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Produktdetails
  • Fischer Taschenbücher Bd.60138
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch
  • 1996.
  • Deutsch
  • Gewicht: 230g
  • ISBN-13: 9783596601387
  • ISBN-10: 359660138X
  • Artikelnr.: 06445197
Autorenporträt
Saskia Sassen, geboren 1949, ist Professorin für Soziologie an der Columbia University. Ihre Bücher sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden. Für ihr Werk hat sie zahlreiche Preise erhalten, u.a. 2013 den Prinz-von-Asturien-Preis für Sozialwissenschaften. Sie ist Mitglied im Club of Rome und wurde von dem politischen Magazin "Foreign Policy" in die Top-100-Liste Globaler Denker aufgenommen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.05.2000

Ohne Worte
Der brasilianische Fotograf Sebastiao Salgado hat für den Verlag Zweitausendeins in Frankfurt ein Buch gemacht, das fast ohne Worte auskommt. ”Migranten” heißt es, und zeigt auf 430 Seiten nichts als Menschen. Menschen vor Stacheldrähten, in Gefängnissen, auf leeren Straßen, in Massenlagern, auf der Flucht, in Zelten. Er habe, schreibt er in seinem kurzen Vorwort, die Geschichte einer „in Bewegung geratenen Menschheit” dokumentieren wollen. Denn: Meistens gäben Menschen nicht aus freien Stücken ihre Wurzeln auf. Sechs Jahre lang hat Salgado in 40 Ländern Flüchtlinge fotografiert. Er fotografierte in Lagern, in Slums, oft auf der letzten Station einer langen Flucht. Die Arbeit, so Salgado, habe ihn verändert: Sein Bild von der Zukunft habe sich verdüstert, die Kluft zwischen Arm und Reich erscheine ihm manchmal unüberwindlich. „Auf das, was mich erwartete, war ich nicht vorbereitet. ” Das Bild oben zeigt Waisenkinder in Angola. Rechts unten: Ein Südvietnamese in einem chinesischen Internierungslager. Links unten: Ein kleiner Junge in einem Vorort-Slum von Mexico-City.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.1996

Suppentopf der Nationen
Über Einwanderer, Flüchtlinge, Gastarbeiter / Politische Taschenbücher

Saskia Sassen: Migranten, Siedler, Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europas. Aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1996. 216 Seiten, 18,90 Mark.

Klaus J. Bade (Herausgeber): Die multikulturelle Herausforderung. Menschen über Grenzen - Grenzen über Menschen. Beck'sche Reihe 1184. Verlag C. H. Beck, München 1996. 270 Seiten, 22,- Mark.

Nicht jeder, der seinen Rücken zeigt, flieht. Wer noch vor wenigen Jahren ausgehungerte Horden Richtung Westen ziehen sah, hat Leidensfähigkeit und Heimatliebe der Ukrainer und Weißrussen, der Grusiner und Kasachen unterschätzt. Die Völkerwanderung ist ausgeblieben - bisher jedenfalls.

Saskia Sassen hat sie nie für wahrscheinlich gehalten. Ein Blick auf die Geschichte der europäischen Wanderungsbewegungen belege, so die New Yorker Professorin für Stadtplanung, daß Migration und Masseninvasion soviel gemein hätten wie Kaffeefahrten mit Kampfeinsätzen. Stets seien die europäischen Wanderungsströme nach einer Weile versiegt oder - in ihren um Tiefsinn bemühten Worten - "durch zeitliche und geographische Bedingungen strukturiert und begrenzt" gewesen, da sie "innerhalb systemhafter Rahmenbedingungen" verliefen. Die Germanen freilich mißachtet die Autorin, weil deren Züge ihrer These widersprechen.

Doch sei's drum. Nicht jeder muß bei Childerich beginnen, der wissen will, wie es um Flüchtlinge und Gastarbeiter bestellt ist. Zumal sie in der Neuzeit - anders als Franken und Hunnen - aus ähnlichen Welten kamen und meist daran dachten, möglichst bald nach Hause zurückzukehren. Ausführlich schildert Frau Sassen, wie hoch die Rückwanderung von Migranten innerhalb Europas seit den napoleonischen Kriegen war. Zwar zog es Polen, Deutsche, Holländer, Belgier, Franzosen und Italiener regelmäßig in wirtschaftlich aufstrebende Gebiete, viele Migranten aber traten nach einer Weile den Heimweg an. Wer blieb, integrierte sich schnell, änderte meist seinen Namen und fiel bald nicht mehr auf, wie die Autorin anhand der italienischen Einwanderer in Frankreich nachweist.

