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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2009

Brüche und Aufbrüche
Eine Bilanz der Bundesrepublik mit hoffnungsvollem Ausblick
Sechzig Jahre Bundesrepublik, meint Hermann Vinke, das sei schon eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, aber „die Fortsetzung kommt nicht von selbst, sondern muss wie jeder Fortschritt erkämpft werden”. Der Journalist und Autor, der viele Jahre als Korrespondent in Japan, den USA, der DDR und Ostmitteleuropa gearbeitet hat und Titel zur NS-Zeit und zur „Weißen Rose” veröffentlichte, will mit seiner Dokumentation „Die Bundesrepublik” seinen jungen Lesern das historische Wissen vermitteln, das sie zur Verteidigung der demokratischen Rechte brauchen. An den Anfang setzt er die Freiheitsbewegungen im 19. Jahrhundert. Bereits auf dem Hambacher Fest 1832 und der Sitzung der Nationalversammlung 1848 in Frankfurt werden „freie Wahlen, freier Handel, Gleichberechtigung von Mann und Frau und Pressefreiheit gefordert”, Bürgerrechte, die hundert Jahre später in der neuen Verfassung der künftigen Bundesrepublik festgelegt werden.
Die Rebellion der Jugend
Wie kann man diese riesige Stofffülle so gliedern, dass der Leser gefesselt wird und nicht die Übersicht verliert? In zwölf großen Themenkreisen dokumentiert Vinke mit zahlreichen Fotos und kurzen Texten nicht nur die wichtigsten politischen und kulturellen Ereignisse, sondern spürt die Verwerfungen, die Brüche und Aufbrüche in Politik und Gesellschaft auf. Er bleibt aber der kritische, distanzierte Beobachter, der mit seinen Kommentaren und besonders mit seinen biographischen Abrissen von Politikern und Zeitzeugen zur Diskussion anregen will.
Diese Verbindung von politischer und gesellschaftlicher Aufbruchstimmung gelingt in den Kapiteln „Die Halbstarken”, und „Der Kampf um Gleichberechtigung”. Sie zeigen die Rebellion der Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren gegen die Konventionen der Elterngeneration. Die Erinnerung an das Lebensgefühl in der Nachkriegszeit wird geweckt durch Fotos und Biographien der Stars der Zeit wie Peter Kraus, Romy Schneider, Hansjörg Felmy, oder kämpferischer politischer Persönlichkeiten wie Alice Schwarzer, Rudolf Augstein und Unternehmer wie Josef Neckermann, Max Grundig und Carl Borgward.
Die Jugend blieb jedoch unruhig, dem Bruch mit den Konventionen folgte in den siebziger Jahren die „Revolution der Bürgerkinder”, die von der Außerparlamentarischen Opposition bis zum Terror der Baader/Meinhof-Bande reichte, der für Vinke den Beginn einer weltweiten Terrorwelle bedeutet. In seiner Darstellung, die Opfer und Täter beschreibt, erinnert er unter dem Stichwort „Ausnahmezustand in den Köpfen” auch an die staatlichen Repressalien gegen vermeintliche Sympathisanten, zum Beispiel den Schriftsteller Heinrich Böll. Er zitiert Hans Heigert: „Bisweilen will es scheinen, als ob nun die ganz große Keule geschwungen werde, mit einem verbissenen ,Endlich‘ auf den Lippen.” Am Ende mündet die Rebellion der Studenten in eine neue politische Ära. Gegen Atomkraft und für den Erhalt der Umwelt gehen Bürgerinitiativen auf die Straße, es entsteht die Partei der „Grünen” mit ihren Leitfiguren Petra Kelly und Joschka Fischer.
Das herausragende Ereignis in der Geschichte der Bundesrepublik ist für Hermann Vinke jedoch die Wiedervereinigung. Minutiös verfolgt er die Ostpolitik der verschiedenen Kanzler, beschreibt die Ost-West-Beziehungen von den Anfängen bei Adenauer bis zu Kohl. Und auch wenn der Autor die Schwierigkeiten, die bis heute andauern, nicht verschweigt, sie ist für ihn wichtiger als die deutsche Beteiligung an der Entwicklung der Europäischen Union, die darum ein bisschen zu kurz kommt.
Im letzten Kapitel „Jahrtausendwende”, der Bestandsaufnahme der Gegenwart – unter anderem wird die Arbeit Gerhard Schröders kritisch gewürdigt, Angela Merkel eine erfolgreiche Außenpolitik, aber eine eher zögerliche Innenpolitik attestiert – , findet Hermann Vinke einen hoffnungsvollen Ausblick auf die Zukunft: Das Wiedererstarken jüdischen Lebens in der Bundesrepublik und die Beispiele gelungener Integration. Die jüngste deutsche Professorin für Wirtschaftsrecht ist eine junge Deutsch-Türkin. ROSWITHA BUDEUS–BUDDE
HERMANN VINKE: Die Bundesrepublik. Eine Dokumentation mit zahlreichen Biographien und Abbildungen. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2009. 224 Seiten, 19,95 Euro.
(ab 12 und auch für Erwachsene)
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