Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 0,99 €
  • Broschiertes Buch

Eine Familie vermietet stundenweise einen Balkon. Die frischluftnärrischen Mieter stürzen aus ungeklärten Gründen stets in die Tiefe. Mit den Schaulustigen macht die Familie durch den Verkauf von Schnäpsen gute Geschäfte bis eines Tages sich das Kind auf den geheimnisvollen Balkon wagt. "Picknick der Friseure" ist ein Buch mit zwanzig grotesken und komischen Geschichten, die in der gegenwärtigen Literatur ihresgleichen suchen: manchmal bitterböse, voll atemberaubender Phantasie.

Produktbeschreibung
Eine Familie vermietet stundenweise einen Balkon. Die frischluftnärrischen Mieter stürzen aus ungeklärten Gründen stets in die Tiefe. Mit den Schaulustigen macht die Familie durch den Verkauf von Schnäpsen gute Geschäfte bis eines Tages sich das Kind auf den geheimnisvollen Balkon wagt. "Picknick der Friseure" ist ein Buch mit zwanzig grotesken und komischen Geschichten, die in der gegenwärtigen Literatur ihresgleichen suchen: manchmal bitterböse, voll atemberaubender Phantasie.
Autorenporträt
Felicitas Hoppe, geboren 1960 in Hameln, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Für ihr Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Aspekte-Literaturpreis (1996), mit dem Nicolas-Born-Preis des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (2004), dem Bremer Literaturpreis (2007), dem Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim (2007), dem Rattenfänger-Literaturpreis (2010) und dem Georg-Büchner-Preis (2012). Außerdem Poetikdozenturen und Gastprofessuren in Wiesbaden, Mainz, Augsburg und Göttingen sowie am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire und an der Georgetown University, Washington DC. 2015 wurde Felicitas Hoppe mit dem Erich Kästner Preis für Literatur ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996

Nacht der schlaffen Kragen
Felicitas Hoppe verweigert den Purzelbaum / Von Hubert Spiegel

In den Bänken der Zirkusschule, die in einem der Wohnwagen untergebracht

ist, mit denen die Artisten durchs Land reisen, sitzen nur begabte Schüler. Es gibt kleine Hochseilartisten, kleine Trapezkünstler, kleine Löwenbändiger und vielversprechende Jongleure. Nur die Tochter des Spaßmachers ist aus der Art geschlagen. Ihre Nase rümpfend, die auch im Winter nicht rot werden will, springt sie über die ausgestellten Beine ihrer Mitschüler. Sie trägt weder lustige kleine Kappen noch unförmige, übergroße Schuhe. Purzelbäume verachtet sie. Sie lernt schnell und ohne Mühe all das, was zu wissen in der Manege wenig Vorteil mit sich bringt. Wenn die anderen Kinder Löwen bändigen und auf dem Hochseil laufen, sitzt die Tochter des Spaßmachers abseits. Ihre Talente verbirgt sie, denn sie ist sich ihrer Vorzüge nicht sehr sicher: "Vieles spricht nicht gegen das Schreiben. Es ist eine warme und geschützte Tätigkeit. Selbst bei schlechter Witterung gelingt hin und wieder ein lesbarer Satz. Natürlich neigt der Schreibende zur Rechthaberei . . ."

In keiner der zwanzig Geschichten, die Felicitas Hoppe unter dem Titel "Picknick der Friseure" in ihrem Debütband versammelt hat, kommt die Tochter des Spaßmachers vor. Sie ist eine Erfindung des Rezensenten, entstanden aus nackter Not. Denn Felicitas Hoppe gibt so wenig von den Ich-Erzählern ihrer seltsamen Miniaturen preis - sogar Hinweise auf Alter und Geschlecht werden zumeist verschwiegen -, daß der Leser aufs bloße Spekulieren angewiesen ist. Will er wissen, mit wem er es eigentlich zu tun hat, muß er sich auf eine mühevolle Spurensuche begeben und sich schließlich seine Erzähler doch selbst erfinden. Dennoch führt die Frage nach den seltsamen Figuren, die sich hier zu Wort melden, vielleicht weiter als die nach der Handlung dieser Prosaminiaturen.

