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1991 erschien Christoph Diekmanns vielbeachteter Debütband "My Generation. Cocker, Dylan, Lindenberg und die verlorene Zeit", der zu einem dauerhaften Sittenbild der späten DDR geworden ist. Er spiegelt das Lebensgefühl einer ganzen ostdeutschen Generation, die vor allem in der Rockmusik jene freie Welt suchte, die ihr in der DDR vorenthalten wurde. Hunderttausende wallfahrteten zu denselben Großkonzerten, sahen dieselben Filme, diskutierten dieselben Bücher. Dann fiel die Mauer. Dieckmann prophezeite: "Jetzt werden wir so verschieden, wie wir wirklich sind." Die Nachauflage nimmt er zum…mehr

Produktbeschreibung
1991 erschien Christoph Diekmanns vielbeachteter Debütband "My Generation. Cocker, Dylan, Lindenberg und die verlorene Zeit", der zu einem dauerhaften Sittenbild der späten DDR geworden ist. Er spiegelt das Lebensgefühl einer ganzen ostdeutschen Generation, die vor allem in der Rockmusik jene freie Welt suchte, die ihr in der DDR vorenthalten wurde. Hunderttausende wallfahrteten zu denselben Großkonzerten, sahen dieselben Filme, diskutierten dieselben Bücher. Dann fiel die Mauer. Dieckmann prophezeite: "Jetzt werden wir so verschieden, wie wir wirklich sind." Die Nachauflage nimmt er zum Anlaß, um in einem neuen Text der Frage nachzugehen, wie weit die Träume von damals getragen haben. Angesichts einer viel grelleren, lauteren Welt, in der jeder für sich selbst steht, erzählt er, was von der gemeinsamen Zeit geblieben ist.
Autorenporträt
Christoph Dieckmann, Jahrgang 1956, Filmvorführer, Studium der Theologie, Vikar, kirchlicher Medienreferent, Publizist, seit 1991 Redakteur der "Zeit". 1992 Internationaler Publizistik-Preis in Klagenfurt, 1993 Theodor-Wolff-Preis, 1994 Egon-Erwin-Kisch-Preis, 1996 Friedrich-Märker-Preis für Essayisten.
Bücher:
"My Generation" (1991; Neuausgabe 1999), "Oh! Great! Wonderful!" (1992), "Die Zeit stand still, die Lebensuhren liefen" (1993), "Alles im Eimer, alles im Lot" (1994), "Time is on my side"(1995) und "Das wahre Leben im falschen" (1998). Dieckmann lebt in Berlin-Pankow.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.1999

Herbstlaub der Rockmusik
Total entschleunigt: Christoph Dieckmann hat den Blues

Von Thomas Brussig und Leander Haußmann hat man durch Buch und Film vom kurzen Ende der "Sonnenallee" gerade erfahren, dass in der DDR immer eine gute Party lief und man im realen Sozialismus glücklich sein konnte, wenn man eine Jimi-Hendrix-LP besaß. Da kommt der erneuerte Rückblick des scharfsinnigen Rock-Theologen Christoph Dieckmann gerade recht. Das Buch dokumentiert noch einmal Dieckmanns schöne Konzertberichte aus der Zeit des Rocktauwetters der achtziger Jahre, erweitert um eine Art "Highway 61 revisited" nach zehn Jahren des Exils.

Schon 1990 hatte Dieckmann die Ungleichzeitigkeiten der Rock-Rezeption herausgearbeitet. Es galt, mit der Zurücksetzung umzugehen, dass die großen Gruppen und Interpreten - Dylan, Santana, Cocker, Springsteen oder Uriah Heep - die DDR erst erreichten, als sie bereits zur Klassik geworden waren, in den Augen westlicher Avantgardisten also zu Wiedergängern, zu Rock-Zombies. Trotzdem konnte sich Dieckmann zufolge im Halbschatten der Kirche in der DDR "eine großartige, idealistische Subkultur" von "grotesker Wirksamkeit" entwickeln. Das idealistische Kunststück, das Dieckmann seinerzeit am elegantesten vorführte, bestand darin, sich die abgelebten Formen als unveräußerlichen Besitz anzueignen, um sie mit "Wahrheit" zu füllen: "Was weg ist, kann mir keiner mehr nehmen."

Von Bob Dylans Auftritt 1987 im Treptower Park waren freilich auch die meisten DDR-Rockfans enttäuscht. Nicht so Dieckmann: Das wunderbare Konzert habe auf subtile Weise "der Individualität im Rock 'n' Roll gedient". Bereitwillig verrät Dieckmann seinen Trick des kreativen Hörens und Sehens: "In nüchterner Zeit muss jeder für sich selber die Dinge so sehen, wie er von ihnen angeschaut werden möchte." Unter einem solchen Blick kann sich der Eindruck des Immergleichen, der den westlichen Rock-Enthusiasten Ende der achtziger Jahre schon lange entnervt hatte, nicht einstellen. Da werden dann selbst Alvin Lees abertausendmal vorgeführte Gitarrenkaskaden zum Ausdruck einer unbeirrbaren Treue zu sich selbst.

In der zweiten Auflage von "My Generation" dokumentiert Dieckmann nun auch, wie er sich und seiner DDR-Sozialisation unangefochten treu geblieben ist. Gerade die Reaktionen auf seine Rock-Artikel im "Sonntag", die Musik als "Freistatt, Spiegelung ersehnten Lebens, Kunst der versagten Gegenwelt" präsentierten, hatten ihm auf die späten Tage der DDR ein Gefühl von ostdeutscher Zugehörigkeit vermittelt, das ihn "bis heute unterweist". Wie es einem ergehen kann, der sich solcher Unterweisung versagt, demonstriert Dieckmann an der herzzerreißenden Moritat von seinem verlorenen Freund Michael Möller, zunächst "feindlich-negativer Pfarrer", dann letzter DDR-Botschafter in den Vereinigten Staaten, der zum Kapitalismus überlief, wodurch die Rockmusik für ihn "zum beiläufigen Interesse" schrumpfte. "Während ich die Ossi-Lebensuhr begrübelte, jagte Michael Möller nach der ganzen Welt." Wie zur Strafe für seine konsumsüchtigen Reisen wurde er am 12. März 1997 in Bangkok von einem Lastwagen überfahren, an welchem Tage Dieckmann in Austin im Garten des "Stubb's" entspannt Billy Joe Shaver zuhörte.

Man müsste diese Geschichte infam nennen, wenn man nicht gleichzeitig erführe, wie sehr sie auf Verletzungen zurückgeht, vor der Dieckmanns schöne Kunst der gegenweltlichen Sinnschöpfung offenbar nicht schützt. Nicht genug, dass Möller beim besagten Dylan-Konzert dem Reisebehinderten gegenüber renommierte, wie "günstig" es gewesen sei, den Meister gleich hier zu hören; denn andernfalls hätte er nach San Francisco fliegen müssen. Bei einer Party in der Deutschen Botschaft in Washington zerbrach Möller überdies öffentlich das ostdeutsche Wir-Gefühl und die Freundschaft, als er sich launig als "heimlichen Kapitalisten", Dieckmann aber als "heimlichen Kommunisten" bezeichnete.

Aber auch der Rock-Theologe hat sich seither verändert. In der "Zeit"-Redaktion immer ein wenig von oben herab als begabter Ossi behandelt und vereinnahmt zu werden macht das "Leben in der Wahrheit" nicht leichter. Auch das Immergleiche der "immergleichen Großtourneen" seiner früheren Helden hat ihn inzwischen erreicht. So geht er nun zurück zu den Wurzeln des Rock 'n' Roll, reist dahin, wo seine "Erinnerungsmusik herkommt", zu Billy Joe Shaver, Don Walser und Guy Clark. "Ich suche keinen Zeitgeist in der Musik, sondern timestop: nicht Tempo, aber die Entschleunigung der Welt." Da findet Dieckmann Schicksalsmusik und ein Bild seiner Entwicklung: "Bis vor nicht allzu langer Zeit war mir, als stiege ich eine Treppe hoch, immer weiter, Stufe um Stufe, Jahr für Jahr. Aber ganz allmählich ergriff mich ein Gefühl, als liefe ich zugleich hinab." So ist das Leben und der Rock 'n' Roll.

Dieckmanns gezielte Erinnerungserweiterung läuft auf eine Überbietung seiner früheren Kunststücke hinaus: Das in die Formen projizierte Verhältnis des Individuellen zum Gesellschaftlichen wird symbolisch auf einen Stand zurückentwickelt, in dem es sich vermutlich auch vor der jüngsten neoliberalen Beschleunigungswelle nicht befunden hat. Man liest diese virtuosen Wahrhaftigkeits- und Gegenweltübungen mit Respekt und Interesse, aber stellenweise auch mit Peinlichkeitsgefühlen, und manchmal erinnert Dieckmann fatal an jene Religionslehrer, die einem die christliche Botschaft über Mick Jaggers "I can't get no satisfaction" nahebringen wollten.

FRIEDMAR APEL

Christoph Dieckmann: "My Generation." Cocker, Dylan, Honecker und die bleibende Zeit. Zweite, veränderte Auflage, Christoph Links Verlag, Berlin 1999. 240 S., br., 29,80 DM.

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"Das Buch dokumentiert noch einmal Dieckmanns schöne Konzertberichte aus der Zeit des Rocktauwetters der achtziger Jahre, erweitert um eine Art 'Highway 61 revisited' nach zehn Jahren des Exils." (Friedmar Apel, F.A.Z.)

"Was Dieckmanns Buch einzigartig macht, ist seine zeitkritische Betrachtungsweise, die sich über das musikalische Detail erhebt.' (SFB, 88Acht! Showtime)