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200 Millionen WanderarbeiterInnen sind die MacherInnen des Wirtschaftsbooms in China. Auf der Suche nach einem besseren Leben haben sie ihre ländlichen Herkunftsorte verlassen und sich auf den Weg in die neu entstandenen industriellen Ballungszentren gemacht. Der Fotograf Wolfgang Müller besuchte zwischen 2005 und 2011 wiederholt WanderarbeiterInnen aus verschiedensten Arbeitsbereichen und begleitete sie zwischen Arbeit und privatem Alltag. In elf Kapiteln widmet er dieses Fotobuch ihren individuellen Schicksalen und Träumen. Sein Bildband eröffnet einen Blick auf die Dimension der…mehr

Produktbeschreibung
200 Millionen WanderarbeiterInnen sind die MacherInnen des Wirtschaftsbooms in China. Auf der Suche nach einem besseren Leben haben sie ihre ländlichen Herkunftsorte verlassen und sich auf den Weg in die neu entstandenen industriellen Ballungszentren gemacht. Der Fotograf Wolfgang Müller besuchte zwischen 2005 und 2011 wiederholt WanderarbeiterInnen aus verschiedensten Arbeitsbereichen und begleitete sie zwischen Arbeit und privatem Alltag. In elf Kapiteln widmet er dieses Fotobuch ihren individuellen Schicksalen und Träumen. Sein Bildband eröffnet einen Blick auf die Dimension der Binnenmigration in China wie auch eine sehr persönliche Sicht auf ihre jeweiligen Lebenswirklichkeiten und Ziele.
Autorenporträt
Wolfgang Müller, geb. 1958, fand über lange Reisen durch die Länder der ehemaligen Sowjetunion seinen Weg zur Fotografie. Er studierte Fotografie bei Arno Fischer und Cindy Gates an der FH Dortmund. Für seine Diplomarbeit fotografierte er über neun Monate Kinder und Jugendliche zwischen Obdachlosigkeit, Drogenkomsun und Prostitution in St. Petersburg. 'Karat. Himmel über St. Petersburg' wurde in Deutschland, England, Frankreich, Italien, Russland und den USA ausgestellt und beim Vice Versa Verlag als Fotobuch veröffentlich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2012

Auf der Suche nach dem Glück
Das Schicksal chinesischer Wanderarbeiter

"Fragt mich nicht, ich bin bloß ein Wanderarbeiter", entgegnete ein älterer Mann in der Provinzhauptstadt Taiyuhan, als ein Kamerateam des chinesischen Staatsfernsehens wissen wollte, ob er glücklich sei. Dabei ist Thomas Jeffersons Wort vom "Streben nach Glück" als unveränderlichem Menschenrecht aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 längst auch in den Köpfen von Menschen angekommen, die im autoritären China mit Wanderarbeit ihr Dasein fristen müssen. Wie unvorstellbar hart mancher dort täglich ums Überleben kämpft, zeigt Wolfgang Müllers berührender Bildband "Mingong" (Wanderarbeiter).

Der Fotograf hat zwischen 2005 und 2011 einige der mittlerweile 200 Millionen Wanderarbeiter aus armen ländlichen Regionen in die boomenden industriellen Ballungszentren Chinas begleitet. Die Männer und Frauen zwischen 2o und 40 Jahren hatten monotone Jobs am Fließband oder schmutzige, riskante auf dem Bau, in aufgelassenen Kohleminen, Backsteinfabriken oder Schmucksteinschleifereien. Sie putzten in schwindelnder Höhe Fenster, sammelten Müll oder recycelten Plastikflaschen. Die meisten arbeiteten 12 Stunden am Tag oder länger, viele ohne Schutzkleidung, Arbeitsvertrag und Sozialversicherung. Die meisten hatten eine längere Odyssee durch zahlreiche Fabriken hinter sich.

Kaum einer von Müllers Protagonisten war bisher im ersehnten besseren Leben angelangt. Alle träumten davon, endlich genug Geld zu besitzen, um mit der Knochenarbeit aufzuhören. Die Älteren sehnten sich danach, dort, wo sie herkamen, ein Haus zu bauen und ihren Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. Junge Wanderarbeiter wollten Anerkennung in der Stadt und wie ihre dortigen Altersgenossen leben.

Auf die Idee, solche Schicksale zu dokumentieren, kam Wolfgang Müller, als er 2005 bei einer Russland-Reise am Grenzfluss Amur chinesische Bauarbeiter traf. Sein Buch beginnt mit der Unterkunft dieser Menschen: Im feuchten, schmutzigen, dunklen Keller unter dem Baustellen-Fundament sieht man die Männer dicht gedrängt zwischen trocknender Wäsche in mehrstöckigen Bretterverschlägen hocken, die ihnen als Etagenbetten dienen. Der 34 Jahre alte Zhao Guihua sagt, dass er mit seinen 1500 Yuan Monatslohn, das sind rund 177 Euro, nicht unzufrieden sei. Nur die Unterkunft gleiche einem Hühnerstall.

Nicht minder irritierend sind die Bilder uniformer Arbeiter und Arbeiterinnen bei einer nächtlichen Indoktrination unter südlichem Himmel vor einer Spielzeugfabrik in Shenzhen. Die 20 Jahre alte Tan Yaru, die dort ohne Arbeitsvertrag für 1300 Yuan (153 Euro) monatlich bis zu 11 Stunden pro Tag am Fließband steht, scheint - zumindest, was das Klima anbetrifft - privilegiert, verglichen mit der wenig älteren Ma Liu: Die Mutter eines zweijährigen Kindes hievt in der ruppigen Mongolei tagtäglich für etwa den gleichen Lohn in einer Ziegelei schwere Backsteine auf Lastwagen.

Als letzte Rettung bleibt das Sammeln und Recyceln von Müll. Wie viele andere Ärmsten der Armen in Peking ernähren auch Li Chen und Zhou Dong ihre Familien notdürftig. Ähnlich versucht es Xu Fang. Auf einem Foto von bizarrer Schönheit sortiert die hübsche junge Frau aus einem Meer pastellfarbener Plastikflaschen gleiche Sorten in Säcke.

Aus Xu Fangs Biografie am Ende des Buches erfährt man, dass sie mit 18 Jahren zum ersten Mal schwanger wurde und vor dem gesetzlichen Mindestalter von 20 Jahren geheiratet hatte. Wegen zweier illegaler Geburten fürchtete sie, in ihrer Heimatregion Hunan zwangssterilisiert zu werden. Erst eine Strafzahlung von 5000 Yuan (590 Euro) erlaubte nach Jahren eine nachträgliche Registrierung der Heirat und Geburten bei den örtlichen Behörden und damit den Schulbesuch ihrer Kinder sowie die Absicherung durch eine Krankenkasse in Hunan. Für das Leben in Peking war damit allerdings nichts gewonnen.

Warum nicht, beschreibt ein Essay der Sinologin Kristina Kupfer in Wolfgang Müllers Buch. Dort wird die Entwicklung chinesischer Wanderarbeit seit den siebziger Jahren analysiert und das sogenannte "Haushaltsregistrierungssystem" mit seiner strikten Trennung zwischen ländlichen und städtischen Wohnsitzen als schlimmstes Handicap entlarvt. Jahrzehntelang erhielten Wanderarbeiter vom Land allenfalls eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung in den Städten.

ULLA FÖLSING.

Wolfgang Müller: Mingong. Die Suche nach dem Glück.

Vice Versa Verlag, Berlin 2012, 173 Seiten. 39,90 Euro.

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