Angst vor Überfremdung herrschte dennoch - ein Gefühl, das kein Land verschonte, trotz allem wirtschaftlichen Nutzen, den Migration wie Gastarbeit in der Vergangenheit brachten. Frau Sassen hofft, die heutige Furcht durch Daten und Fakten zerstreuen zu können. Flüchtlinge und Migranten hätten in Europa stets nur einen Bruchteil der einheimischen Bevölkerung ausgemacht. In Deutschland etwa seien gegenwärtig 93 Prozent der Einwohner Staatsangehörige. Aufgrund des ius sanguinis, des Staatsbürgerschaftsrechtes, das auf Abstammung beruht, könnten nur wenige Ausländer Deutsche werden. Ihre Einbürgerungsrate sei mit 0,5 Prozent eine der niedrigsten in Europa. Dagegen wurde Deutschland nach dem Fall der Mauer zum Stausee osteuropäischer Wanderungsströme und nahm - das schon vor der Wiedervereinigung - mehr Asylanten auf als alle anderen Mitglieder der Europäischen Union. Einer Sturmflut werde die Bundesrepublik aber nicht zum Opfer fallen, so die Autorin. Dafür sorgten das neue Asylrecht und die Seßhaftigkeit der östlichen Nachbarn, die Frau Sassen mit Hilfe von Umfrageergebnissen belegt.

Allerdings sei Deutschland wie der gesamte Kontinent auf Einwanderer angewiesen, weil Europa zunehmend vergreise. 1990 lag der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung bei nicht einmal einem Viertel. Ohne Immigranten wird er in dreißig Jahren auf 18 Prozent gesunken sein. Die Überalterung verringere das Angebot an Arbeitskräften und steigere die gesellschaftlichen Ausgaben. Auf einen Rentner kamen früher vier, heute drei Beitragszahler. In wenigen Jahrzehnten werde es nur noch einer sein. Die Aufnahme von Einwanderern könne die drohende Zahlungsunfähigkeit verhindern.

Ihr reden einige deutsche Politiker und die meisten Migrationsexperten schon lange das Wort, mittlerweile allerdings merklich gereizter als die Amerikanerin. Heiner Geißler etwa scheint zu hoffen, die Zweifler seiner multikulturellen Visionen durch belfernd-belehrende Töne ruhigstellen zu können. Gelassenheit hätte ihm eher angestanden, zumal sein Beitrag in Klaus Bades Sammelband über Einwanderung auf soliden statistischen Angaben beruht. Sie verdeutlichen, welche Konsequenzen die demographischen Defizite auf das soziale Sicherungssystem der Bundesrepublik haben. Hilfe erwartet Geißler von der multikulturellen Gesellschaft. Sie sei "kein Programm zu Aushebelung des westlichen Wertekanons, auch nicht zur Öffnung der Grenzen für ungehinderte Einwanderung . . ., geschweige denn ein Konzept für zukünftige Vielvölkerrepublik", sondern die Antwort auf die Frage, wie Millionen von Deutschen und Ausländern in der Bundesrepublik friedlich unter dem Primat des Grundgesetzes zusammenleben könnten.

Dazu gehöre, daß sich die Bundesregierung über die Unterschiede zwischen Asyl einerseits und Migration andererseits im klaren sein müsse, ergänzt Bade in seinem Beitrag über eine neue Gesellschaftspolitik. Bei Flucht gehe es um den Schutz der Emigranten, bei Einwanderern allein darum, sie nach eigenen nationalen Interessen auszuwählen und Quoten festzulegen.

Vielleicht sollte sich die Bundesrepublik Australien zum Vorbild nehmen. Dort wird die Entscheidung, wer einreisen darf, weder nach Rasse, Ethnizität, Religion oder Herkunftsland, sondern nach wirtschaftlichen und sozialen Kriterien gefällt, berichtet Stephen Castles. "Kultureller Pluralismus wird bejaht, aber auch begrenzt." Das ist überall dringlich, denkt man an einige fanatisch-muslimische Gruppen, die zum Kampf gegen ihre Gastländer aufrufen, wie etwa in Frankreich, dessen Migrationspolitik Thankmar von Münchhausen, Korrespondent dieser Zeitung in Paris, vorstellt.

Überhaupt ist die Integration Voraussetzung für Einwanderung. Nur wer die westlichen Werte und demokratischen Prinzipien beherzigt, kann eingebürgert werden. Zur vollkommenen Assimilation wird es nie kommen. Doch das ist nicht tragisch. Die Legende vom "melting pot" ist eh falsch, wie Hans-Jürgen Puhle anhand der amerikanischen Einwanderungspolitik erläutert. Aufnahmeländer müssen nicht unbedingt Schmelztiegel werden. Es reicht, wenn sie Gemüsesuppen gleichen: aus einzelnen, noch sichtbaren Zutaten, aber bekömmlich in der Mischung. JACQUES SCHUSTER

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