Yishai Sarid
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Monster
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Am Ende dieser Geschichte steht eine Eskalation: Ein israelischer Tourguide streckt im Konzentrationslager von Treblinka einen deutschen Dokumentarfilmer mit einem Faustschlag nieder. Wie kam es dazu? In einem Bericht an seinen ehemaligen Chef schildert der Mann, wie er jahrelang Schulklassen, Soldaten und Touristen durch NS-Gedenkstätten geführt hat und wie unterschiedlich diese mit der Erinnerung an den Holocaust umgehen. Nach und nach zeigt sich, dass seine Arbeit nicht spurlos an dem jungen Familienvater vorübergeht - die Grauen der Geschichte entwickeln einen Sog, gegen den keine akade...
Am Ende dieser Geschichte steht eine Eskalation: Ein israelischer Tourguide streckt im Konzentrationslager von Treblinka einen deutschen Dokumentarfilmer mit einem Faustschlag nieder. Wie kam es dazu? In einem Bericht an seinen ehemaligen Chef schildert der Mann, wie er jahrelang Schulklassen, Soldaten und Touristen durch NS-Gedenkstätten geführt hat und wie unterschiedlich diese mit der Erinnerung an den Holocaust umgehen. Nach und nach zeigt sich, dass seine Arbeit nicht spurlos an dem jungen Familienvater vorübergeht - die Grauen der Geschichte entwickeln einen Sog, gegen den keine akademische Distanz ankommt.
Yishai Sarid wurde 1965 in Tel Aviv geboren, wo er bis heute lebt. Nachdem er als Nachrichtenoffizier tätig war, studierte er in Jerusalem und an der Harvard University und arbeitete später als Staatsanwalt. Heute arbeitet er als Rechtsanwalt und veröffentlicht Artikel in diversen Zeitungen. Bei Kein & Aber erschienen bislang seine Romane Limassol(2010), Alles andere als ein Kinderspiel(2014), Monster(2019), Siegerin(2021) und zuletzt Schwachstellen(2023). Ruth Achlama, 1945 in Deutschland geboren, übersetzt hebräische Literatur renommierter Autorinnen und Autoren ins Deutsche. Für Kein & Aber hat sie mehrere Romane von Ayelet Gundar-Goshen, Yishai Sarid, Dori Pinto sowie Daria Shualy ins Deutsche übertragen. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Ruth Achlama lebt in Tel Aviv.
Produktdetails
- Kein & Aber Pocket
- Verlag: Kein & Aber
- Originaltitel: Mifletzet HaSikaron
- Artikelnr. des Verlages: 290/06107
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 173
- Erscheinungstermin: 12. Mai 2020
- Deutsch
- Abmessung: 182mm x 114mm x 14mm
- Gewicht: 162g
- ISBN-13: 9783036961071
- ISBN-10: 3036961070
- Artikelnr.: 58152237
Herstellerkennzeichnung
Kein + Aber
Gutenbergstraße 1
82205 Gilching
vertrieb@keinundaber.ch
»Yishai Sarid lässt seine Figur mit der Erinnerung kämpfen, mit der Umdeutung der Geschichte, deren Aneignung ebenso wie mit deren Ausblendung. Er fragt nach der Verbindung zwischen Juden damals und Israelis heute, nach der Attraktivität von Stärke und er lässt keine moralisch gesicherte Position bestehen.« WDR 3, 27. Januar 2020 WDR 3 20200127
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Höchst beeindruckend findet Marie Schmidt den dritten Roman des israelischen Journalisten Yishai Sarid, der von einem jungen Historiker erzählt, der in den Gedenkstätten der Konzentrationslager als Guide sein Geld verdient und sich offenbar für ein Vergehen gegenüber dem Direktor von Yad Vashem erklären muss. Die gewählte Form des essayistischen Briefromans scheint ihr geeignet, das Abstrakte der NS-Vernichtungslager und die Routine des Gedenkens in den Lagermuseen zu parallelisieren, wie es der Autor macht. Sachlich genug scheint ihr die Schilderung des Erzählers, und doch auch plastisch und grauenvoll genug für den Leser. Moralisch geht der Autor laut Schmidt den richtigen Weg, indem er die Widersprüche seines Themas nicht verflacht, sondern "neu aufreißt", wie die Kritikerin mit Blick auf die Debatte um Takis Würgers "verantwortungslos vereinfachten" Roman "Stella" betont.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Wenn Gedenken zur Performance verkommt
Yishai Sarids Roman "Monster" ist ein fiktionaler Bericht an den Direktor von Yad Vashem. Das Buch schlägt einen Bogen vom Holocaust zur politischen Gegenwart - und rechnet bitterböse mit der israelischen Erinnerungskultur ab.
