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Irgendwo in der deutschen Provinz haben sich ein paar Lehrer einen Traum erfüllt und "ihr" Internat aufgebaut. Als sie den ehemaligen Schüler Jordan einstellen, sorgt der mit seiner Vorliebe für verschrobene Schüler und pädagogische Extratouren sofort für Unordnung. Eine Tragikomödie um Liebe, Macht und Macken, ein liebevolles Plädoyer für den Erhalt der menschlichen "Artenvielfalt". Virtuos und erfrischend schreibt Simone Borowiak mit jenem heißen Atem, der einen Text zur Literatur macht. Die Autorin besitzt die seltene Gabe, eine ernste Geschichte komisch und leicht zu erzählen.

Produktbeschreibung
Irgendwo in der deutschen Provinz haben sich ein paar Lehrer einen Traum erfüllt und "ihr" Internat aufgebaut. Als sie den ehemaligen Schüler Jordan einstellen, sorgt der mit seiner Vorliebe für verschrobene Schüler und pädagogische Extratouren sofort für Unordnung. Eine Tragikomödie um Liebe, Macht und Macken, ein liebevolles Plädoyer für den Erhalt der menschlichen "Artenvielfalt". Virtuos und erfrischend schreibt Simone Borowiak mit jenem heißen Atem, der einen Text zur Literatur macht. Die Autorin besitzt die seltene Gabe, eine ernste Geschichte komisch und leicht zu erzählen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.1999

Feuerzangenbowle auf Immenhof
Nervenprobe: Simone Borowiaks Schulroman "Pawlows Kinder"

An der Peripherie der deutschen Kleinstadt Haidenfeld liegt ein vierstöckiges Schloss. Nach ungewissen Vorleben birgt es jetzt ein zum Abitur führendes Internat, in dem selbst Schüler, die als hoffnungslose Fälle gelten, zwei Jahre später als Abiturienten zu den besten Hoffnungen berechtigen, dessen fidele Lehrer ihren Autos abwegig-beziehungsreiche Namen wie "Pol Pot" oder "Adolf" geben und in dem die Lehrer-Schüler-Dialoge von einer Geschliffenheit sind, dass sie jeder Fernsehseifenoper zur Ehre gereichen und selbst sehr ausgeschlafene Diskursteilnehmer als Schnarchsäcke dastehen lassen würden. Hauptfinanzier des ganzen Unternehmens ist ein Mann, der sich zwar darauf versteht, mit der Herstellung von Cocktailwürstchen eine Million nach der anderen zu verdienen, zugleich aber nicht bemerkt, dass ihm die Lenker des Internats diese Millionen postwendend für ihre Zwecke aus dem Kreuz leiern.

Es gibt also Anlass, sich dem Innenleben dieser Anstalt, unter der Hand auch "Institut für angewandte Sozialrache" genannt, literarisch zu widmen. Dass gerade Simone Borowiak diese Aufgabe geschultert hat, leuchtet nach Aktenlage ein. Schließlich hat sie 1992 mit ihrem Roman "Frau Rettich, die Czerni und ich" gezeigt, dass sie schwungvoll und welthaltig schreiben kann.

Ihr Hauptprotagonist ist Dr. Jordan, ein frisch examinierter Lehrer, der mit großem pädagogischen Aplomb an seiner ehemaligen Schule antritt, von seinen Ex-Lehrern mit großer Spannung erwartet. Helene Kaufmann etwa, die seine Mutter sein könnte - und sich streckenweise auch so gibt -, erinnert sich, dass "er in ihrem Unterricht äußerst fleißig und höflich war. Aber sie spürte ein Ungleichgewicht, eine Disharmonie, die sie interessierte." Die Manifestationen dieses Ungleichgewichts, etwa moralisch motivierte eruptive Attacken auf Stärkere, brachten ihm als Schüler den Spitznamen "Cromwell" ein. Cromwells Charles I im Lehrerzimmer ist jetzt Dr. Baumann, ein Ekel der Sonderklasse, dem an nichts so viel zu liegen scheint wie an der Demütigung seiner Mitmenschen, Schüler und Ehefrau eingeschlossen. Der Kampf mit ihm dauert fast zwei Jahre - Jordan setzt dabei auch schon mal die Vase im Zimmer des Direktors als Wurfgeschoss ein -, bis ihn bei einem gemeinsamen laienhaften Versuch, die Elektrik der Schule zu reparieren, der Gedanke anweht: "Niemand kann ein pur eindimensionales Arschloch sein."

