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Produktdetails
  • Verlag: Twelve
  • ISBN-13: 9780446195249
  • Artikelnr.: 22719858
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2008

Wahlen nach Zahlen
Clintons Wahlkampf scheitert am Weltbild ihres Strategen
Die „Soccer Mom” ist seit gut einem Jahrzehnt das Fabelwesen der amerikanischen Politik. Diese Wählerinnen leben statistisch gesehen in der Suburbia, haben einen Beruf und kümmern sich um ihre Kinder, die dem Statistikklischee entsprechend Fußball spielen. Die Soccer Moms haben persönliche, inhaltliche Anliegen an die Politik – und sie sind so etwas wie der Prototyp des Wechselwählers. Erfunden, oder besser: Entdeckt hat sie Mark Penn, Berater und Umfragenguru für Bill Clinton und einer der Architekten hinter dessen erfolgreicher Wiederwahl ins Weiße Haus 1996.
Penn arbeitet auch in diesem Wahlkampf wieder für die Clintons. Er ist der offizielle Chefstratege in Hillarys Wahlkampfteam. Nach den wohl entscheidenden Vorwahlen im demokratischen Kandidatenwettstreit am Dienstag in Ohio und Texas sollte feststehen, ob Penn seinen Ruf als genialer Visionär und überragender Stratege festigen oder als hoffnungslos anachronistisch abgeschrieben werden wird – und mit ihm ein ganzes Politikverständnis.
Ein einzigartiges Bild von Penns Vorgehensweise und seines Weltbildes – und damit auch von Hillarys Wahlkampfstrategie – gewinnt man aus seinem pünktlich zu Beginn der heißen Phase des Vorwahlkampfs im Herbst 2007 erschienenen Buchs „Microtrends” über die kleinen Antriebskräfte hinter den großen Veränderungen von morgen. Allerdings stand Hillary zu diesem Zeitpunkt sehr viel besser in den Umfragen da als heute, und Penns Genialität erschien noch leuchtender. Die Microtrends sind die eigentlichen Kräfte, die die Welt zwar nicht im Innersten zusammenhalten, aber die soziale Wirklichkeit der durchindividualisierten, modernen, nicht nur amerikanischen Gesellschaft noch am vermeintlich besten zu beschreiben vermögen.
Umfragedaten statt Ideologie
In Deutschland kennt man die sogenannten Sinus-Milieus vor allem in Marketingkreisen. Im Werbedeutsch heißen sie „Moderne Performer” oder „DDR-Nostalgische” und stehen für die neue Leistungselite oder die alten Wende-Verlierer. Penn wäre das zu grobkörnig. Er ist so etwas wie die hippere Variante des empirischen Sozialforschers. Penn hat für sein Buch aus einem Wust von Umfragen und Datenanalysen 75 verschiedene Milieus, Grüppchen und Subkulturen ausfindig gemacht. Da gibt es etwa die „vernachlässigten Väter”, die „Zweit-Haus-Käufer” oder die „erwachsenen Videospiel-Spieler”.
Penn ist neben seiner Tätigkeit für Hillary Clinton aber auch noch Chef von Burson-Marsteller, einer der größten PR-Firmen der Welt. Wichtigster Kunde: Microsoft. Bill Gates sagt über Penn, er habe einen „faszinierenden Sinn” dafür, wie Amerika und die Welt ticke. Tatsächlich verquicken sich in Penns Trendspotting politische und wirtschaftliche Analyse bis zur Ununterscheidbarkeit. Wahlkampf ist Marketing und Marketing ist Wahlkampf.
Für die „vernachlässigten Väter” bedarf es nicht nur der amerikanischen Variante des Elterngelds mit Vätermonaten, sondern auch der passenden Produkte und Freizeitangebote. Der Zweitwohnsitz ist im Zuge der beruflichen Mobilitätsanforderungen längst kein Privileg der Oberschicht mehr, sondern wichtig auch für die Mittelschichten, die ihre Kinder nicht für jeden neuen Job aus ihrer angestammten Umgebung und ihrem Freundeskreis reißen wollen. Zusätzliche Steuererleichterungen für Wähler und die angeschlagenen Immobilienwirtschaft sind da ein verlockendes Wahlkampfversprechen. Und Videospiele für Jugendliche und Erwachsene seien von solch pädagogisch-strategischem Wert, dass man mit ihrer Hilfe Herausforderungen zu meistern lerne, risikobereiter und entschlossener im Unternehmen agiere und sogar Ideen für den Anti-Terror-Kampf fände. Dieser Zehn-Milliarden-Dollar-Markt ist auch für die Werbeindustrie nicht zu verachten.
