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Der Wunsch nach einer Korrektur und Verbesserung der menschlichen Natur ist so alt wie die Menschheit selbst. Doch heute stehen für derart tief greifende "Umbauarbeiten" immer perfektere medizinische Technologien zur Verfügung: Schönheitschirurgie, Lifestyle-Psychopharmaka, "Hirnschrittmacher", Gen-Doping. Im Zuge dieser nicht-krankheitsbezogenen Manipulationen wird aus dem Patientenkörper zunehmend eine Baustelle, die aus philosophischer, kulturwissenschaftlicher, medizinethischer und psychologischer Sicht bislang nicht hinreichend inspiziert worden ist. Wo liegen die Grenzen zwischen…mehr

Produktbeschreibung
Der Wunsch nach einer Korrektur und Verbesserung der menschlichen Natur ist so alt wie die Menschheit selbst. Doch heute stehen für derart tief greifende "Umbauarbeiten" immer perfektere medizinische Technologien zur Verfügung: Schönheitschirurgie, Lifestyle-Psychopharmaka, "Hirnschrittmacher", Gen-Doping. Im Zuge dieser nicht-krankheitsbezogenen Manipulationen wird aus dem Patientenkörper zunehmend eine Baustelle, die aus philosophischer, kulturwissenschaftlicher, medizinethischer und psychologischer Sicht bislang nicht hinreichend inspiziert worden ist. Wo liegen die Grenzen zwischen kreativer Selbstgestaltung und autoaggressiver Selbstverstümmelung, zwischen Selbstverwirklichung und Anpassung, zwischen einer Befreiung von den Fesseln der Natur und der Hybris "transhumaner Expansion"? Mit Beiträgen u.a. von Kurt Bayertz, Matthias Kettner, Kurt W. Schmidt, Julia Schoch, Bettina Schöne-Seifert und Ludwig Siep.
Autorenporträt
Johann S. Ach (Dr. phil.) ist Geschäftsführer des Centrums für Bioethik der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind Angewandte Ethik, Biomedizinische Ethik und Tierethik. Arnd Pollmann (Prof. Dr. phil.) lehrt und forscht auf den Gebieten der Politischen Philosophie, insbesondere der Menschenrechte, der Sozialphilosophie, der Ethik und der Moralphilosophie. Er ist Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin und u.a. leitender Redakteur des philosophischen Online-Magazins www.slippery-slopes.de.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2006

Körper, hört die Signale
Warum soll ein freier Mensch seinen Körper akzeptieren, wie er ist? Neues vom Transhumanismus
Sind wir Zeugen einer Revolution und erleben von der neuen Welt nur den Umsturz der alten? Zu einer solchen Einschätzung könnte gelangen, wer dieses vielschichtige, tiefsinnige Buch liest. Von Gefahren und Bedrohungen ist die Rede, die der Mensch sich geschaffen habe und derer er nicht Herr werde. Der Mensch, losgekettet von Religion und Humanismus, sei sein eigenes Projekt geworden, der Körper seine einzige Utopie. Nicht dem Sonnenstaat, sondern dem Astralkörper gelte die Sehnsucht; nicht Gedanken schaffen heute eine neue Welt, sondern Pharmazie und Chirurgie einen fortwährend sich erneuernden, in der Erneuerung sich zerstörenden Leib. Doch plötzlich steht da auch der Satz, anders könne, anders solle es nicht sein. Die Moderne sei genau jene Epoche, in der die Freiheit eine Freiheit zur Selbstschöpfung sei. Ist die Erschütterung unbegründet, treten wir in wahrhaft moderne Zeiten, Chemie und Skalpell sei Dank?
Daran mag man kaum glauben, sind die Beispiele der „Baumaßnahmen am menschlichen Körper” doch eher abschreckend als Respekt gebietend. Der Transhumanismus, jener von dem Biologen Julian Huxley 1957 begründete Denkversuch, scheint von Lippen-OP zu Lippen-OP, von Gentherapie zu kosmetischer Psychopharmakologie gewaltiger zu triumphieren. Huxleys Adepten wollen „die Technologie zur Erweiterung der psychischen und physischen Kapazitäten einsetzen. (. . .) Sogar die ehemals exklusiven Paukenschläge der Kirchen wie Unsterblichkeit, ständige Glückseligkeit und göttliche Intelligenz werden von uns Transhumanisten als hypothetische technische Leistungen diskutiert.”
Vereint in Schock und Ekel
Als Frontalangriff auf die vertrauten Konzepte von Menschlichkeit und Bildung deutet man den Transhumanismus nicht falsch. Die Mühsal der pädagogischen Ebene, das Lehren und Erklären und Begreifen, das Wachstum dessen, was einst der innere Mensch hieß, soll ersetzt werden durch die Pille für den kleinen Wissenshunger und den Messerschnitt für den endlich zum Ich gewordenen Körper. Bisher war es ein Leichtes, die Huxley-Schüler abzulegen unter der Rubrik „extreme Denker”, irgendwo zwischen den Ufologen und den Flagellanten. Doch die 17 Beiträge lassen wenig Raum für Spekulation: Die Wirklichkeit arbeitet dem Transhumanismus zu.
Enhancement, auf Deutsch: Verbesserung, nennt man jene boomenden, nicht medizinisch veranlassten Eingriffe in den Körper, die dessen Eigenschaften und Fähigkeiten optimieren sollen. Davinia Talbot und Julia Wolf unterscheiden erstens das genetische Enhancement, zweitens das „Neuro-Enhancement”, den Einsatz so genannter „smart drugs” zur Steigerung der Aufmerksamkeit oder der Gedächtnisleistungen, und drittens das fast klassische „Body-Enhancement”, die Arbeit anderer wider Muskelschwäche und Nasenschiefstand. Die drei Methoden des Körpertunings münden laut Talbot und Wolf in die eine große Frage: ob nämlich „in unserer Gesellschaft Tugenden wie Disziplin oder Anstrengung weiterhin erstrebenswert sind, oder ob es sich dabei um nicht mehr haltbare Idealvorstellungen handelt.”
Die Frage bedarf der Präzisierung; schließlich hasten auch die Selbstverbesserer einem Ideal hinterher, und dieses Ideal hat sehr stabile Wurzeln. Darauf verweist Ludwig Siep in seinem Beitrag zur „biotechnischen Neuerfindung des Menschen”.
Seit der Frühen Neuzeit, spätesten seit Francis Bacons Sozialutopie „Nova Antlantis” von 1638, bildeten sich demnach drei sehr mächtige „Tendenzen der Selbsttranszendierung des Menschen”: das Jenseits wurde säkularisiert, das individuell Schöpferische aufgewertet „gegenüber dem vormodernen Ideal der Nachahmung der Natur als vorbildlicher Ordnung”, schließlich explodierten die Möglichkeiten von Technik und Medizin, schufen so erst die Grundlagen, dass man das egalitäre, leidreduzierte Utopia in der Gegenwart meinte verorten zu können - bis hin zur erst totalitären, nunmehr liberal gewandelten Eugenik. Eine Kontinuität, kein Bruch in der Geschichte der Aufklärung wäre demnach die von den Herausgebern behauptete „gänzlich neue Stufe der menschlichen Selbstverbesserungspraxis”.
Matthias Kettner hingegen schärft den Blick für die Differenz. Nachdem der Humanismus den „Bann der Transzendenz” gebrochen habe, sei die nachhumanistische Avantgarde in einen neuen Bann geraten. Unübersehbar und fragwürdig seien die heutigen „naturalistischen Verschiebungen im Selbst- und Weltbild”: Wahr sei nur die Rede der Evolution und der Natur, und sei es in beider zugerichteter Form. Der Geist hat da schlechte Karten. Er kommt nicht zu Wort in der neuen Grammatik des Körpers, die Thomas Schramme ausbuchstabiert: „Gebräuchlich sind inzwischen Praktiken wie das Hinzufügen von verzierenden Brandnarben, Zungenspaltungen, subkutane Implantate, extreme Gewebedehnungen, Genitalpiercings, Gewebeschnitte, das Zusammennähen der Lippen, die Verankerung von Metallklammern in der Haut und das Verabreichen von Salzinjektionen zur Vergrößerung der Genitalien.”
Die Pointe von Schrammes Beitrag besagt jedoch: Der geschundene Körper könnte sich am eigenen Schopf aus seiner Orientierungsnot ziehen. Er kann eine „Quelle von Werten” sein, wenn und sobald er sich ganz leiblich erregt; „im Schockerlebnis werden Wertkonstatierungen getätigt.” Schramme nimmt die „Wiener Aktionisten” um Otto Mühl und Hermann Nitsch als Belege. Wem bei deren bluttriefenden, destruktiven Spektakeln der Schock in die Glieder fährt, der werde sich seiner eigenen Körpernormen unmittelbar bewusst. Für die Frage nach dem rechten Zusammenleben ist diese Beobachtung kaum von Nutzen. Unrettbar defekt wäre eine Gesellschaft, die nur in Ekel und Schock zueinander fände.
