Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 2,50 €
  • Gebundenes Buch

Einer der profiliertesten deutschen Lyriker führt uns mit seinen Gedichten auf eine Reise durch reale und imaginierte Orte. Sie beschreiben Stationen einer Weltsuche, die zur Selbsterfahrung werden: "Wo ich war, da werd ich mir kenntlich". Orte werden aufgerufen, an denen Verluste und Erinnerungsspuren erkennbar werden und an denen die eigene Biographie sich zum fremden Daseinshorizont in Beziehung setzt. In Zeiten der lyrischen Beliebigkeit werden Gefühle, Erfahrungen, Botschaften, Einsichten verortet und in einer präzisen, selbstgewissen Sprache wiedergegeben, die auf Modernismen verzichten kann und gerade deswegen zeitgemäß ist.…mehr

Produktbeschreibung
Einer der profiliertesten deutschen Lyriker führt uns mit seinen Gedichten auf eine Reise durch reale und imaginierte Orte. Sie beschreiben Stationen einer Weltsuche, die zur Selbsterfahrung werden: "Wo ich war, da werd ich mir kenntlich". Orte werden aufgerufen, an denen Verluste und Erinnerungsspuren erkennbar werden und an denen die eigene Biographie sich zum fremden Daseinshorizont in Beziehung setzt. In Zeiten der lyrischen Beliebigkeit werden Gefühle, Erfahrungen, Botschaften, Einsichten verortet und in einer präzisen, selbstgewissen Sprache wiedergegeben, die auf Modernismen verzichten kann und gerade deswegen zeitgemäß ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.1998

Bisweilen eben doch
Die Lyrik Harald Gerlachs sucht Orte und Stunden

Harald Gerlach, 1940 im schlesischen Bunzlau geboren, artikuliert in seinem neuesten Gedichtband ein Paradoxon: Der Zeit und Ort verneinende Titel des Buches "Nirgends und zu keiner Stunde" bezeichnet genau jenen Zustand, der in den Texten und im Nachwort widerrufen werden soll. Gerlach, der auch als Prosaautor hervorgetreten ist, versucht mit poetischen Mitteln, in den ungefähren "Allerweltsräumen" zwischen "Aqua-City" und "Disney-World" präzise "Orte, Stunden" aufzuspüren.

Das klingt wie die etwas altbackene Suche nach dem Authentischen, erfrischt aber durch den Ernst, mit dem das Gedächtnis der Sprache gegen den Status quo gewendet wird: "Wie wenig von dem, was wir / noch sehen ist wirklich vorhanden", ja "was wir sehen ist / nichts. Bloß Erinnern hilft weiter". Auf der anderen Seite hilft Gerlach aber auch den Mechanismus vorsätzlicher Sinnproduktion zu durchschauen, wenn er formuliert: "Das Leben / läßt sich überall nur aushalten, / wenn es zum Geheimnis stilisiert wird". Die Kritik am Schein verbindet sich mit der Überhöhung des Beständigen und bestimmt so den Grundton von Gerlachs Lyrik. Das Erinnernswerte findet sich an den Orten einer europäischen Bildungsreise, aber auch im Abgelegenen.

Zu Recht wird Les Busclats, der Wohnort des Dichters René Char, für sein Licht und den grüngoldenen Farbton seines Flusses Sorgue gepriesen, doch nicht nur in der Provence oder in Tübingen, in Assisi und im irischen Sligo lassen sich Spuren wirklicheren Lebens sichern. Gerlach hat auch einen Sinn für niederwendische Grützwurst, Meerrettich und Brühgurken, für die Kosmetika einer polnischen Pensionswirtin und für "die feuchte Traurigkeit" gewaschener Steinfußböden. Genauigkeit gilt Gerlach als Mittel der Subversion, um der Verbindung von Profit, Konsum und Künstlichkeit im Detail zu widerstehen. Manchmal wird er dabei überdeutlich und ideologisch, auch manchen Kalauer vom Typ "gallischer Zapfhahn" möchte man gerne missen. Doch oft sprechen die Dinge für sich: "Das Fenster klirrt, wenn die Tür / sich öffnet. Dieser Laut hat / den brüchigen Kitt ersetzt. Ein Zimmer / auf Abruf; wenn wir gehen, / wird es auf immer geräumt". Solche unheimlichen Fugen und Lücken im Wohlstand initiieren die Suche nach Wirklicherem, auf der Gerlach mit Vorliebe den Orten und Stunden der deutschen Dichter und Philosophen folgt, vom Schlesier Johann Christian Günther bis zu Hölderlin, Hegel, Heine und Nietzsche.

Doch hat sich auf deutschem Boden zuviel verändert, als daß allein die Tradition dichterische Identität sicherte: "Angesichts der Decknamen, / klangvoll: Rubeanus, Sebastian, / Konrad, Melchior: der Spitzel, / die aus mir einen operativen / Vorgang machten, beschleicht / mich ein Argwohn; wer von ihnen / bin ich?" Gerlach hat den Zweifel an der kontrollierten Wirklichkeit aus der DDR in die westliche Welt mitgenommen, wo aus ganz anderen Gründen die "gewachsenen Lebenswelten" und mit ihnen die Möglichkeiten historisch differenzierter Individualität zerstört werden. Diese programmatische Haltung überfrachtet manchen Text, doch in geglückten Wendungen gibt Gerlach bisweilen zu verstehen, daß er sich über die Fragwürdigkeit seines Bemühens ebenso im klaren ist wie über dessen Grund. "Wo immer du aufbrichst, / du endest bei dir". Das läßt sich subjektivistisch lesen oder eben als dringliche Mahnung, gemeinsam die verbleibenden utopischen Momente in Ort und Zeit wahrzunehmen. THOMAS POISS

Harald Gerlach: "Nirgends und zu keiner Stunde". Gedichte. Aufbau Verlag, Berlin 1998. 116 S., geb., 24,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr