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Robert Frank reiste im August 1992 zum Polarkreis. Er folgte der Einladung eines Freundes nach Pangnirtung, ein Dorf, in dem rund 1300 Inuit leben. Doch wie so oft zeigen Franks Fotografien nicht das Naheliegende: Auf den Bildern von dieser Reise ist kein einziger Mensch zu sehen. In einem herben und doch lyrischen Ton, der sich jedem Kitsch verweigert, zeigt Robert Frank den verlassenen Hafen, eine Kurzwarenhandlung, eine Telefonzelle, den Friedhof. Er beschreibt im Buch selbst, was er sah: 'Fertighäuser an der Hauptstraße von Pangnirtung. Hin und wieder ein geschmücktes Fenster -…mehr

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Produktbeschreibung
Robert Frank reiste im August 1992 zum Polarkreis. Er folgte der Einladung eines Freundes nach Pangnirtung, ein Dorf, in dem rund 1300 Inuit leben. Doch wie so oft zeigen Franks Fotografien nicht das Naheliegende: Auf den Bildern von dieser Reise ist kein einziger Mensch zu sehen. In einem herben und doch lyrischen Ton, der sich jedem Kitsch verweigert, zeigt Robert Frank den verlassenen Hafen, eine Kurzwarenhandlung, eine Telefonzelle, den Friedhof. Er beschreibt im Buch selbst, was er sah: 'Fertighäuser an der Hauptstraße von Pangnirtung. Hin und wieder ein geschmücktes Fenster - Spiegelungen innen und außen. Steine - vielleicht das Gegengewichtzum Himmel darüber.'
Autorenporträt
Frank, RobertRobert Frank, geboren 1924 in Zürich, ging 1947 in die Vereinigten Staaten. 1958 erschien sein Buch The Americans, ein bahnbrechendes Werk, das aus ganz neuer Perspektive auf die Amerikaner blickte und die Ästhetik des Fotobuchs revolutionierte. Weitere seiner Bücher sind Black White and Things und The Lines of My Hand. Zu seinen wichtigsten Filmen zählen Pull My Daisy und Cocksucker Blues. Franks Arbeiten werden weltweit ausgestellt. Robert Frank starb am 9. September 2019 im Alter von 94 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2011

Der Ort am Ende der Welt

Pangnirtung ist nicht sehenswert. Aber vielleicht ist Robert Frank genau deshalb dort gewesen.

Von Freddy Langer

Es ist keineswegs so, dass die Inuit, die Bewohner der Arktis, eine ausgeprägte Freude am Eis und an der Kälte haben. Sie wohnen einfach dort oben im Norden. Und wenn sich die Möglichkeit ergibt, in die Wärme zu entkommen, so wie damals, als der Besitzer des Supermarkts von Pangnirtung eine Pauschalreise nach Florida anbot, dann zögern die Familien, die das nötige Geld auf dem Konto haben, nicht lange - und buchen Sonne, Strand und Disneyworld inklusive eines Mietwagens für die Dauer des gesamten Aufenthalts.

Pangnirtung ist die zweitgrößte Siedlung auf Baffin Island, und Baffin Island ist die größte Insel Kanadas. Aber mit Ausnahme der spektakulären Natur ist hier alles klein und bescheiden: die Holzhäuser, in denen die Menschen wohnen, das Gebäude des Flughafens, dessen Start- und Landebahn den Ort in zwei Hälften zerschneidet, auch die Schotterpisten, die im Oval um das Flughafengelände führen und ansonsten in einem übertrieben komplizierten System aus beschilderten Vorfahrts- und Einbahnstraßen immer sehr schnell enden - mal an den Hängen der Berge, mal am Ufer des Meers und eine in der Einfahrt der Fischfabrik ein Stück außerhalb des Dorfs.

Auch der Verkehr in Pangnirtung ist eher bescheiden. Es gibt einige Quads, ein paar Geländewagen, zwei, drei Pick-up-Trucks, mit denen Güter vom Hafen und der Fischfabrik in den Ort gefahren werden oder umgekehrt. Das war es auch schon. Dennoch braucht, wer solch ein Auto steuert, einen kanadischen Führerschein. Und dieser wiederum war bis in die neunziger Jahre überall auf der Welt gültig - bis zu dem Tag, da jene Inuit-Familien, die im Supermarkt das Strand- und Sonnearrangement gebucht hatten, noch auf dem Gelände der Autovermietung in Florida eine Massenkarambolage verursachten, in deren Verlauf nicht nur sämtliche von ihnen gemietete, sondern auch etliche geparkte Wagen zu Bruch gingen. Seither gelten Führerscheine, die in Pangnirtung gemacht wurden, nur noch auf den Schotterstraßen Pangnirtungs.

Die Einwohner des kleinen Orts erzählen solche Geschichten gern. Dann lachen sie. Überhaupt lachen sie gern und viel, obwohl es dazu wenig Anlass gibt. Vielleicht kann man in der Unwirtlichkeit des hohen Nordens, auf der letzten bewohnten Insel vor dem Pol, anders gar nicht überleben.

Pangnirtung entstand erst in den sechziger Jahren. Als innerhalb von nur wenigen Monaten fast alle Schlittenhunde der Region der Staupe erlagen und die Inuit deshalb ihr nomadisches Leben aufgeben mussten, wurde aus einer kleinen Handelsniederlassung am Meer mit einer Reihe schnell aufgestellter Holzhäuser ein dauerhafter Wohnort. Durch Fernsehen, Supermärkte und eine regelmäßige Flugverbindung nach Iqaluit und von dort aus weiter nach ganz Nordamerika, fanden die zwölfhundert Bewohner rasch den Anschluss an die moderne Welt. Kaum einer von ihnen geht heute noch auf die Jagd. Die Jugendlichen kleiden sich wie die Stars der amerikanischen Rockmusikvideos. Entlang der Küste stapelt sich der Schrott alter Ölfässer, Motorschlitten und verrosteter Außenbordmotoren, was romantisierend als "Artijunk" bezeichnet wird. Plakate warnen vor Drogenmissbrauch und Aids, das in der Landessprache Inuktitut "anamaijautiqarunituq" heißt - übersetzt: "nicht mehr genügend gute Krieger im Leib, um böse Infektionen zu bekämpfen".

Nein, ein Idyll ist Pangnirtung wahrlich nicht. Aber Schönheit, Wärme, Geborgenheit waren noch nie die Sache von Robert Frank, dem Fotografen, der Ende der fünfziger Jahre mit seinem Buch "Die Amerikaner" erheblich am strahlenden Selbstbild der Vereinigten Staaten gekratzt hat und Anfang der Siebziger mit "Lines of my Hand" bis an den Rand der Selbstzerfleischung in die Abgründe der eigenen Seele getaucht ist. In seinem OEuvre ballen sich beklemmende Momente des Alltags, wie man es sonst allenfalls von Reportagen aus Krisengebieten gewohnt ist. Und jetzt veröffentlicht er, der so selten mit neuen Arbeiten in Erscheinung tritt, ausgerechnet ein Buch über Pangnirtung.

Es ist ein dünner Band mit nur einer Handvoll Schwarzweißfotografien. Keineswegs ein Stadtporträt, eher die Bestandsaufnahme jener Motive, in denen die Tristesse der Arktis mit den Selbstzweifeln des vielleicht größten Fotokünstlers der Gegenwart zur Deckung kommen. Grau und düster und schwer liegen bei Frank die Wolken über dem Fjord. Abweisend schwarz ragen die Berge steil wie eine Mauer aus dem Meer. Vom Flughafen zeigt Frank nur die riesigen Stapel von Steinen, die, in Maschendraht gebunden, zu einer unüberwindbaren Wand aufgeschichtet sind. Und die Fassaden der Holzhäuser sehen bei ihm aus wie Gesichter, deren Fenster wie Augen trostlos ins Nichts starren. Dass hinter manchen Scheiben als Dekoration der Kopf eines Tigers auftaucht oder das stilisierte Gesicht eines Polarfuchses, ändert nichts an der Trostlosigkeit, sondern verstärkt sie eher noch. Und nirgendwo ein Mensch. Nirgendwo ein Auto. Nur die Reifenspuren im Schlamm der Hauptstraße erzählen vom Leben zwischen Lagerhallen aus Fertigteilen. Ansonsten ist der Ort tot. Konsequent endet das Buch dort, wo auch eine der Straßen endet: am Friedhof. Unter blendend weißen Holzkreuzen setzen dort Plastikblumen der heimischen Fauna aus Flechten und Moos die Erinnerung an frohe Natur entgegen.

Robert Franks "Pangnirtung" ist ein ebenso grandioses wie wichtiges Buch. Den kaum noch überschaubaren Stapeln romantisierender Polarbildbände setzt es ein Gefühl ebenjener Tristesse entgegen, von der die Regionen entlang des Polarkreises allesamt geprägt sind. Dabei mag sein Bildband als Reaktion auf jene bunten Hochglanzprodukte aufgelegt worden sein - seine Arbeit hingegen ist es nicht. Denn es ist fast zwanzig Jahre her, dass Frank auf Baffin Island war.

Ein Freund hatte ihn eingeladen, fünf Tage hat er dort verbracht. Vertraut man der Bildauswahl, hat er den Ort nicht verlassen. Oder es hat, was er in der spektakulären Wildnis sah, nicht in das Konzept seiner Arbeit gepasst. So bleibt der Auyuittuq National Park ausgespart. Anderthalb Tage zu Fuß oder eine Stunde mit dem Boot von Pangnirtung entfernt liegt der Eingang zu einer wilden, zerfetzten Landschaft, aus der sich die höchste Granitwand der Welt erhebt und in der Gletscher der letzten Eiszeit bis heute ganze Gebirge unter sich begraben. Es ist eine einzigartige Szenerie, von deren Schönheit man eine Zeit lang glaubte, dass sie zum Motor für einen bescheidenen Tourismus in der Region werden könnte. Aber die Landschaft ist zu rauh, nicht wild-romantisch, sondern einfach nur wild, als dass sie sich als Urlaubsziel vermarkten ließe.

