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Willy Chandran, Sohn eines wohlhabenden Exzentrikers und einer aus einer unteren Kaste stammenden Mutter, entflieht dem Indien der Nachkriegszeit und reist nach London, wo er ein neues Leben beginnen will. A moving and often very funny novel of exile, love, colonialism and identiy by Nobel Prize winner VS Naipaul.

Produktbeschreibung
Willy Chandran, Sohn eines wohlhabenden Exzentrikers und einer aus einer unteren Kaste stammenden Mutter, entflieht dem Indien der Nachkriegszeit und reist nach London, wo er ein neues Leben beginnen will. A moving and often very funny novel of exile, love, colonialism and identiy by Nobel Prize winner VS Naipaul.
Autorenporträt
Vidiadhar Surajprasad Naipaul, geb. 17.8.1932 in Trinidad, lebt seit 1950 in Großbritannien. Der Romancier, Reiseschriftsteller und Journalist indischer Herkunft gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der englischsprachigen Literatur. Seine Romane 'Ein Haus für Mr. Biswas' und 'An der Biegung des großen Flusses' sowie das Sachbuch 'Eine islamische Reise' waren Welterfolge. Die meisten seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt. 2001 wurde V. S. Naipaul der Literatur-Nobelpreis verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2001

Vor sich selbst verkrochen, bis ins tiefste Mosambik
V. S. Naipauls neuer Roman „Ein halbes Leben” – Eine Odyssee durch drei Kontinente und die Lebensthemen des Nobelpreisträgers
Das Wunder, der Anfang. Am Ende seiner Nobelpreisrede hob V. S. Naipaul hervor, wie glücklich er darüber sei, als Schriftsteller gelebt zu haben. „Ich bin froh, dass ich mich in schöpferischer Hinsicht so weit vorangetrieben habe, wie ich konnte. Das größte Wunder ist aber in meinen Augen, dass es mir gelungen ist, einen Anfang zu machen. Ich habe das Gefühl – und ich kann mich noch heute lebhaft an die Angst davor erinnern – dass ich leicht hätte scheitern können, bevor ich ernsthaft angefangen hatte.”
William Somerset Chandran hat dieses Wunder nicht erfahren dürfen, er scheitert gleich im Anfang, in London. Naipaul lässt den jungen Inder dieselben Viertel durchstreifen, in denen er selbst Ende der Fünfziger Jahre lebte. Er lässt ihm, der als Immigrant so unwissend durch das verregnete London treibt, einen Job als freier Autor bei der BBC zufallen, so wie er einst selbst als BBC-Mitarbeiter begann. Aber er versagt ihm das Entscheidende, den Willen, aus seiner Begabung etwas zu machen, festzuhalten an dem erstmal so unbescheiden unbestimmten Wunsch, ein Schriftsteller zu werden, aus einer leeren Mitte heraus zu schreiben, selbst wenn da zunächst vermeintlich gar kein Thema ist, über das man schreiben könnte.
Aus Chandran sprudeln einige Erzählungen hervor, danach versiegt der Impuls zu schreiben für immer. In seinem Kurzgeschichtenband vermischt er Hollywoods B-Movieplots mit Erinnerungen an seine Kindheit auf dem indischen Dorf zu traurigen Possen um vorgespiegelte Identitäten. „Die Geschichten schienen nur auf ihn gewartet zu haben; es wunderte ihn, dass er sie vorher nie bemerkt hatte, und drei, vier Wochen lang schrieb er zügig. Dann begann das Schreiben an schwierige Punkte zu rühren, an Dinge, denen er sich nichts stellen mochte, und er hörte auf.”
Jahre später, er lebt inzwischen als Plantagenbesitzer in der portugiesischen Kolonie Mosambik, wird seine Frau Ana zu ihm sagen, dass es gerade das Motiv der erlogenen Lebensgeschichte war, das sie so an seinen Erzählungen fasziniert hatte, weil sie darin auch ihr eigenes Leben erkannt hatte: „Diese Fassaden – und dahinter die echte Traurigkeit. Das war der Grund, warum ich dir geschrieben habe.”
In seiner Stockholmer Rede sprach Naipaul davon, er sei die Summe aller seiner Bücher: „Und jedes dieser intuitiv erspürten und – im Falle meiner Romane – intuitiv erschaffenen Bücher baut auf den vorangegangenen Werken auf und erwächst aus ihnen.” „Ein halbes Leben”, sein neuer, schlanker Roman, wirkt wie ein Destillat seiner Lebensthemen: Die Trauer des Exils und die Profanierung alles Heiligen, die untrennbare Verfilzung in die eigene Familiengeschichte, die mächtigen Strudel postkolonialer Auflösungen, die zu den von Naipaul so genannten „half-made societies and half-made nations” führten – all diese mächtigen Themenströme werden in die Geschichte um William Somerset Chandran eingewirkt, den es durch drei Kontinente und drei halbskizzierte Existenzentwürfe treibt, bis er am Ende, mit 41 Jahren, im verschneiten Westberlin seiner Schwester von seinem phlegmatischen Tasten und Scheitern erzählt: „Ich habe mich vor mir selbst verkrochen. Ich habe nichts riskiert. Und jetzt ist über die Hälfte meines Lebens vorbei.”
