023.
224 S., Abb., br.,
18,- Euro.
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