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"Ich bitte Dich sehr, liebster Sam, warte nicht bis August, komm eher nach Hause... es gibt einen Grund zur Eile." Ein Mann, Thomas Mistler, Anfang sechzig, schreibt an seinen Sohn. Grund ist die Diagnose "Krebs in unheilbarem Stadium", die ihm der Arzt gerade mitgeteilt hat. Mistler reist für ein paar Tage nach Venedig, in die "Stadt des Todes". Erinnerungen holen ihn ein, und ein letztes Mal gibt er sich dem Leben und der Liebe hin.

Produktbeschreibung
"Ich bitte Dich sehr, liebster Sam, warte nicht bis August, komm eher nach Hause... es gibt einen Grund zur Eile." Ein Mann, Thomas Mistler, Anfang sechzig, schreibt an seinen Sohn. Grund ist die Diagnose "Krebs in unheilbarem Stadium", die ihm der Arzt gerade mitgeteilt hat. Mistler reist für ein paar Tage nach Venedig, in die "Stadt des Todes". Erinnerungen holen ihn ein, und ein letztes Mal gibt er sich dem Leben und der Liebe hin.
Autorenporträt
Louis Begley wurde am 6. Oktober 1933 unter dem Namen Ludwik Begleiter als Sohn polnischer Juden in einer kleinen Stadt im Osten Polens (heute Ukraine) geboren. Er selbst und seine Mutter entgingen, als katholische Polen getarnt, dem Holocaust. Nach dem Ende des Krieges kam die Familie wieder zusammen. Vier Monate blieben sie in Paris, wo Vater und Sohn Englisch lernten. Im März 1947 siedelte die Familie Begleiter in die USA über und ließ sich in Flatbush/Brooklyn nieder, wo sie den Namen Begley annahm.1950 erhielt Louis Begley ein Harvard-College-Stipendium und wurde damit zum Harvard College zugelassen; 1954 legte er sein Examen in Englischer Literatur ab. Von 1956 bis 1959 studierte er an der Harvard Law School und arbeitete im Anschluss bis zum Jahr 2004 als Anwalt in der Kanzlei Debevoise & Plimpton. Ende der sechziger Jahre arbeitete er bei der französischen Niederlassung von Debevoise in Paris. 1991 legte Louis Begley seinen ersten Roman vor. Seine Werke wurden in 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Louis Begley lebt in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Ein amerikanisches Handorakel
Blümlein am Wegesrand: Louis Begley erzählt von Mistlers Abschied

Der Mann hatte seine Diagnose erhalten, und sie lautete auf Leberkrebs. Kurz darauf flog er nach Venedig, dort lief er Geschäftsfreunden über den Weg, leistete sich eine nicht sehr appetitliche Affäre mit einer Fotografin. Die Tizians hingen alle noch an ihren Orten, und die Kellner in seinen bevorzugten Restaurants kannten ihn nach wie vor, aber die Kulisse der Stadt wurde ihm Tag für Tag fremder.

Dann trifft er nach mehr als dreißig Jahren eine College-Freundin wieder. Bunny Cutler nennt sie sich jetzt, und sie lebt in einem Palazzo auf der Giudecca. Sie gehört zu jenen Frauen, die man liebte, aber nie bekam. Begegnet man ihnen, ist der Zauber in einer Sekunde wieder da. Bunny meint es gut mit dem Moribunden. Als sie ihr Kleid öffnet und er zugreifen darf, bekommt Thomas Mistler kalte Hände, und Bunny meint, er habe sich nicht verändert.

"Zu spät" lautet das Fazit dieser Begegnung, ein Verdikt, das auch der Held von "Der Mann, der zu spät kam" sich oft sagen lassen mußte und das auch der glücklichere Schmidt aus Begleys letztem Buch fürchtete. Nicht daß Thomas Mistler sich Illusionen über seinen Zustand gemacht hätte, sein Todesurteil akzeptierte er, als er die Therapievorschläge seines Arztes zurückwies. Aber Venedig, diese "leeren Tage" in der Stadt der Liebe und des Todes, sie sollten eine "Befreiung" von den gesellschaftlichen, moralischen und geschäftlichen Verpflichtungen werden, und sie waren vielleicht nur der letzte Selbstbetrug, ein nicht glücken wollender Versuch, das grandiose Selbstbild des grandiosen Mistler im Sterben und über den Tod hinaus aufrechtzuerhalten.

Im Grunde müßte das erinnerungsverkitschte Venedig längst zu einem literarischen Sperrgebiet erklärt werden, gäbe es nicht Autoren wie Louis Begley, die es zum Ort ironischer, wenn auch trauriger Camouflagen machten. Die Chronik von Mistlers letzten Tagen ist ein erzählerischer "Zerfall", der sämtliche Facetten des Mythos dieser Stadt aufblitzen läßt und sie auch wieder verdunkelt. Thomas Hooker Mistler III ist der Sohn eines New Yorker Investmentbankers. Er ist Mitglied der richtigen Clubs, und er hat einen Sitz in den wichtigen Wohlfahrtskommitees dieser Stadt. Er hat die richtige Frau geheiratet, sein Sohn arbeitet als Professor in Stanford. Nur in einem wich Mistler vom Weg seiner Herkunft ab: In seiner Jugend pflegte er literarische Neigungen, schrieb auch einen Roman. Deswegen ging er nicht an die Wall Street, sondern gründete eine Werbeagentur. Er war ein tüchtiger Geschäftsmann, seine Firma gehört zu den Großen der Branche, Mistler ist eine Legende, ein "König der Madison Avenue".

