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Produktdetails
  • Collection Folio Nr.1316
  • Verlag: Gallimard Education
  • Erscheinungstermin: September 1981
  • Englisch
  • Abmessung: 177mm x 108mm x 27mm
  • Gewicht: 262g
  • ISBN-13: 9782070373161
  • ISBN-10: 2070373169
  • Artikelnr.: 24082118
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2011

Ein Autor der zweiten Reihe, aber dort steht er ganz vorn

Wie lässt sich Théophile Gautier fassen? Leben und Werk wirken bei ihm, der auf die Zukunft setzt und doch die Moderne verdammt, wie die drastische Umsetzung einer Poetik des Kontrasts.

Der Mann mit der kirschroten Weste; so ist Théophile Gautier (1811 bis 1872), dessen Geburtstag sich heute zum zweihundertsten Mal jährt, der Nachwelt in Erinnerung geblieben. Die Szene: Das Théâtre-Français am 25. Februar 1830, Victor Hugos romantische Tragödie "Hernani" hat Premiere. Die Verteidiger des Klassizismus sind in Weißglut, die Romantiker halten dagegen: Die ",Hernani'-Schlacht" tobt. Unter den Hugo-Getreuen ein feuriger Jüngling, der sich seinen Platz im Pantheon der Jugendrebellion sichert. Gautier gehört zu einer Gruppe, die sich "Petit Cénacle" nennt (in Anlehnung an den "Cénacle" Hugos, Nodiers und Sainte-Beuves); unter den Mitgliedern findet sich auch sein Intimus Gérard de Nerval. Die jungen Wilden kultivieren die Extravaganz, lassen den Bart wachsen, feiern Orgien - und feilen selbstbewusst an ihrer Legende.

Den Geist der Jugendjahre lässt zum Jubiläum eine deutsche Erstübersetzung aufleben: "Die Jeunes-France" versammelt "spöttische Geschichten" von 1833. Sie erzählen von der jungen Garde der Romantik, allerdings ist das Denkmal auf dem Treibsand der Ironie gebaut. Schon das Vorwort signalisiert es: Der fiktive Autor, der sich als "Molluske" bezeichnet, ist ein Schlingel vor dem Herrn. Er beglückt den Leser nur deshalb mit einleitenden Worten, weil er hofft, damit "die Hälfte des Bandes" zu füllen. Es folgt ein zweifelhaftes Loblied: "Das Vorwort ist die Schamhaftigkeit des Buches, es ist sein Erröten, es sind die Halbbekenntnisse, die erstickten Seufzer, die koketten Neckereien, es ist sein ganzer Charme; es ist das junge Mädchen, das langsam seinen Gürtel aufknüpft und sein Korsett löst, bevor es ins Bett steigt, wo sein Liebhaber wartet." Fern ist das lyrische Pathos eines Novalis oder Victor Hugo, eher denkt man an die Libertins des achtzehnten Jahrhunderts. Die Geschichten halten den Ton: Erzählt wird von zwei Zechbrüdern, die ihre Geliebten tauschen; von der Bekehrung eines Klassizisten zur Romantik; von einem Romantiker, der eine exotisch-leidenschaftliche Affäre sucht; von einem Mittelalter-versessenen Schwärmer namens Elias Wildmanstadius und schließlich von einer Orgie der Jeunes-France. Der Tonfall ist mokant, die Figuren sind sympathisch, prätentiös, tollpatschig, die Liebe scheitert an toleranten Ehemännern - das erfüllte Ideal ist bald banal. Aus dem Rahmen fällt die bekannteste der Geschichten, "Onuphrius oder Die phantastischen Visionen eines Hoffmann-Jüngers". Sie handelt von einem Maler, der die reizende Jacintha verehrt. Seine überbordende Phantasie lässt ihn Übersinnliches sehen und einen Doppelgänger erfinden; er verfällt dem Wahnsinn - eine schöne Hommage an E.T.A. Hoffmann.

Gautiers Könnerschaft zeigt sich in der Schilderung einer finsteren Traumgestalt: "Es war ein großer Mann, mager, dürr, mit Raureif bepudert, die Figur faltig wie ein alter Apfel, eine riesige Brille auf einer großen Nase, die das Kinn fast küsste. Eine kleine, quer verlaufende Schnittwunde, ähnlich einer Sparschweinöffnung, war unter unendlich vielen Falten und störrischen Haaren verborgen, wie die Borsten einer Wildsau, recht und schlecht das repräsentierend, was wir mangels eines besseren Ausdrucks einen Mund nennen." Diese herrliche Groteske evoziert die deutsche Romantik, aber auch den Gewährsmann Rabelais. Leider zeigt sie zudem die Schwäche der Übersetzung von Melanie Grundmann: Statt "die Figur" müsste es "das Gesicht" heißen ("la figure"). Warum nur hat der Verlag eine des Französischen nicht mächtige Übersetzerin an den Text gelassen? Hier prallen Champagnerkorken "auf den Fußboden" statt an die Decke ("plafond"), das Gesicht eines überraschten Stutzers ist lang wie das "Gedächtnis" seines Schneiders statt wie dessen Rechnung ("le mémoire"), ein Autor endet "als Institut" und nicht als dessen Mitglied ("être de l'Institut").