Vielleicht aber eint die Zeitdiagnostiker und -kritiker ihre falsche Sicht auf den Körper. Kurt W. Bayertz und Kurt Schmidt weigern sich, im Chor der Schockierten mitzusummen. Ihnen allen schreiben sie ins Stammbuch: „Ein starker Begriff von Freiheit und Individualität ist mit einem starken Begriff von der ,Natur des Menschen’ nicht vereinbar.” Selbstschöpfung ist demnach die Rückseite der Medaille namens Freiheit, und ihre Währung lautet Materialismus. Man kann laut Bayertz/Schmidt nicht Freiheit, nicht Autonomie, nicht Menschenwürde haben wollen und zugleich auf die Unüberbietbarkeit des eigenen vorfindlichen Körpers pochen. Sonst gäbe es „einschneidende Restriktionen des menschlichen Handlungsspielraums in allen Handlungsbereichen.” Aber rührt die Skepsis im Angesicht des Körpertunings nicht aus einer fundamentalen Beunruhigung? Die Einsicht nämlich schwand, dass Freiheit auch Selbstverpflichtung ist.
ALEXANDER KISSLER
JOHANN S. ACH, ARND POLLMANN (Hrsg.): No body is perfect. Baumaßnahmen am menschlichen Körper. Transcript Verlag, Bielefeld 2006. 335 Seiten, 27,80 Euro.
Der Geist hat da schlechte Karten. Zur Ergänzung werden empfohlen: verzierende Brandnarben, Metallklammern, Implantate.
Foto: Jochen Arndt / VISUM
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit Skepsis betrachtet Rezensent Alexander Kissler das Projekt des 1957 vom Biologen Julian Huxley begründeten Transhumanismus, der die physische, psychische und genetische Optimierung des Körpers propagiert und Freiheit in der Moderne als Freiheit zur Selbstschöpfung begreift. Der vorliegende Band belegt für Kissler, dass die Wirklichkeit dem Transhumanismus zuarbeitet. Allerdings erscheint es Kissler höchst zweifelhaft, dass wir heute dank Chemie und Skalpell in wahrhaft modernen Zeiten leben. Die Beispiele, die Band der in Sachen Bodytuning bietet, findet er "doch eher abschreckend als Respekt gebietend". Mit Praktiken wie etwa Genitalpiercings, Zungenspaltungen, subkutane Implantate, extreme Gewebedehnungen, Verankerung von Metallklammern in der Haut und so fort mag sich Kissler nämlich nicht anfreunden.

© Perlentaucher Medien GmbH
"[Der] Band [sticht] als Pionierarbeit in einem bislang wenig systematisch beleuchteten Forschungsfeld heraus. Nicht nur ist es sein Verdienst, einmal ausschließlich Fragen im Zusammenhang mit nicht-medizinisch induzierten Körperpraktiken aufgegriffen und aus verschiedener fachlicher Perspektive äußerst spannend diskutiert zu haben; bemerkenswert ist auch das bei allen Autoren erkennbare Ziel zu einer ausgesprochen differenzierten Ergründung der dahinter stehenden Motive." Katharina Beier, Berliner Debatte Initial, 18 (2007) "Die sonst zu gesundheitspolitischen und bioethischen Fragen sehr breit vorhandene Literatur hat sich des Themas 'Baustelle menschlicher Körper' [...] noch kaum angenommen. Insofern stoßen die Herausgeber und Autoren des vorliegenden Bandes in eine Lücke. Und es gelingt ihnen hervorragend, eine breite Vielfalt der mit dem Thema verbundenen Fragestellungen historisch zu entwickeln sowie aktuelle Tendenzen in ihren Auswirkungen auf Künftiges zu beschreiben." Viola Schubert-Lehnhardt, ETHICA, 3 (2007) "Sind wir Zeugen einer Revolution und erleben von der neuen Welt nur den Umsturz der alten? Zu einer solchen Einschätzung könnte gelangen, wer dieses vielschichtige, tiefsinnige Buch liest." Alexander Kissler, Süddeutsche Zeitung, 11.04.2006 Besprochen in: hr-info, 13.06.2006