Die Leichtlebige (Julia). Die Ehrgeizige (Agrippina die Ältere). Die Herrschsüchtige (Agrippina die Jüngere): Die krassen Vorurteile der Nachwelt über Mutter, Großmutter und Urgroßmutter des angeblich größten Schufts der Weltgeschichte nach Adolf Hitler haben sich gut gehalten. Dass alle drei ihr eigenes Leben wollten, machte sie zu Ausgestoßenen. Dasssie aus ihrer Rolle fielen, machte sie subversiv. Dass sie die Mechanismen der Macht kannten und selbst zu bedienen versuchten, verstärkte ihre Ohnmacht und wurde ihnen zum Verhängnis. Nirgends war das Überleben für Frauen so schwierig wie am römischen Kaiserhof. In Zeiten, in denen weibliche Rollenmodelle wie nie zuvor in Frage gestellt werden, kann Birgit Schönau aus dem Vollen schöpfen: Dies ist ein biografisches Drehbuch in Zeiten von #MeToo, wie es ein Fellini nicht besser hätte erfinden können.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Clemens Klünemann kommt mit Birgit Schönaus Studie der Wahrheit über die Rolle der Frau im kaiserlichen Rom ein Stück näher. Lesenswert scheint ihm, wie Schönau mittels gründlicher wie kritischer, stets aber nüchterner Quellenanalyse von Texten Suetons, Tacitus' oder auch Senecas lebendige Kulturgeschichte aufblättert und das Wirken von Julia, ihrer Tochter Vipsania Agrippina und deren Tochter Julia Agrippina ins rechte Licht rückt, d.h. die Damen entdämonisiert. Das von Doppelmoral geprägte Frauenbild der augusteischen Ära wird dabei für Klünemann ebenso sichtbar wie das Anliegen der Frauen auf dem Palatin, sich Freiräume zu schaffen und Rollenmuster zu brechen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2021Mord als Staatsräson
Birgit Schönau schreibt die Biographien dreier Frauen im alten Rom
Eine Frau, die in der späten römischen Republik der Oberschicht angehörte, fand dissonante Handlungsbedingungen vor. Erwartet wurden Keuschheit, Loyalität und Mutterschaft; andererseits lebte sie nicht selten in Patchworkfamilien, war gebildet, profitierte von einem vergleichsweise liberalen Ehe- und Erbrecht und sah sich nicht gehalten, starke emotionale Bindungen zu pflegen. Die Kehrseite: Verlobung und Verheiratung gehorchten meist familialen und politischen Strategien, die kaum weniger unberechenbar waren als das schiere physische Überleben bei jeder Schwangerschaft und Geburt.
Als Rom zu einer Monarchie wurde, änderte sich daran zunächst nichts. Was die Konstellation noch komplizierter machte: Wie der Herrscher selbst standen auch die Frauen seines Umfelds unter Beobachtung - über bloß hochrangige Adlige hätte kein Sueton seine mit Klatsch angefüllten Biographien geschrieben, kein Tacitus hätte ausgemalt, wie ein ahnenstolzer Claudier von seiner Ehefrau beherrscht wurde.
Zudem hing an männlichem Nachwuchs jetzt mehr als die Kontinuität irgendeiner Adelsfamilie. Ohne einen Nachfolger drohte der Tod des Herrschers das Reich zurück in genau einen solchen Bürgerkrieg zu stoßen, aus dem das Kaisertum nach Caesars Ermordung geboren worden war. Der sich rasch etablierende Hof der Caesaren bildete die letzte Sprengladung: Durch alte und neue Bindungen wuchernde Verwandtschaftsverhältnisse sowie taktische Manöver, Sprösslinge aus renommierten Häusern oder Rivalen durch Heirat einzubinden, liefen nun auf Parteibildungen am Hof hinaus. War ein potentieller Herausforderer des Herrschers mit diesem verwandt oder potentieller Vater eines Enkels, stellte er ein größeres Sicherheitsrisiko dar, als es von einem erfolgreichen Feldherrn ausging.
Mitten in alldem standen, wie die Journalistin Birgit Schönau in ihrem Buch "Neros Mütter" zeigt, immer wieder Frauen. Einige von ihnen spielten die ihnen zugedachten Rollen, einzelne jedoch hielten die Paradoxie nicht aus, wenige Freiheiten, aber manche Möglichkeiten zu haben. Machtnähe und Matronentum, schon für sich genommen war die Kombination skandalträchtig. Diese Zusammenhänge muss im Blick haben, wer nicht nur das Handeln der Protagonisten verstehen, sondern das in den Quellen über sie Gesagte kritisch würdigen möchte. Klatsch war eine Waffe, im höfischen Positionskampf wie in der Rede über die Mächtigen. Deshalb sollten die Quellen nicht primär befragt werden, um herauszufinden, was davon stimmt, sondern eher, warum es aufgeschrieben wurde und wem es diente.
In der skizzierten Konstellation haben auch generative Zufälle der julisch-claudischen Dynastie von Augustus bis Nero eine spektakuläre Geschichte beschert. Diese erzählt Schönau, indem sie kompositorisch geschickt drei Frauen in den Mittelpunkt stellt: Julia, die einzige Tochter des Augustus, die von ihrem Vater als Gebärerin männlicher Nachkommen eingesetzt wurde und nach drei Ehen in der Verbannung starb, ferner deren Tochter, die Ältere Agrippina, die ihrem Vetter und Ehemann Germanicus, der zuletzt als Rivale des Kaisers Tiberius gehandelt wurde, neun Kinder gebar, darunter Tiberius' Nachfolger Caligula. Sie starb wie ihre Mutter in der Verbannung.
Ihre Tochter Agrippina die Jüngere ist hierzulande als Namenspatronin von Köln bekannt. Als Ehefrau von Kaiser Claudius erreichte sie, dass dieser ihren Sohn aus erster Ehe einem eigenen Sprössling vorzog. Nachdem sie angeblich Claudius hatte vergiften lassen, wurde Nero Kaiser. Doch das zunehmend eigenwillige Verständnis dieses Herrschers von seiner Rolle ließ keinen Platz für eine macht- und selbstbewusste Kaisermutter - den Mord an ihr erklärte Seneca zum Akt der Staatsräson.
Leider fehlen Stammbäume, die helfen, in dem Gewirr dynastischer Linien und teils gleichnamiger Personen die Übersicht zu behalten. Ansonsten ist dies ein gut geschriebenes Sachbuch ohne grobe Fehler. Zwar bleiben Zeugnisse und quellenkritische Probleme unverändert, doch die Perspektiven wandeln sich. Die drei Mütter Neros erscheinen hier (plausibel) als Opfer eines unmöglichen Systems sowie (etwas gezwungen) als "role models einer fortschreitenden Emanzipation".
UWE WALTER
Birgit Schönau:
"Neros Mütter". Julia und die Agrippinas.
Drei Frauenleben im
alten Rom.
Berenberg Verlag,
Berlin 2021. 344 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Birgit Schönau schreibt die Biographien dreier Frauen im alten Rom
Eine Frau, die in der späten römischen Republik der Oberschicht angehörte, fand dissonante Handlungsbedingungen vor. Erwartet wurden Keuschheit, Loyalität und Mutterschaft; andererseits lebte sie nicht selten in Patchworkfamilien, war gebildet, profitierte von einem vergleichsweise liberalen Ehe- und Erbrecht und sah sich nicht gehalten, starke emotionale Bindungen zu pflegen. Die Kehrseite: Verlobung und Verheiratung gehorchten meist familialen und politischen Strategien, die kaum weniger unberechenbar waren als das schiere physische Überleben bei jeder Schwangerschaft und Geburt.
Als Rom zu einer Monarchie wurde, änderte sich daran zunächst nichts. Was die Konstellation noch komplizierter machte: Wie der Herrscher selbst standen auch die Frauen seines Umfelds unter Beobachtung - über bloß hochrangige Adlige hätte kein Sueton seine mit Klatsch angefüllten Biographien geschrieben, kein Tacitus hätte ausgemalt, wie ein ahnenstolzer Claudier von seiner Ehefrau beherrscht wurde.
Zudem hing an männlichem Nachwuchs jetzt mehr als die Kontinuität irgendeiner Adelsfamilie. Ohne einen Nachfolger drohte der Tod des Herrschers das Reich zurück in genau einen solchen Bürgerkrieg zu stoßen, aus dem das Kaisertum nach Caesars Ermordung geboren worden war. Der sich rasch etablierende Hof der Caesaren bildete die letzte Sprengladung: Durch alte und neue Bindungen wuchernde Verwandtschaftsverhältnisse sowie taktische Manöver, Sprösslinge aus renommierten Häusern oder Rivalen durch Heirat einzubinden, liefen nun auf Parteibildungen am Hof hinaus. War ein potentieller Herausforderer des Herrschers mit diesem verwandt oder potentieller Vater eines Enkels, stellte er ein größeres Sicherheitsrisiko dar, als es von einem erfolgreichen Feldherrn ausging.
Mitten in alldem standen, wie die Journalistin Birgit Schönau in ihrem Buch "Neros Mütter" zeigt, immer wieder Frauen. Einige von ihnen spielten die ihnen zugedachten Rollen, einzelne jedoch hielten die Paradoxie nicht aus, wenige Freiheiten, aber manche Möglichkeiten zu haben. Machtnähe und Matronentum, schon für sich genommen war die Kombination skandalträchtig. Diese Zusammenhänge muss im Blick haben, wer nicht nur das Handeln der Protagonisten verstehen, sondern das in den Quellen über sie Gesagte kritisch würdigen möchte. Klatsch war eine Waffe, im höfischen Positionskampf wie in der Rede über die Mächtigen. Deshalb sollten die Quellen nicht primär befragt werden, um herauszufinden, was davon stimmt, sondern eher, warum es aufgeschrieben wurde und wem es diente.
In der skizzierten Konstellation haben auch generative Zufälle der julisch-claudischen Dynastie von Augustus bis Nero eine spektakuläre Geschichte beschert. Diese erzählt Schönau, indem sie kompositorisch geschickt drei Frauen in den Mittelpunkt stellt: Julia, die einzige Tochter des Augustus, die von ihrem Vater als Gebärerin männlicher Nachkommen eingesetzt wurde und nach drei Ehen in der Verbannung starb, ferner deren Tochter, die Ältere Agrippina, die ihrem Vetter und Ehemann Germanicus, der zuletzt als Rivale des Kaisers Tiberius gehandelt wurde, neun Kinder gebar, darunter Tiberius' Nachfolger Caligula. Sie starb wie ihre Mutter in der Verbannung.
Ihre Tochter Agrippina die Jüngere ist hierzulande als Namenspatronin von Köln bekannt. Als Ehefrau von Kaiser Claudius erreichte sie, dass dieser ihren Sohn aus erster Ehe einem eigenen Sprössling vorzog. Nachdem sie angeblich Claudius hatte vergiften lassen, wurde Nero Kaiser. Doch das zunehmend eigenwillige Verständnis dieses Herrschers von seiner Rolle ließ keinen Platz für eine macht- und selbstbewusste Kaisermutter - den Mord an ihr erklärte Seneca zum Akt der Staatsräson.
Leider fehlen Stammbäume, die helfen, in dem Gewirr dynastischer Linien und teils gleichnamiger Personen die Übersicht zu behalten. Ansonsten ist dies ein gut geschriebenes Sachbuch ohne grobe Fehler. Zwar bleiben Zeugnisse und quellenkritische Probleme unverändert, doch die Perspektiven wandeln sich. Die drei Mütter Neros erscheinen hier (plausibel) als Opfer eines unmöglichen Systems sowie (etwas gezwungen) als "role models einer fortschreitenden Emanzipation".
UWE WALTER
Birgit Schönau:
"Neros Mütter". Julia und die Agrippinas.
Drei Frauenleben im
alten Rom.
Berenberg Verlag,
Berlin 2021. 344 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main