"Der Kopf zu schwer, die Hände zu groß, die Beine zu kurz, sagte mein Vater, setzte mich in einen Käfig und winkte mir freundlich durch das Gitter zu, während ich ihn dabei beobachtete, wie er am Küchentisch Streichholzschachteln klebte, weil er ein Bein zuwenig hatte und der linke Arm neben seinem Körper hin- und herbaumelte wie ein toter Ast im Wind." So beginnt die Geschichte "Kopf und Kragen", in deren Verlauf der Ich-Erzähler zum Tanzbären ausgebildet wird und mit seinem einbeinigen Vater über die Dörfer zieht, bis ihm schließlich während einer Vorstellung der zu schwere Kopf vom Rumpf fällt und er in begreiflicher Bestürzung die Flucht ergreift. Am Ende der nur vier Seiten langen Geschichte sitzt der Vater wieder am Küchentisch und klebt seine Streichholzschachteln, während der Erzähler beschließt, seinen Beobachterposten im Inneren des Geschirrschranks aufzugeben. Vielleicht aber haben Vater und Sohn die Wohnküche auch nie verlassen: "Wer uns sucht, wird uns finden, wo man Menschen und Bären findet, in Höhlen unter Blättern, vergraben in Träume, für die jede Nacht zu kurz ist."

Die 1960 geborene Felicitas Hoppe, die außer einigen Texten in Zeitungen und Zeitschriften noch nichts veröffentlicht hat, erzählt in ihrem ersten Buch Geschichten, die ihren Anlaß verbergen, die unerhörte Begebenheiten wie nebenbei erwähnen und in denen die Katastrophe kaum schwerer zu wiegen scheint als die Schnurre. Wenn hier Tragödien wie Grillen wirken, so liegt dies auch daran, daß es nicht selten reine Grillen sind, die Tragödien erzeugen. Der Mann, der ein großes Werk über den Feldhasen schreibt, der Zöllner, der jeden Reisenden zur Umkehr bewegen will, die Frau, die halb geleerte Tassen und halb erhobene Hände nicht erträgt - das Lächerliche und das Tragische, das Alltägliche und das Absurde liegen hier so nahe beieinander wie bei Thomas Bernhard der Weltuntergang und die Nudelsuppe. Felicitas Hoppes surreale Geschichten, die keiner Logik gehorchen außer der des Traumes, erinnern an die Miniaturen von Ror Wolf und an frühe Prosastücke Christoph Meckels. Es sind Geschichten, wie sie die stummen, unablässig gepeinigten Geschöpfe in den Theaterstücken Thomas Bernhards erzählen würden, würden sie Geschichten erzählen.

Denn fast immer liegt diesen Texten ein verstörendes Erlebnis, ein ungeheuerlicher Vorgang zugrunde. Oft nimmt das Geschehen seinen Ausgang in der Familie, in der, wie Doderer meinte, umkommen muß, wer sich in sie begibt. Mütter verlassen ihre Familien, Kinder stürzen sich vom Balkon, ein Vater, die "Karnevalistenkrone seiner wirren Haare" auf dem Kopf, sitzt Nacht für Nacht am Spieltisch. Daß der Sohn, den er zunächst auf seine Ausflüge mitzunehmen pflegte, ihm kein Glück bringt, will der Vater nicht einsehen. "Er begriff nicht", so sagt der Erzähler, "daß wir auf der Welt sind, um uns und andere ins Unglück zu stürzen." Wenn der Vater bei Sonnenaufgang nach Haus kommt, beklagt er sich über die schlecht gestärkten, "schlaff wie gebrochene Flügel" herunterhängenden Kragen seiner Hemden, die Zeugen und Wahrzeichen seiner Niederlagen.

Solche Bilder gehören zu den Stärken des Buches. Felicitas Hoppes Sprache ist klar und präzise und aus dem Gegensatz zwischen der Präzision, mit der die Vorgänge beschrieben werden, und dem verwirrenden, oft alle Gesetze der Realität mißachtenden Ablauf der Handlung weiß die Autorin die schönsten Funken zu schlagen. Natürlich sind nicht alle zwanzig Texte dieses Bandes gelungen, einige, wie "Die Handlanger", die erste Geschichte, aus der auch die Anmerkungen über die windgeschützte Tätigkeit des Schreibens stammen, sind ein wenig harmlos, aber falsche Töne sind auch bei den schwächeren dieser Geschichten kaum zu vernehmen. Zuweilen fürchtet man, hinter der nächsten Wendung werde Talmi glänzen und Lametta an den Sätzen hängen. Am Ende ist man beruhigt: Wenn das Kunsthandwerk Felicitas Hoppe ein Bein stellen will, rümpft sie ein wenig die Nase und springt darüber hinweg.

Felicitas Hoppe: "Picknick der Friseure". Geschichten. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996. 91 S., geb., 28,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
Dieses Buch legt man nicht nach einmaliger Lektüre aus der Hand, auf diese Geschichten greift man immer wieder zurück. Die ZEIT