Auch geht Grundmanns "Nachwort" der romantischen Pose auf den Leim: Es ist verfehlt, Gautier auf die Rolle des Rebellen festzulegen und das spätere Schaffen als Resignation abzutun. Ein Hinweis liegt darin, dass Gautier von politischer Revolution nichts hält - die von 1830 ruiniert seinen Vater und zwingt Gautier in die Fron des Feuilletonjournalismus. Aus der Politik hält er sich heraus, trotz seiner Nähe zur bonapartistischen Prinzessin Mathilde, deren Bibliothekar er wird; ihr Salon ist ein primär literarisches Forum, das belegt auch Gautiers Treue zu Hugo, der als Demokrat im Exil weilt. Vielmehr vertritt Gautier von Anfang an ein emphatisches Kunstverständnis: "L'art pour l'art", die Kunst um ihrer selbst willen, ist seine Prägung, eine Devise, die dem radikal autonomen Kunstbegriff Baudelaires den Weg bereitet - nicht umsonst sind "Die Blumen des Bösen" Gautier widmet. Gautier ist den Weg selbst ein Stück weit gegangen, etwa in "Emaillen und Kameen" (1852), Gedichten, die er schrieb, "ohne sich um den Sturm zu kümmern, der meine geschlossenen Fenster peitschte" (die Revolution von 1848), wie er im "Vorwort" festhält. Diese mineralischen Verse wenden sich demonstrativ den harten, glatten, toten Oberflächen von Statuen, Vasen, Medaillons zu - und belegen die Schaffenskraft des reifen Dichters.

Wie lässt sich Gautier fassen? Leben und Werk wirken wie die drastische Umsetzung von Hugos Poetik des Kontrasts: Gautier ist ein Sensualist und Materialist, der an Seelenwanderung glaubt. Er setzt auf die Zukunft, die bemannte Raumfahrt und verdammt zugleich die spießbürgerliche Moderne und ihren Zerstörungsdrang. Er predigt das romantische Drama und verehrt die griechische Statue, er liebt das Groteske und das Schöne, feiert Gotik und Rokoko in einem Atemzug. Bei manch anderem störten die Widersprüche - dem "guten Théo", wie ihn seine Zeitgenossen nennen, sieht man sie gern nach. Er ist zwar ein Autor der zweiten Reihe, aber erstens steht er dort ganz vorn und zweitens ist das Maß die hochbegabte französische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts: Deren Zweitklassiges taugt mehr als manches "Erstklassige" anderer Orte und Zeiten. Die rührige Forschung und die französische Öffentlichkeit haben es begriffen, sie feiern Gautier mit Tagungen und einem satten Dutzend Neuerscheinungen (www.theophilegautier.fr/). Hervorzuheben ist, dass nun journalistische Arbeiten Gautiers zugänglich werden, von denen manche die Übersetzung lohnten.

In Deutschland, dem Land, zu dem Gautier auch dank des Freundes Heinrich Heine enge Verbindungen pflegte, liegen zum Geburtstag zwei weitere Bände vor, nämlich Neuübertragungen der Romane "Mademoiselle de Maupin" (1835) und "Avatar" (1856). Es sind typisch freigeistige und freizügige Werke, in denen die Zwanglosigkeit des Geistes auf die Fülle der Sinne trifft; im Medium eines perfekten und federleichten Stils reagieren sie aufs heftigste. "Mademoiselle de Maupin" erzählt die doppelte Liebe und Travestie einer Dame, die auch die homoerotische Liebe erkundet. Die Übertragung überzeugt hier mehr, und die Lektüre lohnt schon des Vorworts halber, in dem Gautier die Kunst gegen Nützlichkeitsdenken und "Kritikerläuse" verteidigt.

"Avatar" hingegen handelt von Octave de Saville, der sich unsterblich in die Gräfin Prascovia Labinska verliebt und, da sie standhaft bleibt, seine Seele in den Körper ihres Mannes verpflanzen lässt; der kriegerische Graf findet sich in Octaves dekadentem Körperchen wieder. Der Tausch nützt dem Verschmähten freilich nichts: Die Gräfin erahnt die wahre Identität am Ausdruck der Augen, ein zentrales Motiv in Gautiers Werk. Es kommt zu einem absurden Duell, das überraschend endet. Reizvoll ist "Avatar" vor allem durch die Figur des Balthazar Cherbonneau, jenes Arztes, der den Seelentausch durchführt. Seine "Nussknacker-Physiognomie", in der "zwei türkisblaue Pupillen von einer Klarheit, einer Frische und einer Jugend, wie sie kaum vorstellbar waren", funkeln, huldigt aufs Neue E.T.A. Hoffmann. Dieser launische Roman, der zwischen Schauerromantik und Farce wechselt, ist ein durch Mesmer inspiriertes Experiment, in dem Gautier eben mal zwei Identitäten durcheinanderwirbelt - nicht der schlechteste Anfang, um das Werk eines idealistischen Libertins kennenzulernen.

NIKLAS BENDER.

Théophile Gautier: "Avatar". Roman.

Aus dem Französischen von Jörg Alisch. Nachwort von Michael Roes. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2011. 202 S., br., 19,90 [Euro].

Théophile Gautier: "Die Jeunes-France. Spöttische Geschichten".

Aus dem Französischen und mit Nachwort von Melanie Grundmann. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2011. 318 S., br., 22,90 [Euro].

Théophile Gautier: "Mademoiselle de Maupin". Roman.

Aus dem Französischen von Caroline Vollmann. Nachwort von Dolf Oehler. Manesse Verlag, Zürich 2011. 628 S., geb., 24,95 [Euro].

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