Die mühsame Entdeckung solcher Mehrdimensionalität ist der Kern von Jordans pädagogischer Praxis: Mutwillig-ambitioniert hat er sich aus den Internatskandidaten eine siebenköpfige Truppe zusammengestellt, vor deren Teilmengen andere schon die Waffen strecken würden, und auch er ist kurz davor: "Als es auf Weihnachten zuging, war Cromwell am Ende seiner Weisheit, seiner Geduld und seiner Nerven." Es tun sich aber immer wieder Tankstellen auf, an denen frischer pädagogischer Eros zu zapfen ist, die Italien-Fahrt mit Kollegin Kaufmann etwa, auf der beide sich im Stil eines Roadmovie nach Süden treiben lassen. Die Distanz bleibt gewahrt: Man spricht sich weiter mit "Sie" an, schläft in Einzelzimmern, trifft sich aber schon mal zum Rotwein auf dem Balkon. "Sie kicherten in das Meer und die Nacht hinein", und danach geht's auch in der Schule wieder und wieder weiter, bis zum Abitur. Alle Kandidaten bekommen die Hochschulreife bestätigt, und "dann feierten sie die Aula in Grund und Boden". Das ist verständlich.

Zweifelhaft ist aber, ob die Aula überhaupt auf einem Fundament steht. Und das gilt für die ganze Geschichte. Sie soll, wenn der Rezensent das richtig begriffen hat, ein modernes Märchen sein und lehren, dass bei konsequenter Zuwendung zum Mitmenschen in diesem mehr zu sehen und zu entwickeln ist, als die oberflächliche Erfahrung vorschlägt. Das ist sympathisch, menschenfreundlich und als idyllische Kontrastfolie zur lehrplangestützten Zurichtung von jungen Menschen in Masseneinrichtungen nicht uninteressant. Aber in dieser Darreichungsform eher unbekömmlich. Cromwells Klasse besteht zu Beginn aus sieben heterogenen Charakteren mit stark zentrifugalen Tendenzen, die in zwei Jahren zu einem Verband werden, Borowiaks Geschichte aus ähnlich vielen Elementen, die konstant fremdelnd im Text herumstehen. Da leben die Schüler in einem Ambiente, das an Immenhof erinnert, und befinden sich nach kurzer Bahnfahrt in "Clockwork Orange". Jordan und Kollegin Kaufmann werden in Italien in eine länglich-possierliche Katzengeschichte à la "Nero Corleone" verwickelt, und wenig später entpuppt sich Jordan als vom Vater schwerst misshandeltes Kind, als sei er der Patientenkartei von Alice Miller entsprungen.

Da schwappt die Feuerzangenbowle über vor lauter Pennälerwitz, muss dann aber kurz ins Nebenzimmer, weil Trauerarbeit über den Tod eines der Internatsgründer zu leisten ist - lose Anfänge, lose Enden, nur der Würstchen produzierende Hauptsponsor des Unternehmens darf als tumber Dukatenesel und beliebig abwatschbare Knallcharge immer wieder seine Runden drehen. Mit anderen Worten: Kost für Pferdemägen.

BURKHARD SCHERER

Simone Borowiak: "Pawlows Kinder". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999. 260 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Man fragt sich, warum Alexandra M. Kedves das Buch überhaupt gelesen und dann auch noch besprochen hat. Außer ein paar witzigen Dialogen, von denen sie einige wiedergibt, hat ihr am Buch wenig gefallen: zu klischeehaft werden ihr Lehrer und Schüler in diesem Internatsroman dargestellt, zuviel „komische Käuze, Knallköpfe und Klassenkasper“ und ein „Haufen handelsüblicher Herzensgeschichten, erfüllende, unerfüllte, erlittene...“ stecken darin, meint sie. Und dass auch die heutzutage obligatorischen harten Themen der Jugendliteratur nicht fehlen dürfen, als da sind „Kindesmissbrauch“, „Jugendgewalt“ und „Heimsozialisation“ hat sie ebensowenig überzeugen können. Am Ende nichts als „ein, zwei flüchtige Lesestündchen im Märchenwunderland“, findet Kedves.

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