Was bedeutet die Erinnerung an den Holocaust den wenigen, die noch leben? Und was macht sie mit denen, die Erinnerung lernen? Yishai Sarid antwortet darauf in seinem Buch "Monster", das vor allem Leser in Israel im Blick hat, wo diese Erinnerung ein identitätsstiftendes Merkmal ist, mit fast bösartiger Klarheit: Die Erinnerung hält jeden gefangen, und sie macht alle wahnsinnig.
Gleich zu Beginn gesteht der namenlose Ich-Erzähler, er habe in
Yishai Sarids Roman "Monster" ist ein fiktionaler Bericht an den Direktor von Yad Vashem. Das Buch schlägt einen Bogen vom Holocaust zur politischen Gegenwart - und rechnet bitterböse mit der israelischen Erinnerungskultur ab.
Was bedeutet die Erinnerung an den Holocaust den wenigen, die noch leben? Und was macht sie mit denen, die Erinnerung lernen? Yishai Sarid antwortet darauf in seinem Buch "Monster", das vor allem Leser in Israel im Blick hat, wo diese Erinnerung ein identitätsstiftendes Merkmal ist, mit fast bösartiger Klarheit: Die Erinnerung hält jeden gefangen, und sie macht alle wahnsinnig.
Gleich zu Beginn gesteht der namenlose Ich-Erzähler, er habe in
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seinem Leben eigentlich etwas anderes vorgehabt und sei in die Holocaust-Forschung nur "aus pragmatischen Gründen" gelangt. Zur Diplomatenausbildung hatte ihn das Außenministerium nicht zugelassen, und den Job als Iran-Experte für den militärischen Nachrichtendienst wollte er nicht. Als Historiker, so wurde ihm signalisiert, blieben ihm damit nur die Holocaust-Studien - ganz so, als könne es für Historiker, die sich mit etwas anderem beschäftigen, in Israel kein Auskommen geben. Bald bietet der junge Doktorand auch Führungen durch die Gedenkstätte Yad Vashem an. Später kommen Touren durch die Konzentrationslager in Polen hinzu, die rasch zu seiner vornehmlichen Beschäftigung werden, weil sie ihn und seine kleine Familie ernähren. Als Guide von Schülergruppen, denen er in Polen die Maschinerie der Vernichtung erläutert, vergehen seine Jahre.
Das Buch von Yishai Sarid ist in Form eines fiktionalen Berichts verfasst, der adressiert ist an den Direktor von Yad Vashem. Ihm glaubt der Erzähler, Rechenschaft über seine Arbeit als Guide ablegen zu müssen, womit dem Leser von der ersten Seite an signalisiert wird, dass etwas vorgefallen sein muss. Hier und da sind weitere Hinweise auf das Unheil eingestreut, auf das der Bericht letztlich zusteuert, etwa auf die "seelischen Belastungen", die mit den Führungen durch Yad Vashem verbunden seien, die der Erzähler aber nicht sonderlich ernst nahm. Auf diese Weise entwickelt das Buch einen unheimlichen Sog, der daran erinnert, dass Yishai Sarid ein guter Thriller-Autor ist, der schon vor einigen Jahren mit "Limassol" eine spannende Agentengeschichte veröffentlicht hat.
Je häufiger der Erzähler in Sarids neuem Buch die Schüler durch Belzec, Treblinka, Sobibor, Auschwitz und Birkenau führt, desto klarer formuliert er seine Fragen. Wer wird zum Mörder? Wer nicht? Wer sind ihre Opfer? "Seltsamerweise hörte ich sie gerade in Majdanek, auf dem wenige Hundert Meter langen Weg von den Gaskammern zu Mausoleum und Krematorium, über Araber reden. In Flaggen gehüllt flüsterten sie: Araber, so müsste man es mit den Arabern machen. Nicht immer, nicht bei allen Gruppen, aber häufig genug, um mir im Gedächtnis zu bleiben." Und wenig später gibt der Erzähler die Antwort auf seine Frage selbst, warum sich der Hass ausgerechnet gegen die Araber richtet und nicht etwa gegen die Deutschen: "Aber Menschen wie die Deutschen können wir schwerlich hassen. Schaut euch die Fotos aus dem Krieg an, man muss der Wahrheit die Ehre geben, sie sahen total cool aus in diesen Uniformen, auf ihren Motorrädern, entspannt, wie Models auf Straßenreklamen. Den Arabern werden wir nie verzeihen, wie sie aussehen, mit diesen Bartstoppeln und den braunen Schlaghosen, mit ihren unverputzten Häusern, dem Abwasser in offenen Gossen und den Kindern mit Gerstenkorn im Auge, aber dieses helle, saubere europäische Äußere möchte man gern imitieren."
Nicht nur an diesen Stellen, an denen Yishai Sarid den Bogen vom Holocaust zur politischen Gegenwart schlägt, liest sich sein Buch wie ein bitterböser Kommentar, wie eine Abrechnung mit der Erinnerungskultur seines Landes. Den Höhepunkt erreicht diese Kritik mit den Vorbereitungen zu einer Gedenkveranstaltung, die aus Anlass des 75. Jahrestages der Wannseekonferenz organisiert werden soll. Der Erzähler wird gebeten, mit einer kleinen Delegation ein für die Feierlichkeiten geeignetes Lager in Polen zu suchen. Eine Zeremonie soll dort stattfinden, aber nicht in Form einer Parade, sondern einer "echten simulierten Operation", bei der Juden von israelischen Kampfsoldaten vor dem Tod gerettet werden. Der Erzähler sieht diesen Plan bald als "Choreographie" vor Augen, die auf gespenstische Weise an jenes Holocaust-Computerspiel erinnert, das ein paar junge Leute zur selben Zeit in Israel entwerfen ("Die Leute mögen grausame Spiele") und für das ebenfalls sein Rat eingeholt wurde: "Ein landender Hubschrauber wirbelt Staub auf, kräftige Soldaten springen geschmeidig heraus und bemächtigen sich mit kriegstänzerischen Schritten des Lagers, offenes Gelände, bebautes Gelände, rennen voll bewaffnet die Lagerpfade entlang, gegen einen unsichtbaren Feind, um der Asche Leben einzuhauchen." So verkommt die Erinnerung zur Performance. Woran niemand Anstoß zu nehmen scheint außer dem Erzähler, der mit seinem Fachwissen zu den Details der Massenvernichtung dieser Entwicklung paradoxerweise stets zu Diensten war.
Das bleibt nicht ohne Folgen. Im alltäglichen Umgang mit ihnen sickern die Details über das Grauen nach und nach tief in sein Denken und setzen einen Prozess der psychologischen Zerrüttung in Gang, der letztlich zum Kontrollverlust führt. Yishai Sarid erweist sich auch hier als ein Meister der Andeutungen. Es beginnt mit Kleinigkeiten, die aber obsessive Kräfte entfalten, etwa wenn sich der Erzähler beim Hören der Musik von Bach plötzlich fragt, ob dieser vor dreihundert Jahren wohl einen Klezmer aus Polen als Schüler angenommen hätte oder ob er auch ein Antisemit war. Bei seinen Führungen verliert er immer häufiger den Faden, beschreibt überausführlich, wie den jüdischen Frauen die Haare geschoren wurden und die Schädel bluteten. Und verliert völlig die Fassung, als die Wälder zu ihm zu sprechen beginnen, er Schemen sieht und ein Kind seine Mutter auf dem Weg in die Gaskammern fragen hört: Mama, warum ziehst du dich aus?
Schließlich, als er einem deutschen Dokumentarfilmer, der ihn verhöhnt und benutzt, in Treblinka ins Gesicht schlägt, ertappt man sich als Leser bei dem Gedanken, dass es genau den Richtigen trifft (nämlich einen Deutschen) und dass der Erzähler endlich das Richtige tut (er wehrt sich) - bis einem klar wird, dass man mit diesen Gedanken genau dort ist, wo Yishai Sarid seine Leser haben will: Er macht sie selbst zu Monstern. Er lässt sie auf ebenso virtuose wie furchterregende Art am eigenen Leib erfahren, dass die Erinnerung an den Holocaust vor nichts und niemandem haltmacht.
