Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 14,00 €
  • Gebundenes Buch

Produktdetails
  • Donauschwäbisches Archiv
  • Verlag: Universitas Verlag
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 990
  • Deutsch
  • Abmessung: 250mm
  • Gewicht: 1722g
  • ISBN-13: 9783800412709
  • ISBN-10: 3800412705
  • Artikelnr.: 04606201
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.1996

"Einmal muß für alle Zeiten Schluß sein"
Eine Dokumentation über die Vertreibung und Vernichtung der Jugoslawiendeutschen

Donauschwäbische Kulturstiftung (Herausgeber): Weißbuch der Deutschen aus Jugoslawien - Band III. Erschießungen, Vernichtungslager, Kinderschicksale 1944-1948. Eingeleitet und bearbeitet von Georg Wildmann unter Mitarbeit von Leopold Barwich, Ernst Lung, Hans Sonnleitner, Georg Tscherny, Käthe Tscherny und Karl Weber. Universitas Verlag, München 1995. 992 Seiten, 68,- Mark.

Bereits wenige Jahre nach Kriegsende begann die Bundesregierung mit der Herausgabe einer großangelegten "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa". Die verantwortlichen Geschichtswissenschaftler, Theodor Schieder und seine Mitarbeiter, verfolgten damit das selbstgesetzte Ziel eines "geläuterten Bildes der Wirklichkeit" - Historisierung, würden wir heute sagen. Der fünfte und letzte Band erschien 1961 und handelt vom "Schicksal der Deutschen in Jugoslawien", die umsichtige, 260 Seiten lange Einleitung hatte Hans-Ulrich Wehler verfaßt. (Etwas gekürzt und leicht ins Linksliberale nachgetönt, veröffentlichte er sie 1980 abermals unter dem zuviel versprechenden Haupttitel "Nationalitätenpolitik in Jugoslawien".)

Wegen des Fehlens oder der Unerreichbarkeit von Verwaltungsakten wurden fast ausschließlich Erinnerungsberichte der Opfer in die Dokumentation aufgenommen, die zuvor sorgfältig hinsichtlich ihrer Genauigkeit und Glaubwürdigkeit überprüft worden waren. So entstand, lange vor aller deutschen Forschung zum Mord an den europäischen Juden, ein beeindruckendes Gesamtwerk über den Leidensweg der Heimatvertriebenen. Für den Holocaust ist eine ähnlich systematische Quellenedition bis zum heutigen Tag weder begonnen worden noch geplant. Wann werden sie entstehen, die Monumenta persecutionis Judaeorum Germanicae?

Wie Schieder versammeln auch die Bearbeiter des neu erschienenen Weißbuchs das nüchterne Memento der Entronnenen. Sie erzählen aus ihrer je individuellen Sicht. Selten geht es dabei um größere historische Zusammenhänge - aber es gibt sie. "Auch in der Entlausung habe ich gearbeitet", berichtet eine Frau, die ein jugoslawisches "Lager mit Sonderstatus" überlebte: "Die Leute, die entlaust wurden, hatten Angst vor dieser Prozedur und fingen an zu heulen, als wenn ihre letzte Stunde gekommen wäre. Sie hatten alle von den Vergasungen der Juden gehört und gedacht, jetzt wären sie dran." Wenn es für sie existentiell darauf ankam, wußten die Deutschen, was sie sonst verdrängten. Über die ",Liquidierung' aller deutschstämmigen männlichen Personen" auf dem römisch-katholischen Friedhof von Pantschowa schreibt ein seinerzeit Elfjähriger, er sei nach einigen Stunden zu dem noch offenen Massengrab geschlichen: "In diesem Augenblick erinnerte ich mich an das Jahr 1941, als unweit dieser Stelle an der serbischen Friedhofsmauer ebenfalls Menschen erschossen und andere im Inneren des Friedhofs von der deutschen Besatzungsmacht erhängt worden waren" - darunter ein 14 Jahre alter Junge.

1941 lebten rund eine halbe Million Deutschstämmige in Jugoslawien, viele flohen im letzten Moment. Von den 200000, die Ende 1944 von der rasch durchziehenden Roten Armee überrollt wurden und dann unter die Herrschaft der Partisanen gerieten, kamen in den folgenden vier Jahren 65000 um, etwa ebenso viele wurden von 1946 an über die grüne Grenze abgeschoben, die anderen, die teils in gemischtnationalen Ehen lebten, blieben - jedenfalls zunächst. Karl Weber bestimmt die Zahl der Toten nicht mit Hilfe fragwürdiger demographischer Gesamtrechnungen (wie es einige Wortführer der Sudetendeutschen weit übertreibend bis heute tun), vielmehr stellte er in jahrelanger Arbeit Gemeinde für Gemeinde fest, wann wer aus welchem Grund gewaltsam starb. Das Ergebnis überzeugt. Es liegt etwas niedriger als die (damit im wesentlichen bestätigte) frühe Schätzung Wehlers, widerlegt lange verteidigte, mehr als doppelt so hohe Pauschalzahlen und relativiert doch nichts an der offenkundigen Tatsache des Völkermords: "Einmal muß für alle Zeiten Schluß sein", hatte Tito im Hinblick auf die deutsche Minderheit bemerkt, als seine Partisanen in deren Wohngebiete einmarschierten.

Unter den Landsmannschaften der Vertriebenen gehören die Jugoslawiendeutschen - die Donauschwaben - zu den leisen, obwohl viele von ihnen die mit Abstand härteste Verfolgungszeit durchgemacht haben. Sie stammen überwiegend aus dem Banat, aus der Batschka, aus Syrmien und Slawonien. Im Artikel XIII des Potsdamer Abkommens, der die Vertreibung der Deutschen verfügte, wurde Jugoslawien nicht genannt, was keinen Vorzug bedeutete, sondern eine vielleicht gewollte Nichtverantwortung der alliierten Siegermächte: das Laisser-faire der Grausamkeit.

Nach dem Abzug der deutschen Truppen und der Wiederinbesitznahme des Landes durch die Partisanen Titos folgten im Herbst 1944 die Tage systematischer Exekutionen: "Am 20. Oktober gingen die Partisanen von Haus zu Haus und fingen alle Männer - vom 14jährigen Jungen bis zum 70jährigen - zusammen", fesselten und folterten sie. Dann kamen andere "mit Wagen angefahren, mit aufgerollten Ärmeln, Hände, Gesicht und Kleider mit Blut beschmiert, und führten diese Männer in den Wald bei Bawanischte, wo sie nochmals verprügelt und dann erschossen wurden".

An anderen Orten wurden die Männer im Zeichen der "Aktion Intelligenzija" selektiert. Die Kommandoführer erfragten bei den einheimischen Serben die deutschen "Bauern mit mehr als 20 Joch Feld, die Gewerbetreibenden, Kaufleute und Weitergeschulten" oder gingen schlicht nach dem Aussehen der Kleidung vor. Kleinbauern und Tagelöhner ließen sie frei, die anderen mußten ihr Grab schaufeln, unter ihnen ein 13 Jahre alter Bub, der sich von seinem Vater nicht losreißen ließ. "Schießt auch diesen Fratz nieder", befahl die Kommandoführerin, "das Böse muß mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden!" Der Blutrausch brachte auch hier jenen Überlebenden hervor, der nackt aus dem Massengrab kroch, Hilfe fand und floh.

Den Tagen des Schreckens folgte die völlige Enteignung. Schon vor dem Sieg waren die 637000 Hektar Land der Deutschen als hauptsächliche Verfügungsmasse für die kommunistische Landreform eingeplant worden, die dann serbischen Neusiedlern aus den Armutsregionen der Berge zugute kam. Für die Deutschen bedeutete das Zwangsarbeit, Haft und Hunger. Beispielsweise starben im Lager Rudolfsgnad (Knicanin) im Winter 1945/46 bis zu 90 Menschen täglich, insgesamt 11000 der 33000 Insassen. Nicht nur aus einem Zwangsarbeitslager wird berichtet, daß nach der Logik "Es gibt nur Gesunde oder Tote" verfahren wurde: "Alle paar Tage wurden Kranke vom ,Doktor' - so nannte man einen Partisanen von 22 Jahren - nachts etwa 100 Meter vom Lagereingang weggeführt, erschossen und verscharrt." Raubgier stand neben selbstverständlicher Hilfsbereitschaft. "Hatte jemand Goldzähne und Goldplomben, dann wurden sie" - bei lebendigem Leib - "brutal herausgeschlagen", so beschreibt ein Zeuge, der 1931 geboren wurde, die Eroberung seiner Heimatstadt Kovin. Als er sich 1946 halb verhungert zum Betteln durch den Stacheldraht schlich, klopfte er "wie von einer magischen Hand geführt" an einer Türe: "Die Serben waren so gut zu mir, sie trösteten mich und sagten: ,Iß nur! Du bekommst auch noch etwas mit für ins Lager.'"

