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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.12.2011

Was wirret dir?
Nein, es ist nicht leicht, den „Parzival“ des Wolfram von Eschenbach zu lesen, auch nicht in Peter Knechts überaus verlässlicher Übertragung in moderne deutsche Prosa. Das ist nicht nur so, weil es sich dabei um eine komplizierte Geschichte aus dem Mittelalter handelt, mit zwei Helden, denen die Wiederherstellung der höfischen Weltordnung aufgetragen ist. Der eine, Parzival, scheitert dabei immer wieder, und der andere, Gawan, macht zwar das Meiste richtig – aber es ist keineswegs so, dass damit eine Auflösung vorgezeichnet wäre. Minnedienst und Christentum stehen gegeneinander, die Religion und der kriegerische Adel. Und der Dichter mischt sich ein: dass es hier um nicht weniger als darum geht, die Grundlagen des christlichen Feudalismus poetisch zu entwerfen und zugleich in Frage zu stellen – das rückt dieses Werk weit über die naiven Vorstellungen zur mittelalterlichen Welt hinaus, von denen heute ein großer Teil der populären Kultur zehrt. Denn die Leser Dan Browns möchten an den leibhaftigen Gral glauben, andernfalls würden sie dessen konspirativen Realismus nicht teilen wollen. Während es für Wolfram von Eschenbachs Publikum, wie für den Dichter selber, ausgemacht war, dass der Gral seinen Ort nur in der Erinnerung an ein nie Gewesenes zu finden wäre.
Die dichterische Erfindung ist es, von deren Kraft der „Parzival“ Wolfram von Eschenbachs lebt. Und hier, an der Erfindung, setzt der Hamburger Maler Dieter Asmus mit einer Reihe von Bildern an, in denen er den vielen Illustrationen des Werkes, den mittelalterlichen und auch denen etwa von August Spiess im Schloss Neuschwanstein, eine eigene, gegenwärtige, aber figurative Interpretation zum „Parzival“ hinzufügt. Denn dieser Maler ist durch die Schule der Fotografie gegangen, er weiß, wie weit der Comic das Spiel mit den Perspektiven getrieben hat, und er hat, vermutlich, auch wahrgenommen, in welchem Maß die Sujets des Mittelalters in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten durch das Genre „Fantasy“ beansprucht wurde. Mit all diesen Erfahrungen im Kopf geht er hin – und versucht, Wolfram von Eschenbach und dessen höchster Errungenschaft, der sich reflektierten Erfindung, entgegenzutreten. Entstanden sind daraus achtzehn Illustrationen, in denen gleichsam das Wort „Bilderfindung“, in seinen beiden Teilen, auf die Spitze getrieben ist: in Bildern, die so wahrhaftig sind, dass sie sich ins Leben drängen, und doch so fiktiv, dass sie unmöglich zu dieser Welt gehören können.
THOMAS STEINFELD
WOLFRAM VON ESCHENBACH: Parzival. Mit 18 Bildern von Dieter Asmus. Reclam Verlag, Stuttgart 2011. 427 Seiten, 88 Euro.
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