LENA BOPP
Yishai Sarid: "Monster".
Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Verlag Kein & Aber, Zürich 2019. 176 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Buch von Yishai Sarid ist in Form eines fiktionalen Berichts verfasst, der adressiert ist an den Direktor von Yad Vashem. Ihm glaubt der Erzähler, Rechenschaft über seine Arbeit als Guide ablegen zu müssen, womit dem Leser von der ersten Seite an signalisiert wird, dass etwas vorgefallen sein muss. Hier und da sind weitere Hinweise auf das Unheil eingestreut, auf das der Bericht letztlich zusteuert, etwa auf die "seelischen Belastungen", die mit den Führungen durch Yad Vashem verbunden seien, die der Erzähler aber nicht sonderlich ernst nahm. Auf diese Weise entwickelt das Buch einen unheimlichen Sog, der daran erinnert, dass Yishai Sarid ein guter Thriller-Autor ist, der schon vor einigen Jahren mit "Limassol" eine spannende Agentengeschichte veröffentlicht hat.
Je häufiger der Erzähler in Sarids neuem Buch die Schüler durch Belzec, Treblinka, Sobibor, Auschwitz und Birkenau führt, desto klarer formuliert er seine Fragen. Wer wird zum Mörder? Wer nicht? Wer sind ihre Opfer? "Seltsamerweise hörte ich sie gerade in Majdanek, auf dem wenige Hundert Meter langen Weg von den Gaskammern zu Mausoleum und Krematorium, über Araber reden. In Flaggen gehüllt flüsterten sie: Araber, so müsste man es mit den Arabern machen. Nicht immer, nicht bei allen Gruppen, aber häufig genug, um mir im Gedächtnis zu bleiben." Und wenig später gibt der Erzähler die Antwort auf seine Frage selbst, warum sich der Hass ausgerechnet gegen die Araber richtet und nicht etwa gegen die Deutschen: "Aber Menschen wie die Deutschen können wir schwerlich hassen. Schaut euch die Fotos aus dem Krieg an, man muss der Wahrheit die Ehre geben, sie sahen total cool aus in diesen Uniformen, auf ihren Motorrädern, entspannt, wie Models auf Straßenreklamen. Den Arabern werden wir nie verzeihen, wie sie aussehen, mit diesen Bartstoppeln und den braunen Schlaghosen, mit ihren unverputzten Häusern, dem Abwasser in offenen Gossen und den Kindern mit Gerstenkorn im Auge, aber dieses helle, saubere europäische Äußere möchte man gern imitieren."
Nicht nur an diesen Stellen, an denen Yishai Sarid den Bogen vom Holocaust zur politischen Gegenwart schlägt, liest sich sein Buch wie ein bitterböser Kommentar, wie eine Abrechnung mit der Erinnerungskultur seines Landes. Den Höhepunkt erreicht diese Kritik mit den Vorbereitungen zu einer Gedenkveranstaltung, die aus Anlass des 75. Jahrestages der Wannseekonferenz organisiert werden soll. Der Erzähler wird gebeten, mit einer kleinen Delegation ein für die Feierlichkeiten geeignetes Lager in Polen zu suchen. Eine Zeremonie soll dort stattfinden, aber nicht in Form einer Parade, sondern einer "echten simulierten Operation", bei der Juden von israelischen Kampfsoldaten vor dem Tod gerettet werden. Der Erzähler sieht diesen Plan bald als "Choreographie" vor Augen, die auf gespenstische Weise an jenes Holocaust-Computerspiel erinnert, das ein paar junge Leute zur selben Zeit in Israel entwerfen ("Die Leute mögen grausame Spiele") und für das ebenfalls sein Rat eingeholt wurde: "Ein landender Hubschrauber wirbelt Staub auf, kräftige Soldaten springen geschmeidig heraus und bemächtigen sich mit kriegstänzerischen Schritten des Lagers, offenes Gelände, bebautes Gelände, rennen voll bewaffnet die Lagerpfade entlang, gegen einen unsichtbaren Feind, um der Asche Leben einzuhauchen." So verkommt die Erinnerung zur Performance. Woran niemand Anstoß zu nehmen scheint außer dem Erzähler, der mit seinem Fachwissen zu den Details der Massenvernichtung dieser Entwicklung paradoxerweise stets zu Diensten war.
Das bleibt nicht ohne Folgen. Im alltäglichen Umgang mit ihnen sickern die Details über das Grauen nach und nach tief in sein Denken und setzen einen Prozess der psychologischen Zerrüttung in Gang, der letztlich zum Kontrollverlust führt. Yishai Sarid erweist sich auch hier als ein Meister der Andeutungen. Es beginnt mit Kleinigkeiten, die aber obsessive Kräfte entfalten, etwa wenn sich der Erzähler beim Hören der Musik von Bach plötzlich fragt, ob dieser vor dreihundert Jahren wohl einen Klezmer aus Polen als Schüler angenommen hätte oder ob er auch ein Antisemit war. Bei seinen Führungen verliert er immer häufiger den Faden, beschreibt überausführlich, wie den jüdischen Frauen die Haare geschoren wurden und die Schädel bluteten. Und verliert völlig die Fassung, als die Wälder zu ihm zu sprechen beginnen, er Schemen sieht und ein Kind seine Mutter auf dem Weg in die Gaskammern fragen hört: Mama, warum ziehst du dich aus?
Schließlich, als er einem deutschen Dokumentarfilmer, der ihn verhöhnt und benutzt, in Treblinka ins Gesicht schlägt, ertappt man sich als Leser bei dem Gedanken, dass es genau den Richtigen trifft (nämlich einen Deutschen) und dass der Erzähler endlich das Richtige tut (er wehrt sich) - bis einem klar wird, dass man mit diesen Gedanken genau dort ist, wo Yishai Sarid seine Leser haben will: Er macht sie selbst zu Monstern. Er lässt sie auf ebenso virtuose wie furchterregende Art am eigenen Leib erfahren, dass die Erinnerung an den Holocaust vor nichts und niemandem haltmacht.
LENA BOPP
Yishai Sarid: "Monster".
Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Verlag Kein & Aber, Zürich 2019. 176 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Sehr geehrter Herr Direktor von Yad Vashem, dies hier ist der Bericht über das, was dort vorgefallen ist. Mir wurde mitgeteilt, dass sie einen solchen erwarten, und ich möchte ihn auch erstatten.« |5
Um Aufrichtigkeit bemüht erzählt ein israelischer …
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»Sehr geehrter Herr Direktor von Yad Vashem, dies hier ist der Bericht über das, was dort vorgefallen ist. Mir wurde mitgeteilt, dass sie einen solchen erwarten, und ich möchte ihn auch erstatten.« |5
Um Aufrichtigkeit bemüht erzählt ein israelischer Holocaustforscher und Lagertourguide auf eine Eskalation zu. Er holt weit aus, rekapituliert seinen Werdegang mit Aufstieg und Fall. Es führt ihn zu Fragen der Moral, der Erinnerung und des Gedenkens, zu Identifikationen und Zuschreibungen, zu Opfer- und Täterrollen, zu ihrer Wirkung bis in die Gegenwart hinein. Wut, Ohnmacht und Brutalität brechen seinen emotional-distanziert wissenschaftlichen Selbstschutz. Die Zusammenarbeit mit einem deutschen Regisseur führt zu einer radikalen Wendung, die seinen Bericht an den Direktor von Yad Vashem erforderlich macht.
In wenigen Seiten gelingt es Sarid, eine kammerspielartige Intensität aufzubauen. Die moralischen Konflikte seiner Figur spitzt er so zu, dass es kaum möglich ist, sich den aufgeworfenen Fragen und ausgearbeiteten Widersprüchen zu entziehen. Wie geht aufrichtiges Erinnern? Welche Botschaften sind möglich und wie kommen sie bei den Nachkommen an? Wie ist es mit Universalität, mit Universalismus? Was macht Nähe und Distanz zur Shoah mit der jüdisch-israelischen Figur? Wie wirkt eine Identifikation mit den Opfern oder eine Abwehr von Opferrollen, eine Identifikation, Bewunderung oder Abscheu von Tätern, eine Zuwendung zum Militärischen? Wie die eigenen Kinder erziehen? Wie leben mit detailliertem Wissen um die Gewalt der Vergangenheit, die die Figur für ihren Sohn als Monster der Erinnerung benennt?