Man wird ihn als einen Geld- und Machtmenschen bezeichnen können. Er ist es nicht aus niederen Beweggründen, sondern weil seine Klasse keine andere Lebensweise vorsieht. Seinen Kompagnon hatte er eines Tages aus der Firma verdrängt, weil der ihn mit seiner Frau betrog. Er nahm Rache, nicht wutschnaubend, er machte seinen Einfluß geltend und bewirkte eine Verschiebung in der gesellschaftlichen Tektonik - zu Ungunsten seines Freundes Peter Berry. Der erhielt am Ende seine Firmenanteile zum Buchwert zurück, nicht zum Marktwert. So strafte Mistler.

Nie verzichtete er auf die verbotenen Früchte am Wegesrand, an die nur mit einem Seitensprung zu gelangen war. Macht, Geld, Sex begründeten seine Lebenseinheit. Als er sich in Venedig einmal kräftiger fühlt, heißt es: "Mehr denn je ist ihm klar, daß Ficken die Schubkraft ist, die die Welt bewegt." Die Sicherheit dieses Mannes ruhte auf der schlafwandlerischen Beherrschung der ungeschriebenen Gesetze New Yorks, der geschäftlichen Usancen, der gesellschaftlichen Regeln, auch des Geschmacks. Und des Wissens, wann sie übertreten werden können.

Gewißheit aber, ähnlich wie Macht, ist ein körperliches Phänomen. Sie droht sich mit dem Organismus zu verflüchtigen, der die Erscheinung herbeigeführt hat und repräsentiert. Die Krankheit zum Tode ist also für Mistler mehr als eine persönliche Tragödie. Mit dem Krebs droht eine Welt unterzugehen. Selbstzweifel werden freigesetzt, verdrängter Argwohn, immer einsam gewesen zu sein, der distanzierte Blick schärft sich, der alle gesellschaftlich integrierten und doch abständigen Helden Begleys auszeichnet. Und noch etwas setzt der körperliche Verfall frei: Aufrichtigkeit. Die rückhaltlose Wahrheit hätte in diesem Leben nie eine Rolle spielen müssen. Jetzt macht sie sich quälend geltend: zuerst, wie den anderen seine Schwäche zu erklären sei. Mistler läuft zu großer Form auf. Er verkauft seine Firma an eine größere Werbeagentur, bevor die Nachricht seines Ausscheidens ihren Wert mindern kann. Alle bleiben gut versorgt. Eigentlich undenkbar, daß dieser Mann stirbt.

"Mistlers Abschied" ist Louis Begleys bester Roman. Es ist ein geschliffenes, ein weltläufiges und kundiges Bild eines Charakters, der seine Welt regiert, nicht an ihr leidet. Aus teilnehmender Distanz ist dieses Porträt gezeichnet, in einem Augenblick, da der Held verwundert erkennen muß, daß alles zeitverfallen ist. Niemand wird verurteilt, aber auch nicht mit Wohlwollen verwöhnt. Begley, der heute fünfundsechzig Jahre alt wird, verknüpft das Wissen eines "Handorakels" der heutigen USA mit der zergliedernden Psychologie der europäischen Erzähltradition.

Mit seinen letzten drei Romanen, könnte man sagen, entwarf er eine "Poetik der Alterung". Seine Helden sind starke Persönlichkeiten, treten aber erst in seinen Blick, wenn ihre einzige Schwäche offenkundig wird, wenn ihre Körper verfallen. Das Erzählen hebt an, sobald das Geld langweilt, die Ausübung der Macht schal geworden ist, der Sex einen unguten Nachgeschmack hinterläßt.

Und Thomas Mistler, der Gewiefte? Er hat alle seine Angelegenheiten geregelt, als er Abschied nimmt. Bis auf eine. Weder Frau, noch Sohn noch Freunden verriet er etwas von seiner Krankheit. Die Wahrheit auszusprechen bleibt sein Tabu; von ihm vermag er sich nicht zu befreien. Über das Buch, das er als Student geschrieben hatte, sagt der Erzähler, ihm "fehlte es an Ehrgeiz und Energie". Später gesteht Mistler, er habe nichts zu erzählen gehabt. Die mittlere oder halbe Wahrheit des gelebten Lebens genügte ihm. Aus seinen kleinen Unaufrichtigkeiten und Geheimnissen ließ sich kein Roman drechseln. Im Bucintore Ruderclub vor der Dogana kauft er sich schließlich ein kleines Boot für die Fahrt hinaus auf das offene Meer. Begleys Helden sind habituelle Stoiker; noch über ihren eigenen Tod wollen sie allein verfügen. Am Ende also eine kleine illusionserhaltende Lüge, im Kahn wird der Abschied zum mythischen Symbol. THOMAS E. SCHMIDT

Louis Begley: "Mistlers Abschied". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 284 S., geb. 39,80 DM.

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