In William Somerset Maughams Roman „Auf Messers Schneide” sucht ein Amerikaner im kolonialen Indien Erleuchtung. Er trifft auf einen Brahmanen, der sein weltliches Leben aufgab, um sich ganz dem Schweigen und der Askese hingeben zu können. Als der Amerikaner den Heiligen berührt, wird ihm Erleuchtung zuteil. Glücklich kehrt er nach Illinois zurück, um dort fürderhin in „Ruhe, Duldsamkeit, Mitgefühl, Selbstlosigkeit und Enthaltsamkeit” als Taxifahrer zu leben.
Naipaul beginnt seinen Roman, indem er diese Geschichte noch einmal, diesmal als Farce, aus der Sicht des Brahmanen erzählt. Von Enthaltsamkeit und Wesensschau ist in dieser Version nichts mehr übrig. Willies Vater, der irgendwie von Gandhis Lehren gehört hat, davon, dass der Mahatma die Idee hatte, quer durch Indien zu laufen um am Meer Salz zu gewinnen, will etwas ähnlich Großartiges vollbringen, „ein Opfer dauerhafter Natur, etwas, das der Mahatma gutgeheißen hätte.” So entschließt sich der Vater, der das ganze Buch über namenlos bleibt, dazu, die niederste Person zu heiraten, die er finden kann. Sein weiteres Leben trägt er diesen Entschluss wie eine hochherzige Tat vor sich her; die dunkelhäutige Frau, die er ehelicht, die Mutter von Willie und dessen Schwester Sarojini, verachtet er freilich aus tiefstem Herzen.
Aus Faulheit und Dummheit vernichtet er in seinem Büro Akten und erklärt diese Schlampereien vor sich selbst zu heroischen Momenten zivilen Ungehorsams, auf die Gandhi stolz wäre.
Gandhis Karikatur
Schon in „Land der Finsternis”, seinem ersten Buch über Indien, beschrieb Naipaul voll spöttischem Ingrimm, wie Mahatma Gandhis Wirken von den Indern selbst zerstört wurde, indem sie ihn zum Heiligen ernannten und sich seine Lehre zum bequemen Hausgebrauch uminterpretierten. „Ein halbes Leben” nun nimmt dieses Thema in witziger Form wieder auf, als sich Chandrans Vater nicht Gandhis Frage: „Wie soll ich leben?” stellt, sondern nur pragmatisch kühl darauf schaut, was am einfachsten aufzugeben wäre.
Als der Vater wegen seiner Vergehen juristisch belangt werden soll, flüchtet er sich in einen Tempel und legt ein Schweigegelübde ab. Somerset Maugham kommt vorbei und ist beeindruckt von diesem Mann, der scheinbar so gelassen in seinem Schweigen wohnt und doch nur ein gerissener Blöffer ist.
Der kleine William entdeckt auf der Missionsschule die Lust am Schreiben und erfindet immer neue Parabeln um verlogene Könige und einen kinderfressenden Brahmanen. Als er ein Stipendium erhält, flieht er vor der Enge und Verlogenheit seiner Familie nach England, in die literarische Boheme der späten Fünfziger Jahre, nur um dort die Verhaltensweise seines Vaters zu kopieren, indem er immer neue Geschichten über seine Herkunft erfindet. Was ihn am Leben hindert, das hilft ihm allerdings in der Kunst: In dem Moment, da er sich aus amerikanischen Filmen fremde Identitäten leiht, um die herum er seine indischen Geschichten legt, gelingen ihm die besten Erzählungen.
Als er seine spätere Frau kennen lernt, geht er mit ihr nach Mosambik. Ein neues halbes Leben – und das faszinierendste Kapitel dieses Romans – fängt an, als Anhängsel seiner Frau, als Plantagenbesitzer, als ewig Fremder auf der kleinen Insel aus Gemütlichkeit und Luxus, die sich die portugiesischen Kolonialherren inmitten der afrikanischen Wildnis errichtet hatten. „Als er am Schlafzimmerfenster stand und durch Netzdraht und tote Insekten über den verwilderten Garten und die hohen Papayabäume und das abfallende Land mit seinen Cashewnusshainen und Grüppchen von Grasdächern hinweg zu den Felskegeln blickte, dachte Willie: ‘Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich weiß nicht, wie ich je wieder zurückfinden soll. Diese Aussicht darf mir niemals vertraut werden. Ich darf nicht auspacken. Ich darf mich keine Sekunde verhalten, als würde ich bleiben.’ Er blieb achtzehn Jahre.”
Der früher so gnadenlos sarkastische Naipaul ist altersmilde geworden. Vor über vierzig Jahren stellte er seinem Buch „Auf der Sklavenroute. Meine Reise nach Westindien” einige brutale Sätze des englischen Kolonialreisenden James Anthony Froude voran: „Es gibt auf den karibischen Inseln keine Menschen im eigentlichen Sinne des Wortes, Menschen mit eigenem Charakter und eigenem Ziel.” Willie erzählt am Ende des Romans, nach seiner Flucht aus Mosambik, kurz vor dem Zusammenbruch der Kolonie und dem Ausbruch des grausamen Bürgerkrieges, seiner Schwester seine Lebensgeschichte, die Geschichte eines Menschen mit schwachem Charakter und ohne eigenes Lebensziel. Aber immerhin erzählt Willie diese Geschichte mit seinen eigenen Worten. Und immerhin schenkt Naipaul seinem traurigen Helden einige tief beglückende sexuelle Erfahrungen und zwei Jahre, in denen er seine Frau Ana geliebt hat. ALEX RÜHLE
V.S. NAIPAUL: Ein halbes Leben. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Dirk van Gunsteren. Claassen-Verlag, München 2001. 37,16 Mark.
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