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Der Band vereinigt die beiden kulturhistorischen Essays »Albigenser, Inquisitoren und Troubadoure« sowie »Verteidigung der Templer«. »Unter der Hand und zwischen den Zeilen entsteht das gewaltige Tableau einer apokryphen Wanderbewegung durch die Geschichte, die immer aufs neue niedergemacht wird und doch unaufhaltsam vorwärtsziehend der Macht die Stirn bietet und die Machtgeschichte überholt. Die Ketzer sind wie jene missliebigen Engel, die bei Nacht und Nebel die armen Sünder in den Himmel schmuggeln, Zbigniew Herberts Helden - und unsere längst auch.« Sibylle Cramer, Süddeutsche Zeitung

Produktbeschreibung
Der Band vereinigt die beiden kulturhistorischen Essays »Albigenser, Inquisitoren und Troubadoure« sowie »Verteidigung der Templer«.
»Unter der Hand und zwischen den Zeilen entsteht das gewaltige Tableau einer apokryphen Wanderbewegung durch die Geschichte, die immer aufs neue niedergemacht wird und doch unaufhaltsam vorwärtsziehend der Macht die Stirn bietet und die Machtgeschichte überholt. Die Ketzer sind wie jene missliebigen Engel, die bei Nacht und Nebel die armen Sünder in den Himmel schmuggeln, Zbigniew Herberts Helden - und unsere längst auch.« Sibylle Cramer, Süddeutsche Zeitung
Autorenporträt
Herbert, ZbigniewZbigniew Herbert, geboren 1924 in Lemberg, erlebte als Schüler die sowjetische, dann die deutsche Okkupation und schloss sich 1943 dem polnischen Widerstand an. Seit 1956 veröffentlichte er Gedichte und Essays. Jahrelang bereiste er Italien, Frankreich und Griechenland. Herbert, der 1998 in Warschau starb, zählt zu den großen europäischen Dichtern des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.1997

Die alte Schlacht noch einmal
Ehrenwert, aber viel zu spät: Zwei Essays von Zbginiew Herbert

Wenn der Suhrkamp Verlag nun zwei ältere Essays von Zbginiew Herbert aus der Sammlung "Ein Barbar in einem Garten", von denen einer bereits 1973 auf deutsch erschienen ist, wieder auflegt, sollte das gute Gründe haben. "Opfer der Könige" vereinigt zwei Texte über das Mittelalter, eine Epoche, die seit der Abfassung überraschend modern geworden ist. Nach Herberts erhellenden kulturgeschichtlichen Notizen zu den alten Niederlanden ("Stillleben mit Kandare") haben seine Leser nun also erneut Gelegenheit, den Dichter als Historiker kennenzulernen. Die Begegnung ist eine Enttäuschung.

Im ersten Essay "Verteidigung der Templer" streitet Herbert für das Andenken des Ritterordens, der 1307 vom französischen König Philipp, genannt "der Schöne", aufgehoben wurde. Den Tempelrittern, die während der Kreuzzüge ungeheuer reich geworden waren, wurden vom geldgierigen König absurde Vorwürfe der Ketzerei und der Staatsverschwörung gemacht. Ihr Großmeister Jacques de Molay endete nach einem entwürdigenden Prozeß 1312 in Paris auf dem Scheiterhaufen. Seither liegt über der so schmählich zugrundegangenen Gemeinschaft eine Legende, haben sich bis heute esoterische Bünde und mysteriöse Überlieferungen an ihr Schicksal geknüpft. Umberto Eco spielt im "Foucaultschen Pendel" virtuos mit solchen Mittelalter-Deutungen.

Zbginiew Herberts Motiv, sich der Sache anzunehmen, war ein anderes, hinterlistiges: Der brutale Schauprozeß, den König Philipp gegen die mißliebige politische Konkurrenz abhielt, erinnert fatal an stalinistische Säuberungsaktionen. Für findige Historiker und Dichter im kommunistischen Machtbereich bot der Verweis auf das vermeintlich finstere Mittelalter die ideale Möglichkeit, sich linientreu über die Monstrositäten des Feudalzeitalters und der katholischen Observanz zu empören und doch eigentlich die herrschende, alleinseligmachende Orthodoxie zu meinen. Wo Rom als finstere Ordnungsmacht beschrieben wurde, war Moskau gemeint.

Michail Bachtin hat mit seinem Rabelais-Buch die ergiebigste dieser verkappten Systemkritiken abgeliefert: Das Lachen im Zeitalter der Glaubenskriege stellte der sibirische Linguist dem humorlosen Terror Stalins entgegen. Aber auch Andrzej Szczypiorskis "Messe für die Stadt Arras" griff sich einen spätmittelalterlichen Aufstand heraus, um das metahistorische Wirken von Inquisitoren und die ewige Wiederkehr von Pogromen ungeniert anprangern zu können.

Der junge Herbert arbeitete nach demselben Rezept. Noch deutlicher als bei der Verteidigung der Templer wird seine Botschaft bei der Erzählung vom Albigenserkreuzzug. Die Ausrottung einer konkurrierenden Religionsgemeinschaft im Süden Frankreichs durch einen systematischen Vernichtungsangriff von nordfranzösischer Aristokratie und Papsttum zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts bedeutet für Herbert "eine Katastrophe derselben Größenordnung wie die Vernichtung der kretischen Zivilisation oder der Mayas". Mit dieser Einschätzung liegt er durchaus richtig.

Auch seine Beschreibung, wie ein blühender Landstrich von einer entschlossenen Macht mit Hilfe von Denunziation, Folter, Soldateska zugrunde gerichtet werden kann, mußte für viele Polen, die die deutsche Barbarei überlebt hatten und nun unter der russischen litten, eine schmerzliche Lektüre bedeuten. Unter Gomulka und Gierek war für einen Autor die deutliche Verachtung für dergleichen Repression, das Offenlegen der inneren Struktur einer Diktatur gewiß das Äußerste, für das man eine Druckgenehmigung bekam. Herbert wagte frech eine Anspielung auf die Gegenwart: "Die Geschichte (nicht nur die mittelalterliche) lehrt, daß ein Polizeimethoden unterworfenes Volk sich demoralisiert, innerlich mürbe wird und die Fähigkeit zum Widerstand verliert."

Eines der wenigen Wunder der trüben Geschichte unseres Jahrhunderts besteht darin, daß den Polen gerade das nicht passierte, sondern daß sie über Jahrzehnte die Kraft zum Widerstand aufbrachten und sich schließlich heldenhaft befreien konnten. Herberts Erzählungen von den vernichteten Templern und Albigensern müssen wir also als Varianten des ewigen polnischen Mythos von den edlen Verlierern lesen. In der Literatur sollte - wie beim Nationaldichter Adam Mickiewicz - die unterlegene bessere Sache nachträglich siegen. Herbert folgert trotzig und nicht gerade linientreu marxistisch: "In der Geschichte schließt nichts endgültig."

In der Wissenschaft aber leider auch nicht. Deshalb ist über die historischen Beschreibungen, wenn sie auch manchmal mit hübschen poetischen Metaphern gespickt sind, die Forschung hinweggegangen. Was sollen wir etwa mit Herberts Versuchen anfangen, die Templer gegen mögliche Vorwürfe der Ketzerei akribisch in Schutz zu nehmen? Mögen sie doch den Teufel - in welcher Gestalt auch immer - angebetet haben, das ist für ihre Rechtfertigung gar nicht die Frage. Auch, ob ihre Oberen nun unbestechlich, idealistisch oder verworfene Dunkelmänner waren, tut nichts zur Sache. Herbert verherrlicht gegen jede historische Evidenz das multikulturelle Zusammenleben der Tempelritter mit Juden und Muslimen in Palästina. In Wahrheit aber geht es bei ihrer Ausrottung um die Genese der Nationalstaates mit Steuereinzug, königlichem Machtmonopol, gefördertem kapitalistischem Bürgertum und politischer Propaganda, wie sie das Frankreich Philipps und seines Chefideologen Nogaret um 1300 durchzusetzen begann.

Herberts eifrige Bemühungen, die Ketzereivorwürfe, die ja schon die Zeitgenossen als völlig zynisch durchschauten, Punkt für Punkt zu entkräften, gehen an der Sache vorbei. Hinzu kommt seine naive abendländische Perspektive, etwa was die Kreuzzüge angeht, die er offenbar tatsächlich als wünschenswerte Rückeroberung des "Heiligen Grabes" betrachtet und nicht als blutige mentale Verirrung mit erfreulichen ökonomischen Nebenwirkungen. In der Albigensergeschichte wird deutlicher, was für eine kulturelle Zeitbombe das expansive, barbarische Europa des Jahres 1200 war: hungrig nach internen und externen Beutezügen, ohne Reflexion und Skrupel und doch begierig, die technischen Errungenschaften der überlegenen Nachbarn Byzanz und Islam für die eigenen Verbrechen nutzbar zu machen. Mit nachträglicher Moral ist dieser welthistorische Prozeß nicht zu beschreiben.

Doch an kultursoziologischen Einbettungen konnte Herbert, der beim Schreiben die Sowjets im Hinterkopf hatte und schließlich denn auch ein großartiger Lyriker und kein Historiker werden sollte, nicht gelegen sein. Er schlachtete damals schon veraltete französische Historiker für einen Nadelstich gegen den Kommunismus aus. Wer eine dichte Beschreibung der Katharerkultur und ihrer Vernichtung sucht, sollte immer noch zu Arno Borsts unüberholbarem Standardwerk greifen; die Ausrottung der Templer findet sich besser in jeder französischen Geschichte. Herberts sehr polnische Rechtfertigung mittelalterlicher Verliererkulturen hätte der Verlag allerdings retten können, wenn jemand der jetzigen Leserschaft die Entstehungsgeschichte der Texte erklärt und von den verborgenen historischen Parallelen erzählt hätte. So kommt das Buch mit einem hübschen Siegel und einer Miniatur auf dem Einband daher wie ein spannender mediävistischer Traktat auf der Höhe unseres Wissens. Das aber ist er nicht. DIRK SCHÜMER

Zbginiew Herbert: "Opfer der Könige". Zwei Essays. Aus dem Polnischen übersetzt von Klaus Staemmler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 114 S., geb., 34,- DM.

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