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Produktdetails
  • Verlag: Achilla Presse
  • Seitenzahl: 379
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 500g
  • ISBN-13: 9783928398183
  • ISBN-10: 3928398180
  • Artikelnr.: 24665573
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.1996

Pferde sind bessere Menschen
Es gibt ihn noch: Erzählungen von Sherwood Anderson

Mit dem amerikanischen Erzähler Sherwood Anderson (1876 bis 1941), dessen markig betitelter Erzählband "Pferde und Männer" aus dem Jahre 1923 jetzt in einer liebevoll gestalteten Ausgabe zum erstenmal auf deutsch erschienen ist, hat es eine besondere Bewandtnis. Den einen gilt er als visionärer, stilbildender Experimentator vom Range einer Gertrude Stein, die anderen halten ihn für einen romantisch-transzendentalistischen Schwärmer aus der zweiten Garde der amerikanischen Literatur. Daß sein Kurs an der literarischen Reputationsbörse derart schwankt, hat mit zwei Umständen zu tun: Anderson ist der typische "Ein-Buch-Autor", das heißt, gegen das Meisterwerk "Winesburg, Ohio" sind seine anderen Bücher verblaßt, und er ist das Opfer der nachhaltigen Geringschätzung geworden, mit der sich Lionel Trilling, einer der einflußreichsten amerikanischen Kritiker seiner Zeit, mehrfach über Andersons Werk geäußert hat.

Wie der aus Ohio stammende Sohn eines Sattlers zum Schriftsteller wurde, ist oft erzählt worden. Anderson hatte es nach einer Reihe von Gelegenheitsjobs zum Manager einer kleinen Farbenfabrik gebracht. Im Winter 1912 verließ er eines trüben Tages mitten im Briefdiktat sein Büro; vier Tage später fand man den verstörten Fabrikanten in Cleveland herumirrend; mit schweren Schocksymptomen mußte er ins Krankenhaus gebracht werden. Der Genesene kehrte nicht mehr zu Fabrik, Frau und Kindern zurück, sondern zog nach Chicago und widmete sich fortan dem Schreiben.

Unter dem Einfluß von Edgar Lee Masters und avantgardistischen Strömungen der bildenden Kunst verfaßte er 1919 "Winesburg, Ohio", eine Sammlung von surrealistisch-grotesken Kleinstädter-Porträts, die ihn über Nacht berühmt machte. 1921 und 1923 veröffentlichte er zwei weitere Sammlungen mit Erzählungen, "The Triumph of the Egg" und "Horses and Men", in denen er Themen und Techniken aus "Winesburg, Ohio" erweiterte und verfeinerte; an den Erfolg des ersten Buches konnte er aber nicht mehr anknüpfen. Die Kurzgeschichten in "Horses and Men" illustrieren den Kern von Andersons Kunstauffassung: die Überzeugung nämlich, daß die Menschen in einer banalen, häßlichen und abstoßenden Wirklichkeit leben, die nur Künstler mit Hilfe der Einbildungskraft transzendieren können - Kunst macht aus chaotischer Wirklichkeit eine ordentlichere, schönere, moralische Welt.

Sherwood Anderson wuchs auf dem Land auf und war schon als Kind von Pferden begeistert; der Schriftsteller rückt sie ins ästhetische Zentrum der Erzählungen dieses Bandes. Was ihn fesselt, sind nicht die Ackergäule der heimischen Farmer, sondern rassige Rennpferde, die sich eine vornehme Unabhängigkeit der Instinkte bewahrt haben. Bei dem (im Titel suggerierten) Vergleich von Pferden und Männern schneiden die Tiere grundsätzlich besser ab - sie sind den Menschen sowohl in der Schönheit ihrer Bewegungen als auch in ihrem unzähmbaren Freiheitsdrang überlegen. Die typischen Protagonisten von "Pferde und Männer" sind Jugendliche und Schwarze; beide haben ein intuitives Verhältnis zu Pferden.

"Der Mann, der zur Frau wurde" zum Beispiel ist eine Geschichte, die den Kontrast von animalischer Unschuld und menschlicher Verkommenheit als Folie für ein Initiationserlebnis benutzt, in dem die körperlichen Bedürfnisse der Adoleszenz mit moralischen Normen in Konflikt geraten: Ein Pferdegerippe übernimmt dabei die Rolle eines gespenstischen Liebessymbols. In "Ungenutzt", "Ich bin ein Dummkopf" und "Ein Chicagoer Hamlet" geht es um junge Leute, die sich instinktiv gegen die widersprüchlichen Ansprüche ihrer Umgebung sträuben, von der sie in deformierende Isolation gedrängt werden. Jugendliche Verweigerung hatte schon Mark Twain in "Huckleberry Finn" zum Thema gemacht; Anderson benutzt die Perspektive Heranwachsender zu puritanisch-priesterlichen Aussagen über das Leben schlechthin. Das haben ihm seine Kritiker vorgeworfen; er wehrte sich mit dem Hinweis, nur ein reifer Schriftsteller könne unreife Menschen überzeugend porträtieren. Was heute eher irritiert, ist der dick aufgetragene Symbolismus dieses pathetischen Abgesangs auf das individualistische Amerika, die rhythmisierte, zu Wiederholungen neigende Prosa, deren forcierte Schlichtheit lähmende Züge annehmen kann; zum Glück wirkt Jürgen Dierkings Übersetzung solchen Tendenzen geschickt entgegen. HELMUT WINTER

Sherwood Anderson: "Pferde und Männer". Erzählungen, lange und kurze, aus dem amerikanischen Leben. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Dierking. Achilla Presse Verlagsbuchhandlung, Bremen 1996. 379 S., geb., 40,- DM.

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