Wer sie besuchen will, ist auf sich gestellt. Man muss alles mitbringen, nicht nur Zelt und Schlafsack, auch jeden Teebeutel und jede Tüte mit Nudeln, Müsli, das man mit dem frischen Wasser wilder Bäche aufkocht, deshalb natürlich wiederum einen Kocher und Benzin, Töpfe, Teller und Besteck, und so füllt sich der Rucksack, bis man unter der Last zusammenzuklappen meint, denn der Vorrat muss für ein, zwei Wochen reichen. So lange dauert es, den Akasayook-Pass hinaufzugehen und auf der anderen Seite wieder hinunter - oder auf demselben Weg zurück, durch ein Tal, das gesäumt ist von Felsen und Bergen, die aussehen wie die Fieberkurve eines Kranken mit Malariaschüben. Mehr gibt es nicht als diese brutale Welt aus purer Materie. Stünden nicht die Inukshuks entlang der Trampelpfade, kleine Männchen, aus Felsbrocken zusammengesetzt, deren Arme in die Weite zeigen, die aber die Richtung erst angeben, indem man zwischen ihren Beinen hindurchschaut, gebe es diese Inukshuks nicht - man glaubte, nie zuvor sei ein Mensch in dieser Gegend gewesen. Kein Laden, kein Lokal, keine Herberge. Nur gleißendes Eis, zahllose Gletscherbäche und Steine.

Das Geröll prägt auch Pangnirtung. Bergeweise liegt es am Stadtrand, von Baggern dorthin geräumt, als die Siedlung errichtet wurde. Dennoch liegen auch dort überall noch Steine herum, am Straßenrand, vor den Haustüren, auf den Gräbern - es sind so viele, dass Robert Frank von ihnen sagte, sie seien vielleicht "das Gegengewicht zum Himmel darüber".

Viel mehr sagt er nicht zu seinem Aufenthalt. Sein Vorwort beschränkt sich auf zehn Zeilen, die der Lyrik näher sind als Prosa und in denen er die Vokabeln Inuktitut, Inuk und Inuit erklärt - gestaltet wie in einem Bild mit Buchstaben, wie Literal Art. Mag sein, dass sich hinter dieser sorgfältigen Anordnung die Hoffnung verbirgt, im Chaos des hohen Nordens doch ein Moment von Ordnung finden zu können, ein System, das Halt gibt in diesem grausamen Landstrich am Ende der Welt.

"Pangnirtung" von Robert Frank. Steidl Verlag, Göttingen 2011. 40 Seiten, 27 Schwarzweißfotos, eine Karte. Gebunden, 25 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2011

Am Polarkreis der Seele: Robert Franks Fotografien der Ortschaft Pangnirtung
Wenn er nicht so schön wäre, wäre der dünne Band eigentlich zu traurig. Denn auf den Fotografien von Altmeister Robert Frank ist nichts, woran sich das Gemüt auch nur ein klein wenig erheitern könnte: Leergefegte Landschaften, deren Horizont so unerbittlich in den Nebel abdriftet, als würde da jemand ganz langsam den Lautstärkeregler stumm drehen. Verirren sich tatsächlich mal Zeichen menschlichen Lebens in die steinige Einöde am Wasser, dann als strahlend weiße Totenkreuze, geschlossene Häuserfassaden oder – höchstens – in der kleinen schwarzen Figur, die am langen Seil das einzige Bötchen im Hafen einholt. Die Schwarzweißbilder wirkenwie die Sehnsuchtsszenarien von Caspar David Friedrich, über die Kleist einmal urteilte, sie zu betrachten, das sei „als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären“.
Wohin der 1924 in der Schweiz geborene Frank uns überhaupt führt, verrät er erst in der Mitte des Büchleins (Pangnirtung, Steidl Verlag, Göttingen 2011, 40 Seiten, 25 Euro): 1992 hat er der Ortschaft Pangnirtung am Polarkreis, eine Stunde Flugzeit von Iqaluit entfernt, einen Besuch abgestattet. Es ist ein 1300 Seelendorf auf der kanadischen Baffininsel. Von den Inuits, die dort hauptsächlich leben, ist auf Franks Fotos nichts zu sehen. Lieber verwandelt einer der größten amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts die Landschaft und das Meerin ein Spiegelbild der Seele. Es lässt sehr dunkel blicken.
LAURA WEISSMÜLLER
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