Das Kapitel über Politik in Penns Buch liest sich wie die Blaupause für Hillarys Wahlkampf. Hinter der „Grand Strategy” stehen zwei zentrale Aussagen: Es sind die Wechselwähler, die Wahlen entscheiden. Und es sind nicht die intellektuelle Elite und ihre Meinungsmacht, ob konservativ oder liberal, die das gemeine Volksempfinden prägen. Das eigentliche Amerika und seine breite Mittelschicht interessiere sich nicht für Großrhetorik, sondern für die Lösung handfester Alltagsprobleme wie die schlechte Gesundheitsversorgung, hohe Studiengebühren und fehlende Kindergartenplätze.
Penn hat Zahlen gesammelt, die seinen Aussagen Zwangsläufigkeit verleihen sollen. So hat er etwa herausgefunden, dass über die Hälfte der Wähler, die weniger als 100 000 Dollar pro Jahr verdienen, bei ihrer Wahlentscheidung vornehmlich auf inhaltliche Fragen achten. Liegt ihr Einkommen jedoch jenseits dieser magischen Grenze, verschiebt sich die Bedeutung in Richtung Charakterfrage des Kandidaten („Mit wem würden Sie nach Feierabend lieber ein Bier trinken?”) um insgesamt satte 29 Prozent. Die wenigen Reichen achten auf die Persönlichkeit, die sehr viel größere Mittelklasse setzt auf Sachkompetenz, kaum eine statische Erhebung liefert so klare Ergebnisse.
Penns Weltbild ist kein im engeren Sinne ideologisches. Es ist vielmehr eine Abfolge von Power-Point-Folien, die Umfragedaten so zurechtgerückt hat, dass daraus das Bild einer Welt entsteht, in der alle Gleichungen zahlenmäßig aufzugehen scheinen, aber eines dabei doch verlorengeht: das sprichwörtliche „Big Picture”. Dass nämlich Persönlichkeit und politisches Programm eines jeden Kandidaten untrennbar miteinander verstrickt sind. Allerdings haben der kometenhafte Aufstieg Barack Obamas und seine elf Vorwahlsiege in Folge dem arithmetischen Weltbild heftige Beulen verpasst und das Clinton-Penn-Lager in panikartige Umtriebe gestürzt. Mehrere wichtige Mitarbeiter wurden gefeuert. Penn blieb. Clinton hält ihn für unanfechtbar brillant, schätzt seine Erfahrung und Treue. Dabei ist Obamas Erfolg nichts anderes als die Widerlegung der Pennschen „Grand Strategy”.
Im Jahr 2007 galt Clintons Nominierung noch als etwas Zwangsläufiges, genau wie Penns Datenanalyse. Deren andere entscheidende Grundannahme war es nämlich, dass der Schlüssel zum Erfolg bei den unabhängigen Wechselwählern liege. Obamas Erfolg speist sich dagegen entscheidend durch die neuen Wähler der sogenannten „Millenial Generation” oder auch Generation Y, der Jahrgänge 1982 und jünger, in die der größte Bevölkerungszuwachs in der Geschichte der USA fällt. Die „Jahrtausender” übertreffen sogar die Generation der „Babyboomer” (die Jahrgänge 1945 bis 1965), deren prägender Repräsentant Bill Clinton war.
Kampf gegen den Optimismus
Penn hat in seinem Buch allerdings ein ganzes Kapitel auf die Erklärung verwendet, dass in 95 Prozent aller Wahlen das Werben um jugendliche Erstwähler nicht entscheidend sei. Während Clintons Wiederwahlkampagne für den New Yorker Senatssitz 2006 kündigte Penn an, man werde nicht einen neuen Wähler an die Wahlurne locken. Penn befragte seine Zielgruppe, die Wechselwähler in den Vorstädten, und destillierte daraus ihr psychographisches Profil. Daraufhin entwickelte man eins zu eins das entsprechend kundenspezifische Wahlprogramm-Produkt.
Obama ist nicht nur dabei, all diese Thesen und Konzepte zu widerlegen. Seine hypercharismatische Wirkung auf die Wähler über alle demographischen Merkmale hinweg erscheint auch wie der denkbar schärfste Gegenentwurf zur aktenfressenden, sich um jedes Detail kümmernden, detaillierte Gesundheitsvorsorgepläne beschreibenden Hillary. In der New York Times ätzte Frank Rich, es müsse sich hier um die erste Präsidentschaftsbewerbung handeln, die so viel Energie darauf verwende, gegen den Optimismus anzupredigen, gegen eine inspirierende Sprache, ja gegen Demokratie an sich. Könnte der Trend-Spotter Penn da eine neue Bewegung verpasst haben? Am Dienstag gibt es wieder neue Zahlen. LUTZ LICHTENBERGER
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