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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • SALTO 55
  • Verlag: Wagenbach
  • 1995.
  • Seitenzahl: 108
  • Deutsch
  • Abmessung: 12mm x 115mm x 210mm
  • Gewicht: 168g
  • ISBN-13: 9783803111548
  • ISBN-10: 3803111544
  • Artikelnr.: 05989707
Autorenporträt
Guiseppe Tomasi di Lampedusa, 1957 in Rom gestorben, schrieb kurz vor seinem Tod seinen einzigen Roman "Der Leopard". Nur wenige Jahre zuvor schrieb er, zur privaten Unterrichtung seines Neffen und zum eigenen Vergnügen, eine Sammlung biographischer Studien zur englischen Literatur, die in Lampedusas Nachlaß gefunden wurden. Diese wurden unter dem Titel "Letteratura inglese (2 Bde.)" 1991 veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.1995

Chesterton kam nicht bis Palermo
Gute Leser dürfen hochmütig sein: Guiseppe Tomasi di Lampedusa lehrt englische Literatur / Von Paul Ingendaay

Glaubt man den ersten vier Seiten dieses Buches, die als "nutzlose Vorrede" firmieren, dann muß Palermo ein schrecklicher Ort und die Buchhandlung "Flaccovio" der Inbegriff geistiger Ödnis sein. Denn nichts, so behauptet Giuseppe Tomasi di Lampedusa, jedenfalls nichts von Belang in der literarischen Welt, gelange jemals bis in die sizilianische Hauptstadt und erst recht nicht in die Regale der besagten Buchhandlung "Flaccovio". So muß, weil niemand ihm hilft, Don Tomasi alles allein bestreiten: die Beschaffung der Lektüre, die Lektüre selbst, die Erinnerung an die Lektüre und die Aufbereitung der Lektüre zu diesen zwölf kleinen Stücken, die für ernsthafte Vorlesungen zu witzig und subjektiv sind und für Plaudereien zu gelehrt.

"Letteratura inglese" ist das zweibändige Werk überschrieben, das 1991 in Mailand erschien und in dem die früher einmal verloren geglaubten Liebhaberstudien des Grafen Lampedusa zum ersten Mal veröffentlicht wurden. Das hier vorliegende Bändchen ist nach den Essays zu Byron, Shelley und Keats (1993) sowie der Shakespeare-Studie (1994) der dritte Extrakt daraus; abermals wurde es hübsch gedruckt und in knallrotes Leinen gehüllt. Eine kritische Anmerkung kann aber nicht länger warten: Evelyn Waugh war, anders als der Name suggerieren mag, ein Mann.

Wie in den früheren Bänden bewahren die Aufsätze den mündlichen Duktus der privaten Laienvorlesung; es wimmelt von Anreden, Abschweifungen und provokanten Urteilen, die zweifellos nur halb so beflügelnd gewesen wären, hätten allein Schrank und Tintenfaß sie bezeugt. Zugleich benutzt der Graf das Pädagogische als Maske des Satirischen. Seinen Landsleuten traut er am ehesten Provinzialität zu; von den frühen Büchern Virginia Woolfs schreibt er, sie entsprächen dem "allgemeinen Niveau guter englischer Romane, und dieses Niveau liegt, um es an dieser Stelle zu betonen, wesentlich höher als das italienischer oder deutscher Romane". Bei der Lektüre T. S. Eliots ermahnt er seine Zuhörer zu besonderer Aufmerksamkeit und großem Einfühlungsvermögen, tröstet aber sogleich, die Anstrengung müsse nur einmal geleistet werden: "Wenn Sie in die Assoziationskette des Autors eingedrungen sind, wird die weitere Lektüre desselben Gedichts leicht erscheinen, und Sie werden sie wie ein starkes, aber ganz reines Konzentrat genießen können."

Wie bei allen guten Lesern, die zu großen Schriftstellern wurden, lohnt es sich auch bei Tomasi di Lampedusa, die Abneigungen ebenso ernst zu nehmen wie die Vorlieben. Was ihn vor allem auszeichnet, ist genaue Textkenntnis auch dort, wo er vermutlich bereits irritiert, verärgert oder gelangweilt war. Grundsätzlich hat Don Tomasi von seinen Autoren so ziemlich alles gelesen, auch die Kleinigkeiten; Shaw dürfte die Ausnahme bilden. An Chesterton führt er den Typus des katholischen Schriftstellers vor, der mit Witz und Schlagfertigkeit für seine Sache eintritt, und lobt besonders die Geschichten um Father Brown. Bei H. G. Wells wiederum ist es nicht der Stil (,platt, banal, ohne Glanz und Klang"), der den Büchern eine gewisse Bedeutung sichert, sondern Wells' Rolle als "Ideenverkünder", der sich auf das Niveau der Mehrheit begab und in England beträchtliche öffentliche Wirkung erzielte.

Nicht daß Don Tomasi an öffentlicher Wirkung sonderlich gelegen wäre. Im Gegenteil; für ihn sagt Wirkung über die Machart von Literatur nicht das geringste aus, und wenn, dann keineswegs Schmeichelhaftes. Klug und großzügig ist es deshalb, daß er, der klare ästhetische Prämissen kennt, bei den wirklich interessanten Autoren (Joyce, Virginia Woolf, Conrad, Eliot) die je eigene Methode zu ergründen versucht und sich nur vom Besonderen zum Allgemeinen führen läßt, nie umgekehrt. So hält er D. H. Lawrence seine "ausgeprägte Sensibilität" zugute und vermag in dem, was leicht als Schwäche zu brandmarken wäre, eine Stärke zu sehen: "Die thematische Monotonie der Bücher beeindruckt in ihrer Gesamtheit durch ihre besessene Wiederholung, ähnlich dem dumpfen Tam-Tam, das in den tropischen Urwäldern die Stammesmitglieder zu phallischen Ritualfesten zusammentrommelt."

Der Säulenheilige Don Tomasis jedoch (und niemand, der seinen "Leoparden" kennt, wird sich darüber wundern) heißt Henry James. Von ihm sagt der Autor, was von allen zu sagen wäre, die die Anschauung der Gesinnung vorziehen und denen die particulars, die losen Einzelheiten des Lebens, mehr bedeuten als erzählerische Programme: Er führe sein Thema als "Konzentrat der Wirklichkeit" vor Augen. Und: "Er wollte seine Leser nicht bessern, wollte sie nichts lehren, sie von keiner moralischen, politischen oder gar religiösen Wahrheit überzeugen." Übrigens gebe es da einen Band mit Erzählungen, schreibt der Graf noch, den könne er nur empfehlen; er sei nördlich von Palermo überall ohne Schwierigkeiten zu bekommen, vorausgesetzt, die Buchhändler hätten von ihm gehört.

Giuseppe Tomasi di Lampedusa: "Morgenröte der englischen Moderne". Aus dem Italienischen übersetzt von Friederike Hausmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1995. 112 S., geb., 24,80 DM.

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