»"Was arbeitest du denn Papa?", fragte er. "Er erzählt ihnen, was passiert ist", half Ruth mir aus. "Was ist passiert?" Ido sah mich besorgt von unten an. "Es gab mal ein Monster, das Menschen getötet hat" , antwortete ich. "Und du bekämpft es?“, fragte Ido begeistert." Es ist schon tot", versuchte ich ihm zu erklären, "es ist ein Monster der Erinnerung".« |77
Die ganze Lektüre hindurch fragte ich mich, was es verändert, »Monster« in der deutschen Übersetzung durch eine deutsche Perspektive zu lesen und ob es überhaupt passend ist. Ich habe keine Antwort darauf und hätte gern Sarids Gedanken dazu erfahren.
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Gebundenes Buch
Ein Monster ist etwas Widerwärtiges, eine richtig üble Kreatur. So unterschiedlich die Definitionen dazu auch sind: dass die Massenmörder der nationalsozialistischen Diktatur in den Konzentrationslagern dazugehören, ist wohl ziemlich klar. Umso mehr verwundert es den …
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Ein Monster ist etwas Widerwärtiges, eine richtig üble Kreatur. So unterschiedlich die Definitionen dazu auch sind: dass die Massenmörder der nationalsozialistischen Diktatur in den Konzentrationslagern dazugehören, ist wohl ziemlich klar. Umso mehr verwundert es den Protagonisten dieses Romans, einen israelischen Historiker und Guide bei Besichtigungen seiner Landsleute in Konzentrationslagern, dass diese manchmal eine andere Meinung dazu haben. Sie sehen nicht die Deutschen als die maßgeblichen Übeltäter, sondern die Polen, deren Unterstützung, aber auch Hass und Neid aus ihrer Sicht ein wichtiger Beitrag zum Massenmord war, ja, diesen erst ermöglicht hat.
Dem Historiker, der zunächst als nüchterner Betrachter durch die Stätten des Grauens führt, wird es zunehmend schwerer, seine eigene Meinung außen vor zu lassen, was zu einigen Eskalationen und der Distanzierung der Organisatoren dieser Reisen von ihm führt.
Das Buch besteht aus seinem Monolog, vielleicht auch einem Brief, gerichtet an den Vorsitzenden der Gedenkstätte Yad Vashem, die hinter diesen Reisen steht und quasi sein Auftraggeber ist.
Als Historikerin war ich sehr gespannt auf dieses Buch, zumal auch ich einige dieser Konzentrationslager kenne und somit beurteilen kann, wie aufwühlend ein Aufenthalt dort sein kann. Wieviel entsetzlicher muss dies sein für die Nachfahren der Opfer - dass die ersten Reaktionen auf eine solche Konfrontation ebenso unterschiedlich wie unberechenbar sind, ist meiner Meinung nach sehr gut nachzuvollziehen. Und dass jemand, dessen Beruf es ist, Führungen durch diese Lager zu leiten, innerlich nicht immer außen vor bleiben kann, ebenso.
Somit war ich durchaus fasziniert von dem Wandel, der im Protagonisten vorging und der aus meiner Sicht von Autor Yishai Sarid überaus eindringlich, dabei teilweise subtil, dargestellt wird.
Was mir hingegen teilweise sauer aufstieß, waren die Bezeichnungen "Deutsche" und "Polen", manchmal auch "Ukrainer" für die Täter. Obwohl ich meiner Abstammung nach keiner dieser Nationen angehöre, tut es mir weh, wenn hier ganze Völker in den Kreis der Täter einbezogen werden, wobei ich davon ausgehe, dass diese Polarisierung vom Autor durchaus beabsichtigt ist. Denn ich habe den Eindruck, dass er ein Buch schreiben wollte, das weh tut und zwar jedem, der es liest. Immer auf unterschiedliche Art natürlich, je nachdem, was für einen Hintergrund der jeweilige Leser hat. In mir weckte es die bange Frage, ob ich in mir nicht auch ein Monster beherberge - manchmal zumindest. Und zwar das Monster der Ignoranz, des Wegschauens. Alles andere als leichte Kost also, die in mir noch lange Zeit nachhallen wird.
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