An die 13000 Männer und Frauen wurden im Winter 1944/45 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, die große Mehrheit überlebte und wurde bis 1949 in aller Regel nach Deutschland transportiert. Zu den düstersten Abschnitten des Bandes gehören die Berichte über die Zwangsslawisierung und Indoktrinierung einiger tausend elternloser Kinder in jugoslawischen Heimen ("Tito ist euer Vater, der Staat eure Mutter!"). Die meisten wurden auf internationalen Druck bis 1959 in die Bundesrepublik und die DDR entlassen. Eine dieser Umvolkungs- und Umerziehungsstätten befand sich in Gorazde, wo das folgende "Spiel" gepflegt wurde: "Die Kinder mußten im Kreis, in dessen Mitte eine ausgestopfte menschliche Figur stand, laufen, und jedesmal, wenn der Name eines Kindes aufgerufen wurde, mußte dieses mit einem Messer der in der Kreismitte stehenden Figur (Feind!) einen Stich versetzen."

Die Vertreibung steht in einem unbestreitbaren, allerdings nicht monokausalen Zusammenhang mit den vorangegangenen deutschen Verbrechen. Daran hatten sich, freiwillig oder rekrutiert, auch Zehntausende donauschwäbische Männer als Wehrmachtssoldaten und als Angehörige der SS-Division "Prinz Eugen" beteiligt. Während Wehler daraus - allerdings erst in der Ausgabe von 1980 - "einen durchaus verständlichen Gegenschlag gegen alles Deutsche" ableitete, sind die einführenden Bemerkungen der Autoren des Weißbuchs auf entgegengesetzte Weise fragwürdig: "Gefangene Freischärler durften also nach geltendem Völkerrecht hingerichtet werden" ist fast alles, was ihnen zum deutschen Terrorregime in Jugoslawien einfällt.

Die Vorgeschichte erklärt vieles, sie rechtfertigt wenig. Auch bedeutet die rückschauende Einordnung kaum etwas für den einzelnen, der allein aufgrund des kollektiven Merkmals "Muttersprache" zu den "Hitlerovci" gezählt wurde, der über Nacht verlor, was Generationen geschaffen hatten, der Todesangst und Verzweiflung durchlitt, der sah, wie seine engsten Angehörigen, Freunde und Nachbarn gequält und erschlagen wurden.

Seit jenen Geschehnissen ist bald ein halbes Jahrhundert vergangen, und doch zwingt die Lektüre des Weißbuchs den Blick auf die Bilder der Gegenwart: gesprengte Kirchen und Moscheen, Trecks und ausgezehrte Gefangene, beutebepackte Marodeure, vergewaltigte Frauen und frische Massengräber. Während die tschechoslowakische Regierung für Exzeßtaten, die während der Vertreibung begangen worden waren, früh eine Amnestie erließ und sie damit wenigstens indirekt als Straftatbestände qualifizierte, während in Prag spätestens seit den sechziger Jahren eine wenn auch minoritäre selbstkritische Rückbesinnung auf den "Odsun" begann, geschah in Jugoslawien nichts Vergleichbares. Ohne jede Einschränkung wurden die damals jungen Partisanen und Partisaninnen als Vorbilder geehrt, die unter der Parole "Tod dem Faschismus - Freiheit dem Volke!" gekämpft hatten. Niemand konfrontierte sie mit der möglichen Ahndung ihrer Schuld oder wenigstens mit der öffentlichen Frage nach einem Fehlverhalten. Die Staatsdoktrin besagte, daß es im Kampf gegen den Feind keine Verbrechen gebe, und schuf so eine der Voraussetzungen für den späteren Bürgerkrieg. GÖTZ ALY

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr