Produktdetails
  • Verlag: TiVan-Verlag
  • Seitenzahl: 256
  • Erscheinungstermin: 17. Juli 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm x 170mm
  • Gewicht: 620g
  • ISBN-13: 9783980866040
  • ISBN-10: 3980866041
  • Artikelnr.: 23802946
Autorenporträt
Herbert Riedle ist Rechtsanwalt und Physiotherapeut, Inhaber einer Praxis für Physiotherapie.

Barbara Gillig-Riedle, Jg. 1964, Dipl.- Psychologin und Therapeutin, hat mit ihrem Mann drei Kinder adoptiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2008

Damit Jan eine Chance hat

Neue Familie (3): Sandra Buchner ist alkoholkrank. Sie sieht ein, dass es ihrem Sohn bei Pflegeeltern besser geht.

Von Stefan Toepfer

Hätte Sandra Buchner ihren Sohn behalten dürfen, wäre er vermutlich schon längst ein echter Eintracht-Fan. Hätte. Wäre. Denn Jan, sechs Jahre alt, lebt in einer Pflegefamilie. Einmal in der Woche spricht er mit seiner Mutter am Telefon, einmal im Monat, samstags, sehen sich die beiden, machen Ausflüge. Am Abend muss er wieder bei den Pflegeeltern sein. Abschied im Vier-Wochen-Rhythmus.

Die Zwei-Zimmer-Wohnung von Sandra Buchner ist voll von Eintracht-Frankfurt-Postern und Fanartikeln. "Es wird Zeit, dass die Bundesligasaison wieder beginnt", sagt sie. In die Wohnung nimmt sie ihren Sohn nicht mit, wenn sie sich allsamstäglich sehen. "Das weckt bei ihm zu viele Erinnerungen." Erinnerungen an die Versuche, doch wieder zusammenzuleben.

Zweimal hat das Jugendamt das probiert, doch es ging nicht. Sandra Buchner bekommt ihre Alkoholabhängigkeit nicht in den Griff. Weil das so ist, möchte sie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung sehen, auch ihr Sohn heißt in Wirklichkeit nicht Jan. "Der kleinste Anlass genügt, und ich trinke wieder", sagt die 39 Jahre alte Frau. "Ich bin nicht gerade stolz auf mich."

Es fing damit an, dass sie vor sechs Jahren als Hochschwangere bei einem Gespräch im Sozialamt stark nach Alkohol roch. Geplant war die Schwangerschaft nicht. Der Sozialarbeiter, mit dem sie über ihre Sozialhilfe sprach, informierte das Jugendamt. Nach der Entbindung kam Jan zu Pflegeeltern. Wenig später misslang der erste Versuch, ihn wieder von seiner Mutter großziehen zu lassen. Jan musste wieder zu den Pflegeeltern.

Dann, als er drei Jahre alt war, konnte er mit seiner Mutter in eine nordhessische Fachklinik für Suchtkranke mit einem angeschlossenen Mutter-Kind-Haus fahren - ein zweiter Versuch, die beiden wieder zusammenzubringen. Doch auch dort fing Sandra Buchner wieder mit dem Trinken an. Es kam bei einer Kontrolle heraus, sie musste alleine zurückfahren, Jan kam abermals in seine Pflegefamilie. "Ich war zornig und traurig zugleich", sagt sie.

Einen nächsten Versuch wird es nicht geben. Sandra Buchner hat sich damit arrangiert. "Ich liebe meinen Sohn über alles, und in der Pflegefamilie hat er es gut", sagt sie und fügt rasch hinzu:. "Auch wenn es ihm bei mir nie schlecht ging."

Das nächste Wiedersehen ist eines außer der Reihe: Am 5. August will sie bei seiner Einschulung dabei sein. Auch ein Geschenk will sie ihm machen, selbst wenn sie als Hartz-IV-Empfängerin genau rechnen muss. "Sein leiblicher Vater gibt Geld dazu. Er hat einen Job." Die Pflegeeltern sprechen mit ihr über Jan - zumal dann, wenn er, wie vor kurzem, ins Krankenhaus musste. Das Sorgerecht für ihren Sohn ist Sandra Buchner nicht entzogen worden, wie sie sagt.

In ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt sie alleine. Freunde hat sie nach eigenen Worten nicht, auch keinen Kontakt mehr zu Verwandten. Aus ihrem Viertel will sie weg, sie fühlt sich nicht mehr wohl dort. Von einer neuen Wohnung verspricht sie sich einen neuen Anfang für ihr Leben. Vielleicht klappt es dann auch mit dem Jobcenter besser, das ihr die Hartz-IV-Bezüge schon gekürzt hat, "wegen fehlender Mitwirkung". Ihr Ein-Euro-Job ist längst abgelaufen. Sie weiß, dass sie bald einen Termin mit einer Suchtberatungsstelle nachweisen muss. "Die Leute im Jobcenter sind schon geduldig, aber irgendwann hat das halt ein Ende." Um sich Eintrittskarten für das eine oder andere Eintracht-Spiel leisten zu können, sammelt sie im und am Stadion Pfandflaschen und Dosen. Mal kommen zehn, mal zwanzig Euro zusammen. "Man muss dort sehen, wo man bleibt. Die Konkurrenz unter den Sammlern ist groß."

Einen Schulabschluss hat sie nicht, und ihren ersten Beruf, Hauswirtschaftshelferin, hat sie nur kurz ausgeübt. Bei der Werkstatt Frankfurt, dem größten Beschäftigungsträger der Stadt, hat sie eine Ausbildung gemacht. Doch sie konnte nicht mit dem Trinken aufhören. Beim nächsten Gespräch mit dem Jugendamt will sie vor allem überlegen, wie es mit ihr weitergehen kann. Bisher aber ist es bei diesem Vorsatz geblieben.

Eine Familie, die ihr Geborgenheit schenken konnte, hatte sie selbst nie. Die Ehe ihrer Eltern war zerrüttet. Zunächst wuchs sie bei ihrer Großmutter auf, später, als sie 14 Jahre alt war, kam sie in eine Pflegefamilie. "Damals fing mein Alkoholproblem an." Damals gab es auch einen Aufenthalt im Frauenhaus. Es dauert lange, bis Sandra Buchner darüber reden kann. "Es war keine gute Erfahrung in der Pflegefamilie." Mehr sagt sie nicht, mehr will sie nicht sagen. Nur: "Kommen Sie noch einmal wieder."

Bei einem zweiten Treffen berichtet sie dann, dass der Pflegevater sich an ihr vergangen habe. "Ich musste zweimal abtreiben, als ich 15 und als ich 17 Jahre alt war." Nachdem er sie später geschlagen habe, sei sie in das Frauenhaus gekommen. Auf dem Wohnzimmertisch liegt neben einem Kronkorken ein Zettel, den er ihr in den Briefkasten gesteckt hatte. "Er hat mich ausfindig gemacht und mir einen Job angeboten. Doch von ihm nehme ich keine Arbeit an."

Dass sie anfangs skeptisch war, als es hieß, ihr Sohn komme in eine Pflegefamilie, ist mehr als verständlich. "Doch ich habe nichts mehr dagegen." Bei allem Trennungsschmerz ist sie zufrieden damit, wie ihr Sohn nun aufwächst. "Einen schönen Arbeitstag noch", sagt sie beim Abschied und schließt leise die Tür zu ihrer Wohnung, die für Jan kein Zuhause mehr sein kann.

Bisher erschienen: Neue Familie, neuer Anfang (17. Juli), Erinnerungen an ein Leben als Pflegekind (30. Juli). Zum Thema gibt es einen neuen Ratgeber: "Pflegekinder" von Herbert Riedle u.a. Er ist im Tivan-Verlag erschienen und kostet 29,50 Euro.

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