Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 0,30 €
  • Broschiertes Buch

Oliver Stone, 1946 in New York geboren, Drehbuchautor, Produzent und Regisseur, legt einen autobiographischen Roman vor. Ein Neunzehnjähriger bricht sein Studium an der Yale-Universität ab und geht nach Vietnam. Billige Bars findet er hier vor, Huren, Alkohol, Drogen und in unmittelbarer Nachbarschaft die Schlachtfelder mit unzähligen Toten. Doch sein Weg führt weiter. Innerlich zerrissen begibt er sich auf die Suche nach der eigenen Identität.

Produktbeschreibung
Oliver Stone, 1946 in New York geboren, Drehbuchautor, Produzent und Regisseur, legt einen autobiographischen Roman vor. Ein Neunzehnjähriger bricht sein Studium an der Yale-Universität ab und geht nach Vietnam. Billige Bars findet er hier vor, Huren, Alkohol, Drogen und in unmittelbarer Nachbarschaft die Schlachtfelder mit unzähligen Toten. Doch sein Weg führt weiter. Innerlich zerrissen begibt er sich auf die Suche nach der eigenen Identität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.1998

Heimreise als Heizer
Ein Griff in den Schuhkarton des Regisseurs Oliver Stone

Authentizität ist in Hollywood ein synthetisches Produkt, auf das Oliver Stone sich spezialisiert hat. Seine Misch- und Steigerungstechniken sind nicht nur in den Realismus von Filmen wie "Platoon" und "JFK" eingegangen, auch der eben erschienene Roman des Regisseurs trägt ihre Spuren. Auf Bitten eines geschäftsbewußten New Yorker Lektors kramte Stone aus einem Schuhkarton ein Manuskript hervor, das er vor dreißig Jahren aufgegeben hatte. Obwohl er bei der erneuten Lektüre im Wörterbuch nachschlagen mußte, um herauszufinden, "was dieses oder jenes Wort wirklich bedeutete", schreckte der Autor nicht vor Eingriffen zurück, sondern machte sich daran, "alles zu überarbeiten". Es ist unmöglich, dem Ausmaß dieser Revision auf den Grund zu kommen. Einerseits beharrt der Vietnam-Veteran Stone im Vorwort darauf, daß er die Kriegsszenen als Neunzehnjähriger vor seinem tatsächlichen Fronteinsatz geschrieben habe, andererseits erklärt er, "Night Dream" lege Zeugnis ab von seiner heutigen "Suche nach dem vergangenen, dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Ich". Die Frage, welches Ich jetzt schreibt und nach welchem gesucht wird, ist für den Buddhisten Stone belanglos, predigt er doch ohnehin, daß "alle Zeit Illusion ist". Stolz und Zärtlichkeit halten sich die Waage, wenn der Autor vom "inneren Kind" als dem Gegenstand des Buches spricht, dessen "Wiedergeburt" feiert und dem Leser verheißt, die Prosa werde wie eine starke Droge auf ihn wirken.

Was immer Stone, der Ältere, mit dem Inhalt des Schuhkartons gemacht haben mag, er hat darauf verzichtet, ihm eine Form zu geben. Der in vielem autobiographische Stoff von "Night Dream" zerfällt in drei Teile. Da sind erstens das Muttersöhnchen Oliver und sein zerrüttetes Zuhause in der New Yorker Oberklassenwelt. Dann lernen wir den Protagonisten in einer grausamen Schlacht als tapferen Frontsoldaten kennen. Den dritten Teil bildet seine Heimreise als Heizer auf einem vom Unglück verfolgten Frachtschiff. Über die letzten vierzig Seiten des Buches, die ein heilloses metaphysisches Gefasel füllt, bewahrt man besser Stillschweigen. Abgesehen von diesem Buchrückenpolster, bekommt Stone die eigene Welt der Models, Filmstars und Haarstylisten am wenigsten in den Griff. Hier ist alles frühreife Langeweile und schlechtsitzende Souveränitätsattitüde. Die beiden Abenteuerhandlungen hingegen lesen sich gut, sie packen den Leser durch den perfekt orchestrierten inneren Monolog des Helden und ziehen ihn in die Notlagen hinein. Man möchte behaupten, hier profitiere Stone vom langjährigen Umgang mit der Kinematographie; er selbst führt die Expressivität der literarischen Rede auf seine Joyce-Lektüre zurück. Vielleicht hat man die Bedeutung der Romane des Bewußtseinsstroms für die Filmindustrie unterschätzt.

Durch Stones Prosa blitzt die Filmerfahrung durch und markiert das Buch als sentimentales Erzeugnis der Postmoderne. "Zeitlupenaufnahme", heißt es etwa an einem entscheidenden Punkt der Erzählung: "Der Bildausschnitt verdunkelt sich", und: "Geh näher ran mit der Kamera - noch näher, bitte, näher!" An den gelungensten Stellen scheint Stone beide Medien zugleich zu bedienen. Die Aktionen von Freund und Feind auf dem Kriegsschauplatz verdichten sich bedrohlich wie in den Massenszenen des Kinos, einzelne Figuren treten in knappen Dialogen schnell als Originale hervor, und die durch den erregten Protagonisten gefilterte Wirklichkeit lädt zur Identifikation ein. Auch die Rückblende, die das Gemetzel mit anderen Kriegen: der Weißen gegen die Indianer, der Marne-Schlacht und militanten Kindheitsreminiszenzen, verbindet, ist eine Technik, die die Belletristik des neunzehnten Jahrhunderts dem Film vermachte.

Die Aneinanderreihung von Grenzsituationen scheint der Welt des Action-Films anzugehören. Doch das Bedürfnis nach Mutproben, Strapazen, existentieller Verlorenheit und heroischem Die-Stange-Halten entspringt auch der überhitzten Phantasie des Teenagers, der Stone bei der ersten Niederschrift war. Dasselbe gilt für die Besessenheit, mit der der Held seine Sexualität erkundet. Auch hier geht die pubertäre Themenwahl mit den Bordellkulissen des klassischen Vietnam-Films eine überzeugende Symbiose ein.

Nicht herausgestrichen hat Stone seinem jüngeren Ich zudem die Allmachtsträume, die häufig einen kolonialen Ton annehmen und mit dem asiatischen Land auch die exotische Frau unterwerfen. Zur Allmacht gehört das absolute Wissen. Dem stählernen Ideal-Ich eröffnen sich in äußersten Momenten Durchblicke durch die Vorhänge der Zeit, und es beginnt, den mythischen Kern der flüchtigen Bilder zu ahnen. Die Gabe des zweiten Gesichts läßt Oliver im Pazifik das nach dem Menschen lüsterne Seeungeheuer erkennen, und auch für die eigenen Krisen zeigt sie ihm die mythologischen Muster. In Hamlet, Odysseus und Sisyphus findet er sich selber wieder, ebenso wie im Hotelpagen, dem "grauhaarigen alten Knaben", der jeden Aufstieg verpaßte. Der junge Stone, der vor seinem freiwilligen Frontdienst schon einmal als Lehrer nach Saigon geflüchtet war, um das Elternhaus hinter sich zu lassen, hatte sicher Gelegenheit, etwas von der Anonymität des ewigen Pagen der Weltgeschichte zu entdecken. Der Hollywood-Star brachte es nicht über sich, den Graben, der ihn als "Mitglied unserer mobilen, geldbesessenen Gesellschaft" von seiner abenteuerlichen Jugend trennt, zu respektieren. Ob es dem Manuskript schadete? Die Intensität der Passagen, in denen ein filmischer Stoff auf adoleszente Begeisterung trifft, deutet darauf hin, daß sich hier zwei ungleiche Menschen erkennend in die Augen sahen. Doch gerade als die Bekanntschaft Gestalt annahm, muß das Handy des vielgefragten Regisseurs geklingelt haben, und der Page machte höflich einen Diener. INGEBORG HARMS

Oliver Stone: "Night Dream". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Fröba. Kindler Verlag, München 1998. 334 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr