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Entgegen bisheriger Annahmen waren die Kommunen im "Dritten Reich" keine hilflosen Objekte zwischen der Willkür von Parteidienststellen und einem rigiden Staatszentralismus. Bernhard Gotto weist nach, dass die Augsburger Stadtverwaltung ein eigenständiges und aktives Glied innerhalb eines regional austarierten Herrschaftssystems war. Sie nutzte ihre erheblichen Gestaltungsmöglichkeiten stets im Sinne des "Führers". Zudem stabilisierte sie das "polykratische" NS-Herrschaftssystem durch beständige Koordinationsleistungen, wie der Autor vor allem für die Kriegszeit belegt. Insgesamt wandelt sich…mehr

Produktbeschreibung
Entgegen bisheriger Annahmen waren die Kommunen im "Dritten Reich" keine hilflosen Objekte zwischen der Willkür von Parteidienststellen und einem rigiden Staatszentralismus. Bernhard Gotto weist nach, dass die Augsburger Stadtverwaltung ein eigenständiges und aktives Glied innerhalb eines regional austarierten Herrschaftssystems war. Sie nutzte ihre erheblichen Gestaltungsmöglichkeiten stets im Sinne des "Führers". Zudem stabilisierte sie das "polykratische" NS-Herrschaftssystem durch beständige Koordinationsleistungen, wie der Autor vor allem für die Kriegszeit belegt. Insgesamt wandelt sich so das Bild der Kommunalverwaltung von einem Widerpart der Partei hin zu einer tragenden Säule des NS-Regimes.
Autorenporträt
Bernhard Gotto, geboren 1973, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Administrative Normalität
Neue Deutung der Rolle der Kommunen im Nationalsozialismus

Frühere Studien zur Kommunalpolitik im "Dritten Reich" waren weitgehend durch Ernst Fraenkels Forschungsparadigma von der Dichotomie von Normen- und Maßnahmenstaat geprägt. Der Ausnahmezustand als Herrschaftstechnik des nationalsozialistischen Regimes habe - so die zentrale These - die Strukturen und Praktiken der überkommenen Kommunalverwaltung parasitär ausgenutzt und zersetzt, hierdurch eine polykratisch-selbstzerstörerische Dynamik ausgelöst und so die Kommunen als politischen Akteur ausgeschaltet. Dem setzt Gotto eine andere Sichtweise entgegen: In der (Augsburger) Stadtverwaltung habe sich nach der Machtübernahme eine spezifische administrative Normalität herausgebildet, die Elemente der herkömmlichen Verwaltung umfaßte, sich jedoch zunehmend den Zielen und Methoden der nationalsozialistischen Ideologie und Rassenutopie öffnete. Indem er nicht das polykratische Gegeneinander alter und neuer Instanzen und Kräfte ins Zentrum der Betrachtung stellt, sondern die Funktionsmechanismen der Verwaltung analysiert, will er die Rolle der Kommunen für die Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft und die Gründe für ihre Funktionstüchtigkeit bis buchstäblich zum letzten Tag des Krieges verständlich machen.

In der Tat ergibt sich aus diesem veränderten Blickwinkel eine neue Sicht auf die lokale Ebene. Dadurch daß verschiedene Tätigkeitsbereiche der Kommunalverwaltung beleuchtet werden, tritt eher die Kooperation und die funktionale Zusammenarbeit zwischen städtischen und Parteistellen in den Vordergrund. Am Beispiel der Sozial- und der Baupolitik in Augsburg, zwei politisch-ideologisch zentralen Feldern kommunalen Handelns, wird dies konkret dargelegt. Aber auch für die Kriegsjahre kann Gotto zeigen, daß die städtische Verwaltung in der Praxis funktionierte und den erweiterten Aufgabenkreis zu bewältigen verstand. Hierbei verkennt er nicht, daß die Bedingungen für die so beschriebene administrative Normalität in der Stadt am Lech günstig waren: Gauleiter Karl Wahl kam selbst aus der Augsburger Stadtverwaltung, er wie andere wichtige Parteifunktionäre schätzten eine gut funktionierende Verwaltung und suchten eher Konsens als Konfrontation. Unter diesen Prämissen waren trotz des politischen Systemwechsels und der Ausrichtung des Verwaltungshandelns auf rassische und "volksgemeinschaftliche" Zielvorstellungen Anpassung und flexibles Agieren möglich.

Die zentrale Frage wird sein, ob dies auch für andere Fallbeispiele gilt. Für Frankfurt am Main, wo Oberbürgermeister Krebs die städtische Verwaltung in ähnlicher Weise auf Funktionalität ausrichtete, läßt sich dies mit Sicherheit konstatieren, ebenso für Münster, wo Oberbürgermeister Albert Hillebrand eng mit dem Kreisleiter kooperierte. Wie aber ist der Kölner Fall zu werten, wo Oberbürgermeister Karl Schmidt sich entnervt beklagte: "Was macht der arme Teufel von Bürgermeister oder Oberbürgermeister, der erstens mit dem Gauleiter nicht gut steht, zweitens nicht alter Parteigenosse ist und drittens einen biestigen Regierungspräsidenten hat? Da möchte ich die Selbstverwaltung sehen." So überzeugend die These von der administrativen Normalität und der systemstabilisierenden Funktion kommunalen Verwaltungshandelns am Augsburger Beispiel herausgearbeitet worden ist, so wichtig wird es sein, sie an anderen Fällen zu verifizieren. Generell jedoch bietet der Blick auf Augsburg eine neue Deutung der Rolle der Kommunen im Nationalsozialismus, die dessen Herrschaftsstruktur und Herrschaftsbeziehungen besser verständlich macht und die hilft, dessen Leistungs- und Bindekraft bis zum bitteren Ende zu erklären.

MARIE-LUISE RECKER

Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger Stadtverwaltung 1933 - 1945. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 476 S., 69,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit großem Interesse hat Marie-Luise Recker Bernhard Gottos Studie über die "Nationalsozialistische Kommunalpolitik" am Beispiel der Augsburger Stadtverwaltung gelesen und attestiert dem Autor, durch seinen Perspektivwechsel eine neue Sicht auf das Thema zu erreichen. Im Gegensatz zur bisherigen Forschung, die davon ausgehe, die Nationalsozialisten machten sich bei ihrer Kommunalpolitik den fortwährenden "Ausnahmezustand" zu Nutze, gehe Gotto davon aus, dass sich auf kommunaler Ebene tatsächlich eine "administrative Normalität" gebildet habe, die bis zum Ende des Krieges funktionierte, so die Rezensentin interessiert. Sie lobt diese These des Autors als sehr überzeugend und meint, dass sie nun an anderen Stadtbeispielen geprüft werden müsse, um ihre allgemeine Gültigkeit auch über Augsburg hinaus zu beweisen.

© Perlentaucher Medien GmbH